Beate Morgenstern - Villa am Griebnitzsee

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Als der «Zivi» Georg bei Susanne Burkard auftaucht, ein Geiger, der im nächsten Jahr an der Weimarer Musikhochschule studieren wird, steigen in der, inzwischen 54-Jährigen Bilder auf, wie sie einst jung war und für die Kunst brannte. Vom sächsischen Euba unternahm sie Fahrten in die Westberliner Kinos, lernte den Produzenten Atze Brauner kennen und wurde endlich 1959 an der damals noch jungen, heute legendären Babelsberger Filmhochschule aufgenommen. Dozenten wie Studenten waren in Villen bekannter Ufa-Schauspieler und Industrieller untergebracht, Die Villa am Griebnitzsee, in der 1945 Stalin während des Viermächtetreffens gewohnt hatte, ein Zentrum der Hochschule. Trotz aller Zwiespältigkeit erlebte Susanne in Babelsberg vier wundervolle Jahre. Die «Ankunft» im Alltag der Ernüchterung, ließ nicht auf sich warten, Susanne erzählt dem jungen Mann, zunehmend auch sich selbst. Beim Abschied Georgs am Ende seines Zivildienstjahres ist Susanne, als sei sie selbst noch einmal auf dem Weg.

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Carmela, krause Zöpfe, gerade Nase, rundes volles Kinn wie eine griechische Göttin, die Augen klein, ein Mädchen ursprünglich, trotzig und voll wilder Energie, taucht im Laden auf will von Antonio eisgekühlte Limonade, nimmt dem sich ausruhenden Besitzer den Fächer aus der Hand, wedelt sich selbst Luft zu. "Scheinbar haben wir uns gern, wir treffen uns überall ...", sagt sie zu Antonio. "Genauso wie Hund und Katze, die treffen sich ja auch überall", erwidert Antonio .

Der Pförtner weist Susanne den Weg. Susanne verirrt sich einige Male, bis sie endlich ins Vorzimmer von Arthur Brauner gelangt. Ich komme mit einem Anliegen von Horst Buchholz, wiederholt Susanne. - Und was ist das für ein Anliegen?, will die Vorzimmerdame wissen. Das möchte ich nur Herrn Brauner selbst sagen! - Na ja, er ist gerade da. Aber ob er Sie empfängt? Die Vorzimmerdame unschlüssig.

Die Dame drückt auf eine Taste der Gegensprechanlage. Ja, hier ist ein Fräulein Burkard!, sagt sie. Susanne hört ein Brummen: Hab keine Zeit. -Aber es ist dringend! Susanne hakt nach. -Aber es ist dringend!, sagt die Vorzimmerdame.

Na gut, rein mit ihr!, hört Susanne. Ein Sesam-öffne-dich voll-zieht sich. Die Tür geht auf. Susanne betritt den Raum. Da sitzt der Allgewaltige der Filmkunst, der liebe Gott. Oder besser: der Anführer der teuflischen Heerscharen: denn dunkel seine Augen, buschig, spitzwinklig, dunkel seine Augenbrauen, sein Schnurrbart. Und vor allem: Er ist glatzköpfig. Susanne hat sich zu der schönen Dame im Sportcoupé einen anderen Mann vorgestellt. Was hat Sie hergetrieben?, fragt Atze Brauner mit östlichem Akzent, rollendem R.

Die Mutter nimmt Carmela das Tuch vom Kopf "Ich hab mir die Haare gewaschen.", sagt Carmela. "Und davon sind sie so kurz?" - "Ja." - "Carmela, was hab ich da nur zur Welt gebracht!"

Schließlich schlottert Susanne. Immerhin stottert sie nicht. Noch trägt sie ihren dicken Pferdeschwanz. Es gab noch keinen, für den es sich lohnte, ihn abzuschneiden. Anders als bei Carmela, die sich in Antonio verguckt hat und ihn nicht mehr in Ruhe lässt. Doch wäre Susanne für den Film zu allem bereit.

"Ach, geht doch alle zum Teufel!", erwidert Carmela.

Na ja, ich hab etwas übertrieben, sagt Susanne, schwächt ihr dringendes Anliegen ab. Es ist so, ich interessiere mich sehr für den Film. Ich hab in Babelsberg an der Filmhochschule eine Aufnahmeprüfung gemacht. Der Allgewaltige lacht los. Schön, sagt er. Abgelehnt, was? Durchgefallen? - Nö, nö, so war's nicht ganz! Susanne widerspricht. - Und wer ist dabei gewesen?, will Atze Brauner wissen. Es kann schon sein, dass er in Susanne ein Menschlein sieht, ganz am Anfang, wie er doch sicher auch einmal ganz am Anfang gewesen ist. Es kann auch sein, der Typus kommt ihm bekannt vor. Jedenfalls ist ER nicht abgeneigt. Die Namen, die Susanne nennt, sagen ihm nichts bis auf den des Defa-Regisseurs, der den "Thälmann"-Film gemacht hat. Kurt Maetzig. Ha!, macht er da. Und was treiben Sie?, fragt er. Ich bin in einer Bibliothek, einer wissenschaftlichen. Aber auf dem Absprung zur Wismut. Zum Volk. So sagt sie wörtlich. Damals schon der Hang zum Volk. Zur Kunst und zum Volk. Und ich drehe Amateurfilme und versuche, zum Studium zu kommen. - Na ja, sagt Atze Brauner. Ihr Abitur wird hier nicht anerkannt. Dann will ich dazusetzen, das Abitur macht es auch nicht, formuliert er eigenartig, wählt eine Nummer. Reden Sie mit unserem Chefdramaturgen! Da hat er schon den Chefdramaturgen am Apparat. Ja, hier ist ein Fräulein Burkard!, sagt er. Und wie er Susannes Nachnamen nennt, fällt das weich rollende R besonders auf. Zeigen Sie ihr mal, reden Sie mit ihr, trinken Sie eine Tasse Kaffee auf Kosten des Hauses! Susanne bedankt sich. Na, sagt er, verhalten Sie sich so, dass ich mir den Namen Burkard merken muss! Einschmeichelnd wieder das weich rollende R.

Selig kehrt Carmela heim in den bergigen Garten ihres Vaters. Antonio hat Arbeit. Er wird einen Omnibus chauffieren. Gerade war am Bahnhof die Einweihungsfeier, der Priester segnete den Bus. Der Vater erfährt, wo Carmela war. "Wenn du geklaut hast, bekommst du eine Ohrfeige, dass du die Engel singen hörst", sagt er. Carmela wendet dem Vater die Wange zu. "Papa, lass sie singen", bittet sie, bekommt eine derbe Ohrfeige, verzieht die Nase, hält sich die Hand an die Nase und fängt im Garten des Vaters herrlich an zu singen.

Man weist Susanne den Weg zu einer Baracke. Der Chefdramaturg spricht die Sprache der Intellektuellen, weshalb Susanne sich fürchtet. Doch schnell stellt er sich auf Susanne ein. Wie finden Sie denn die Defa-Filme?, fragt er. Ja, sagt Susanne, die Frühen! Nennt Titel. Als ersten "Die Mörder sind unter uns". Den hat Staudte gedreht! Der Chefdramaturg lächelt. Und weiter? "Ehe im Schatten", "Die blauen Schwerter", noch einen Titel. Der Hauptdarsteller ein Westdeutscher!, erwidert der Chefdramaturg. Susanne wird böse. "Vergesst mir meine Traudl nicht", "Die Buntkarierten". Bald weiß sie nicht mehr weiter. Bis zum Mauerbau spielen die Schauspieler wahlweise im Osten und im Westen, danach nur in Ausnahmen.

Der Chefdramaturg fragt nach internationalen Filmen. Susanne spricht von Produktionen mit Gerard Philipe.

"Meine erste Hinrichtung, der ich beiwohne! Muss man alles mal erlebt haben. "Rittersporn zeigt sich weniger wissbegierig als sein Freund Fanfan: "Meine arme Frau! Sie hat behauptet, sie stirbt vor mir. Alles Schwindel." - "Wer zuerst drüben ist, wartet auf den anderen!" - "Ja, bis gleich!" Der Ast, vorsorglich angesägt, um ein "Gottesurteil" und damit eine Begnadigung zu ermöglichen, bricht. Die Freunde landen auf dem Boden. Noch begreifen sie nicht. "Hach, schon vorbei?", wundert sich Rittersporn. Fanfan sieht verdutzt auf seinen Freund, glaubte nicht, ihn so schnell im Jenseits wiederzutreffen. "Du auch schon da?"

Vorfreude hält länger, sagt man, also kann sich Susanne lange freuen, von einer Stelle des Films auf die nächste und immer so weiter, denn viele Male rannte sie, um Gerard Philipe in der Rolle des Fanfans von der Tulpe im Karl-Marx-Städter Kino anzuschauen.

Susanne nennt Produktionen von Visconti, andere Filme, die in Karl-Marx-Stadt liefen, deren man sich nicht zu schämen brauchte. Na ja, sagt der Chefdramaturg, einverstanden mit Susannes Beurteilung. Sieht nicht übel aus. Und Sie haben sich für Regie beworben? Bei uns würden Sie höchstens als Regieassistentin eingesetzt. Auch bei Ihnen! Und dann müssen Sie wissen, wir arbeiten ganz anders als drüben bei Ihnen oder im sowjetischen Film. Ich bin für die gesamte Produktion von CCC zuständig und habe einen einzigen Mitarbeiter. Außerdem ist der Bereich, in dem sich ein Dramaturg bewegt, sehr schmal. Die eigentliche Beziehung ist die Autor-Produzent. Und wie sieht es mit Ihrem Studium aus?

Susanne berichtet von den vielen Ablehnungen bei verschiedenen Hochschulen, Universitäten, die sie sich nicht erklären kann. Vielleicht hängen sie mit dem Makel zusammen, der Deportation ihres Vaters. Ein Studium muss sein, sagt der Chefdramaturg. Sie müssten nach Westberlin, als Werkstudentin Theaterwissenschaft, Germanistik studieren. Und wenn Sie den besten Abschluss haben, kommen Sie noch lange nicht beim Film, beim Theater unter. Im Übrigen täuschen Sie sich nicht: Unser Beruf ist trocken. Sie scheinen mir nicht der Typ zu sein! Susanne gibt keinen Ton mehr von sich. Der Chefdramaturg fragt nach ihrer Familie.

"Ach, hier bist du also?", staunt Carmela, als sie Antonio "zufällig" im Haus seiner Familie trifft." "Ja, und der Papst ist in Rom", antwortet Antonio.

Aber gutes Kind, Herr Brauner würde Ihnen Arbeit geben! Wenn er Sie in irgendeiner Richtung für begabt hält, gibt er Ihnen eine Chance! Aber ein Studium muss sein, eine Grundlage! Das wird zukünftig in der DDR nicht anders sein! Und Sie sind nicht in der Partei, keine linientreue Genossin! Der Chefdramaturg gibt ihr den Rat, sich an die zuständige Abteilung beim Senator für Kultur zu wenden. Sie können sich gern wieder melden, sagt er zum Abschied. Susannes Beine tragen sie kaum noch. Wie ferngesteuert gelangt sie in die Senatsabteilung, ist in einen Paternoster hinein- und wieder herausgesprungen. Die Vorzimmerdame gibt Susanne einen Begriff von Abstand zwischen westlicher und östlicher Welt. Susanne ist niemand, gar niemand.

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