Ich sah Bernd erschreckt an. Wollte er mich etwa loswerden? Wollte er mir kündigen? Lag es daran, dass ich die Mettbrötchen gegessen hatte? Ich versuchte etwas zu sagen, doch mein Freund hielt die rechte Hand hoch. „Sag jetzt nichts, Jonathan, das war nur ein Scherz. Wir brauchen dich hier und du hast dich in den letzten Jahren ja auch ganz gut eingearbeitet. Und über deinen neuen Job erzähle ich dir gleich mehr, sobald du dich ein wenig gesäubert hast ...“
Ich sah Bernd an. Was meinte er denn jetzt wieder? Dann schaute ich an mir herunter. Alles tadellos. „Was meinst du mit ‚gesäubert‘?“
„Nun ... Du hast da etwas vom Frühstück in deinem Bart hängen, das aussieht wie Marmelade, Mett und Kaffee. Ich glaube, du musst erst noch lernen, mit deinem Bewuchs im Gesicht richtig klarzukommen. Tu mir den Gefallen und geh kurz in den Waschraum. Danach sprechen wir über den Auftrag.“
Im Toilettenraum betrachtete ich mein Spiegelbild. Bernd hatte Recht gehabt und es fanden sich Wurst und Marmeladenreste in dem Bart. Auch etwas Kaffee war dabei. Aber lange nicht so gravierend, wie mein Freund es darstellte. Da hätte er mich im Urlaub erleben müssen! Einmal verfing sich sogar ein komplettes Stück Currywurst in den Haaren. Ich musste grinsen, als ich daran dachte, dass ich den ganzen Abend mit der Wurst im Gesicht herumgelaufen war. Da hätte Bernd mich einmal sehen müssen!
Aber vielleicht stimmte ja, dass es bei mir noch einen gewissen Lernbedarf gab, was meinen Bart und das Essen anbelangte.
„Das hat aber gedauert“, empfing mich mein Chef und deutete erneut auf den Stuhl. „Du hast doch nicht komplett geduscht, oder?“
„Nein, nein. Ich musste nur an einen Abend in Spanien denken, als ich einmal mit Curr...“
„Gut, Jonathan“, unterbrach er mich. „Kommen wir jetzt zu deinem Auftrag, denn du hast um elf Uhr schon einen Termin bei unserem Klienten. Und zuvor willst du doch bestimmt noch kurz die Kollegen begrüßen? Sam wirst du allerdings erst heute Nachmittag treffen können. Also sollten wir jetzt keine Zeit verlieren.“
Ich nickte. Auf Sam freute ich mich schon. Der gerade einmal ein Meter achtundsechzig große Doktor der Molekularen Medizin hieß mit vollem Namen Samuel L. Terbarrus und blickte auf einen asiatischen Ursprung zurück. Auch er hätte in seinem ursprünglichen Beruf ein ruhiges Auskommen haben können, entschied sich damals aber für das aufregende Leben als Personenschützer. Wie wir alle hatte er sich der Bekämpfung des Bösen verschrieben.
Bernd machte mich neugierig auf meinen ersten Job nach dem Urlaub. Ich spürte, wie das Blut in meinen Adern wieder zu pulsieren begann. Ja, ich war wieder da - der Beschützer der Schwachen und Kämpfer für das Gute. Mein Revolver im Schulterholster wartete förmlich auf einen Einsatz und alles in mir wollte laut aufschreien: ‚Ja Bernd, sag es doch endlich. Worum geht es?‘
Stattdessen drang Bernds Stimme in meine Gedanken: „Jonathan, hey was ist - schläfst du? Können wir endlich zu den Fakten kommen?“
„Ja ... ja natürlich. Entschuldige, aber ich freue mich so auf den Einsatz. Was ist es denn, etwas Gefährliches oder eine Observ...“
Bernd unterbrach mich erneut: „Das erkläre ich dir ja gerne, sobald du mich zu Wort kommen lässt. Also, jetzt halte einfach einmal den Mund und höre mir zu!“
Ich nickte und vollführte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand das Zeichen der Versiegelung der Lippen. Leider vergaß ich meinen Bartwuchs und blieb mit den Fingern darin hängen. Ruckartig drehte sich mein Kopf nach rechts und ich vernahm aus Bernds Richtung ein leises Lachen.
Als ich ihn schließlich wieder anblickte, fuhr er fort: „Es geht um einen guten Bekannten von dir, der ein Problem mit seinem Koffer hat. Es ist der H...“
Ein guter Bekannter? Ich konnte nicht an mich halten und unterbrach Bernd: „Gerd? Ist es Gerd? Oder Egon? Nun sag schon!“
Bernd sah mich ernst an und wiederholte mein Zeichen für den verschlossenen Mund. Nur dass er sich nicht in seinem Bart verhedderte.
„Jonathan, lass mich endlich ausreden“, meinte er ernst und ich hörte ein wenig Ärger in seiner Stimme mitschwingen. „Es handelt sich bei deinem Bekannten um Herrn Weser.“
„Herr Weser?“, fragte ich erschreckt. Dieser dicke Alte war mein schlimmster Albtraum und jedes Mal, wenn ich mit ihm zu tun hatte, musste ich mich stark zurückhalten, den Kerl nicht zu ermorden. Weser kostete mich mit seiner fürchterlichen Art den letzten Nerv.
„Nicht der. Bernd, das kannst du mir nicht antun!“
Mein Chef lächelte: „Weser aber scheint dich zu mögen. Zumindest hat er sich erkundigt, wie es dir geht.“ Dann neigte er leicht den Kopf und fügte hinzu: „Allerdings hat er sich auch nach Christine und Monika erkundigt. Ja, eigentlich fragte er ganz direkt, ob Chrissi ihm nicht helfen könnte. Aber wie ich vorhin ja schon erklärte, befindet sie sich zusammen mit Monika in Südafrika.“
„Bernd, der Alte wird mir die ganze Urlaubserholung ruinieren. Was ist mit Birgit? Kann die den Fall nicht übernehmen?“
Bernd seufzte: „Birgit macht diesen Politessenjob. Schon vergessen? Die steht momentan nicht zur Verfügung.“
„Hat Wesers Auftrag denn nicht Zeit, bis Chrissi und Moni wieder zurück sind?“
„Jonathan!“ Plötzlich schlug mein Chef einen etwas strengeren Ton an. „Das hier ist kein Wunschkonzert. Du kannst nicht einfach einen Auftrag ablehnen, nur weil dir der Mann nicht gefällt. Wäre es etwas Unmoralisches, dann sähe die Sache anders aus, aber so ...“
„Weser ist unmoralisch“, murrte ich und fing mir einen strafenden Blick ein. „Meine ich ja nur“, ruderte ich kleinlaut zurück. „Kann denn Jennifer so etwas nicht machen? Ich stelle mich auch so lange an die Rezeption.“
Bernd schüttelte nur den Kopf.
Und dann schoss mir die Lösung durch den Kopf: „Das kann doch auch der Praktikant übernehmen, dieser Ohrkrach!“
„Der Junge heißt Gisbert Orbach und ist Schüler am Odenkirchener Gymnasium. Erwartest du von mir, dass ich einen siebzehnjährigen Schüler ohne irgendwelche detektivische Erfahrung hinausschicke?“
Ich sah Bernd nur an. Natürlich war das richtig, was er sagte. Aber würde Gisbert nicht einfach Herrn Weser fragen können, worum es ging und mir dann alles berichten? Ich wollte Bernd meine Gedanken mitteilen, als der mich angrinste und meinte: „Natürlich, das ist die Lösung. Jonathan, manchmal sind deine Ideen gar nicht so schlecht. Na ja, zumindest teilweise ...“
Ich jubelte innerlich. Bernd schien den gleichen Gedanken wie ich gehabt zu haben. Ja, wir verstanden uns halt auch ohne viele Worte. Bernd, mein Freund und Chef und ich.
„Also, so machen wir es: Ich eise Gisbert bei Jennifer los und du nimmst ihn mit zu Herrn Weser. Eine bessere Einführung in die Praxis der Detektivarbeit kann der Junge kaum bekommen.“
Mir fiel die Kinnlade herab und ich musste Bernd ziemlich entgeistert angesehen haben, denn der lachte plötzlich laut auf: „Na, na, Jonathan. So schlimm wird es schon nicht werden. Weser ist doch eigentlich ganz nett und Gisbert ein ziemlich patenter junger Mann. Also schließe den Mund ruhig wieder und höre mir zu: Die Sache dürfte ein Klacks für dich sein, quasi wie Urlaub nach dem Urlaub. Und völlig ungefährlich ist es dazu. Weser ist vergangene Woche am Samstag mit dem Flugzeug aus Lublin am Flughafen Düsseldorf angekommen. Als er sein Gepäck abholen wollte, fehlte sein Koffer. Wenn ich den Mann richtig verstanden habe, handelt es sich bei dem Inhalt um irgendwelche Antiquitäten, die er von einer entfernten Tante geerbt hat. Aber das kann er dir ja alles haarklein selber erklären. Jedenfalls musst du pünktlich um elf Uhr bei ihm sein.“
„Dublin, liegt das nicht in Irland?“, fragte ich und freute mich auf einen Kurzurlaub. Wenn ich den Koffer suchen müsste, dann bestimmt dort. Nur den Praktikanten sollte ich vorher wieder loswerden, denn ein paar Tage auf der Suche nach dem Koffer wollte ich schon alleine verbringen ...“
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