„Vielleicht wäre mir das nicht einmal so unangenehm.“
JA.
Peter fährt sieben Tage auf eine Konferenz. „Du solltest den Schlafanzug mitnehmen“, sage ich, „wenn du jemand zweiten ins Zimmer bekommst ...“
„Jemand zweiter hält mich sowieso nicht aus“, Peter schließt den Koffer.
„Hast du dir schon einmal überlegt, wie ich es mit dir aushalte?“
Peter ist verblüfft: „ Du hältst es gut mit mir aus.“
SIE SIND GANZ SCHÖN AGGRESSIV, SIE HOLEN SICH HIER DIE ANLEITUNG FÜR DAHEIM. Der Tadel ist unüberhörbar.
Ich gehe mit Nina spazieren, die inzwischen zum Ambulanzbaby geworden ist, weil die Schwestern während meiner Therapie auf sie aufpassen. Ich überlege, was Schneider noch nicht weiß, was er wissen möchte. Wahrscheinlich soll ich von meinen anderen Männern erzählen? Ein katholischer Pfarrer war dabei, ein Schwarzer, einige verheiratete Männer ...
Dann suche ich nach Gemeinsamkeiten und Querverbindungen meiner „Prostitutionsversuche“ und mir fällt auf, dass mir beide Männer ein Auto aufgedrängt haben.
„Das zweite Auto hat Lady Chatterly geheißen, den Namen hat ihm eine Freundin gegeben.“
HABEN IHRE FREUNDE DAVON GEWUSST? Er klingt besorgt.
„Nein“, ich muss lachen. „Die hätten mir das anders reingerieben.“
Abends sitze ich in der Küche, während Peter mit Nina spielt. Ich denke über meine Situation und mein Leben nach. Ich würde so gerne noch einmal ganz von vorne beginnen, zu spät. Aber ich könnte meine jetzige Situation ändern. Wenn ich mich von Peter trenne, muss ich ihm Nina lassen. Ich bin alleine nicht fähig, ein Kind großzuziehen. Ich gehe auf die Toilette weinen.
DANN WERDEN EBEN SIE SICH UM DAS KIND KÜMMERN. WENN DAS ALLES IMMER MIT EINEM OPFER VERBUNDEN IST, WÜRDE ICH MIR DAS AUCH ÜBERLEGEN.... ABER DAS WAR JA NUR EINE FANTASIE.
Meine unglückliche Liebe zur Geigerei beschäftigt mich immer wieder. Vor Jahren hatte ich in einer Provinzstadt über den Sommer Operette gespielt. Hinter mir saß „der Herr Professor“, der mich mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte und mir den Sessel jedes Mal vor Beginn der Vorstellung zurechtrückte. Einmal lud er mich auf eine Bootsfahrt ein. Ich hätte damals gerne gerudert, er ließ mich nicht.
„Der war widerlich.“
ÄUSSERLICH ODER INNERLICH?
„Innerlich.“
Ines und Josefa, die auf der Bühne mitwirkten, hatten die Situation viel schneller als ich durchschaut. „Sei nicht so dumm“, sagte Ines, „der bringt dich in sein Orchester“.
„Damals habe ich gesagt: Ich bin ja nicht für die Geige da, die Geige ist für mich da. Und außerdem, Dinge, die man so bekommt, ist man auch schnell wieder los. Im Theater weiß man von jedem, wie er seinen Job bekommen hat… Aber in Wirklichkeit war trotzdem immer ich für die Geige da.“
Peter wollte mir einmal ein Maturazeugnis „zum Geschenk“ machen. Was er damals dazu brauchte, waren die leeren Zeugnisformulare. Er stellte den Briefkopf einer Schule her, schrieb, man solle dem Überbringer die Formulare aushändigen und fertigte einen Stempel für diese Bestellung an. Darauf zog er seinen besten Anzug an und ging zum Bundesverlag. Er stellte sich der Frau an der Theke als Lehrer des Gymnasiums auf dem Briefkopf vor und sagte, an seiner Schule sei gerade Matura, es hätte sich herausgestellt, dass zu wenig Zeugnisse vorhanden seien.
„Wie viele brauchen Sie?“, fragte die Frau.
Peter musste nachdenken. „Zwanzig“, sagte er schließlich.
Die Frau holte die Zeugnisse und bereitete alles für die Übergabe vor. Plötzlich zögerte sie und sagte: „Wir schicken die Zeugnisse noch heute express.“
Damit war das Unternehmen gescheitert. Peter bedankte sich und ging.
„Ich hätte das Zeugnis aber schon genommen.“
SIE HÄTTEN ES GENOMMEN?
„Heute bin ich froh, dass das damals nicht geglückt ist. Wenn ich nämlich etwas damit gemacht hätte und er einmal böse auf mich ist, würde er wahrscheinlich sagen: Der habe ich das Maturazeugnis gemacht.“
SIE WISSEN DAS ALLES GANZ GENAU UND TROTZDEM MACHEN SIE SOLCHE DINGE… WER WEISS, WIE SEHR ES IHN STÖRT, DASS ER SELBST DIE MATURA NICHT HAT?
„Das glaube ich nicht, Peter weiß sehr viel. Ihm würde das nichts bedeuten.“
Wir sind bei Peters Mutter und machen einen Spaziergang durch das Dorf. Dabei kommen wir an einem Neubau vorbei, der sich wohltuend von den anderen Bauwerken dieser Gegend abhebt. Peter erzählt, dass die Besitzerin dieses Hauses seine Jugendfreundin war.
„Da könntest du jetzt drinnen wohnen“, gebe ich zu bedenken.
„Die wäre zu alt für mich.“
So eine Frechheit, schließlich ist er genauso alt wie diese Frau.
„Du könntest dir ja nebenbei eine junge Freundin halten“, schlage ich vor.
„Dafür bin ich zu anständig“, sagt er bestimmt.
Am Abend holt meine Schwiegermutter Fotos aus Peters Kindheit hervor. Er sieht sich ein Sommerfoto an und dreht es um. Auf der Rückseite steht mein Geburtsjahr. „Damals war ich erst 12 Jahre“, sagt er.
Und ich war noch überhaupt nicht auf der Welt, denke ich mir.
SIE HABEN GEWONNEN, sagt Schneider trocken.
Ich muss lachen.
Es ist Samstag. Peter ist wie jeden Samstag zeitig in der Früh aufgestanden, um auf dem Markt einzukaufen. Zeitig deshalb, damit er noch die größte Auswahl hat. Er kommt dann mit zwei schweren Taschen zurück. Irgend etwas verdirbt jedes Mal, weil wir nicht so viel essen können. Peter ist böse, wenn er sieht, dass ich Dinge von seinen Einkäufen wegwerfe. Meistens mache ich das heimlich, um einer Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen. Manchmal sieht er im Mistkübel nach, was ich weggeworfen habe und nimmt wieder Sachen heraus, von denen er glaubt, er könne sie noch brauchen. Anfangs hat mich dieses Verhalten belustigt, ich habe ihn dabei fotografiert und ihn teils liebevoll einen der letzten Miststierer genannt. Er hat einen Eichhörnchentrieb, er sammelt und sammelt.
Ich füttere Nina, sitze vor Peters Schreibtisch und mein Blick fällt auf seinen Kalender. Heute ist Hochzeitstag und ich habe darauf vergessen. Es ist mir unangenehm, weil Peter sich das sogar aufgeschrieben hat. Während Nina trinkt, überlege ich, was ich machen soll. Vielleicht wartet er, ob ich daran denke? Wenn ich nicht daran denke, vielleicht „vergisst“ er dann auch? Das wäre mir am liebsten.
Als er nach Hause kommt, bringt er einen großen Strauß Blumen und ich entschuldige mich, weil ich nichts habe.
Am Nachmittag gehen wir spazieren. Während er den Kinderwagen schiebt, versucht er ein Gespräch über den Tag unserer Hochzeit in Gang zu bringen, ich lenke jedes Mal ab.
Außer unseren Trauzeugen hat niemand von der Hochzeit gewusst. Peter hätte diesen Tag gerne mit großem Pomp gefeiert. Im Theater war gerade Urlaubssperre, weil wir ein Werk spielten, das für einen Substituten zu schwer gewesen wäre - für die Geige ein Stück mit Höhen- und Gefahrenzulage. Mein Ehrgeiz war, bei der letzten Vorstellung alle Noten zu spielen (es gelang mir nicht), gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dringend Urlaub zu brauchen. Wenn ich heiratete, musste ich Urlaub bekommen.
Wir haben geheiratet, nachdem wir ein dreiviertel Jahr zusammen gewohnt hatten. Für Peter war der Gang zum Standesamt wichtig. Auch dann, wenn ich danach meinen Mädchennamen behalten würde. Meinen Namen anzunehmen hätte für ihn bedeutet, seine „Identität auszuradieren“. „Du bekennst dich nicht zu mir“, sagte er, wenn wir über dieses Problem sprachen.
Meine Trauzeugin war meine Orchesterkollegin Choung Sim.
Choung Sim kam aus Korea und spielte Cello. Sie war mir erst aufgefallen, nachdem sie mich einmal verlegen um meinen zweiten Geigenbogen gefragt hatte, weil sie ihren Cellobogen vergessen hatte. Seit diesem Tag hatte ich sie gemocht.
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