„Ich könnte da was machen. Raumplanung ist meine Spezialität.“
„Mir gefällt es hier, okay. Ich weiß ja nicht, was du so gewöhnt bist, aber alles ist besser, als auf der Straße zu leben.“ Verdammt, jetzt ist mir doch tatsächlich etwas rausgerutscht.
Er sieht mich verblüfft an. „Du hast auf der Straße gelebt?“
„Du weißt schon, wie ich das meine, Meric“, rede ich mich raus.
„Du hast keine Ahnung wer ich bin, oder?“
„Doch, du bist Meric. Mein Hexen-Stalker.“
Ein Geräusch unterbricht uns. „Was war das?“, will er wissen.
„Ignorieren, einfach ignorieren.“
„Ist das einer deiner Mitbewohner?“
„Schon möglich. Definiere Mitbewohner.“
„ Du wohnst hier ganz allein ?“, mutmaßt er krächzend.
„Sieht so aus, hört sich ganz und gar nicht so an. Aber hey, es gibt fließend heißes Wasser und ich hab nur ein vernachlässigbares Mäuseproblem.“
„Hast du denn keine Angst?“
„Und wie.“
„Du siehst nicht so aus“, stellt er mit zusammengekniffenen Augen fest.
„Alles Tarnung. Der Trick ist, seine Umgebung auszublenden und sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren.“
Er nickt leicht. „Muss ich mir merken.“
„Komm schon, du hast doch vor gar nichts Angst. Ich meine, du brauchst doch nur den Zauberstab zu schwingen und schon zittern die Bösewichte vor dir.“
Er lächelt überheblich. „Macht dich das an?“
„Und wie. Jedes Mal, wenn ich dich sehe, hab ich diesen Drang, mich dir an den Hals zu werfen.“
„ Echt ?“ Er hat die Augen weit aufgerissen.
„Natürlich nicht, du Spatzenhirn.“ Er lächelt.
„Du hast mich echt Spatzenhirn genannt.“
„Du hast es herausgefordert.“
„Ich könnte dich verhexen.“
„Ich könnte dir einen Toten auf den Hals hetzen.“ Er scheint etwas eingeschüchtert zu sein.
„Du bluffst.“
„Genauso wie du.“ Jetzt lächeln wir beide.
Meric dreht den Kopf zur Seite. „Mein Vater ruft mich.“
Ich weiß nicht wieso, aber blitzschnell sind meine Augen mit Tränen gefüllt. Wie sich das wohl anhört, wenn man von seinem Dad gerufen wird?
„Melody? Wieso kuckst du so traurig?“
Ich winke ab. „Los, hau schon ab.“
Jetzt wird sein Blick irgendwie eigenartig. „Soll ich dich wirklich alleinlassen?“
Wird sich wohl kaum vermeiden lassen. Außerdem bin ich ganz gerne allein. Das macht mir nichts aus.
„Gute Nacht Meric“, raune ich ungeduldig.
Im nächsten Augenblick ist er schon weg. Meine Hände zittern und ich glaube, ich hab grad wieder so einen schwachen Moment, den ich mit heftigem Kopfschütteln zu vertreiben versuche.
„Du siehst müde aus.“ Meric steht hinter mir am Spind. Ich schließe die Tür, hole aus und boxe ihm an die Schulter.
Verblüfft greift er danach und protestiert: „Hey, wofür war das denn?“
„Das war dafür, dass du mir gestern Nacht auf die Brüste geglotzt hast. Und denk ja nicht, ich würd so was nicht mitbekommen, mein Freund.“
„Schätze, das hab ich verdient. Aber sie sind schön.“ Ich halte mir die Ohren zu.
„Diese Unterhaltung ist nun beendet.“ Der Typ ist echt gruslig.
Er schnappt nach meiner Hand und hält seine darüber. „Hey, was zum …“ Sie wird warm und fängt an zu kribbeln. Keine zwei Sekunden später lässt er sie los. Dort, wo die Verbrennung von gestern war, ist jetzt wieder heile Haut. Ich lächle dankbar. Meric will mir die Hand küssen, die ich ihm unter der Nase wegziehe. Kopfschüttelnd eile ich davon.
Schneller als sonst mache ich mich auf den Weg zur nächsten Stunde. Der einzige Lichtblick – das Schwimmtraining. Wasser ist mein Element und heute ist die Bewerbungsrunde fürs Schwimmteam. Und ich will da rein. Unbedingt.
In der Umkleide krieg ich ungebremst die geballte Ladung Was-will- die -denn-hier-Blicke ab, aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Auch nicht vor den weiblichen Wassermännern – heißen die eigentlich Wasserfrauen oder Meerjungfrauen? Sie haben schon mal keine Fischschwänze. Egal.
Ihre Haut schimmert fast bläulich-silbern. Sie haben Schwimmhäute und Kiemen, sehen aber sonst wie normale Teenager aus. Ich frage mich, ob ich überhaupt Chancen habe, gegen sie anzutreten – wohl eher nicht.
Turmspringen ist meine größte Leidenschaft. Das ständige Leben in Angst, meine Badesachen beim Eintauchen zu verlieren, ist der ultimative Kick für einen Adrenalinjunkie wie mich – schön wärs.
Mein schwarzer Monokini, der mit goldenen Ringen zusammengehalten wird und aussieht wie ein Bikini, ist perfekt. Man könnte auch einen normalen Badeanzug anziehen, aber seien wir uns mal ehrlich – damit sieht doch jeder wie seine eigene Oma aus.
Ich mag meinen Körper eigentlich und muss mich nicht verstecken. Außer meine Haare, die sind so kurz, dass sie in alle Richtungen abstehen. Die werden schön säuberlich mit der Mütze verdeckt.
Mein Umkleidekabinen-Selbstbewusstsein wird auf eine harte Probe gestellt, als ich erkenne, dass wir wohl gemischte Gruppen haben und ich wieder mal die Aufmerksamkeit der gesamten Halle auf mich ziehe.
Was glotzt ihr so? Noch nie ein Tattoo gesehen? Ja – ich geb’s zu. Das sind Reliquien einer Zeit, in der ich alles versucht habe, um die Toten loszuwerden. Einer der Exorzisten meinte, ich solle mir doch Runen auf die Haut tätowieren lassen. Hey, es klang in dem Moment plausibel. Außerdem war ich verzweifelt.
Raus kam ein Tattoo, das sich unterhalb meiner rechten Brust über meine gesamte rechte Körperhälfte zieht.
Von der Nähe aus betrachtet, erkennt man Runen, aber von Weitem sieht es so aus, als wäre ein Drache auf meiner rechten Seite gelandet. Sogar auf meinem unteren Rücken sind seine Flügel erkennbar. Eine seiner Krallen gräbt sich in meine Unterbrust. Ach, und an meinem rechten Bein schlängelt sich sein Schwanz entlang. Als ich es zum ersten Mal sah, hat es mich fast umgehauen. Das ist echt zum Fürchten.
Naja, was soll ich sagen – geholfen hats nicht, aber einen Versuch wars wert.
Die Mädchen brechen in kollektives Getuschel aus. Den Jungs sind die Kiefer reihenweise runtergeklappt. Ich strecke die Schultern zurück und tue das, was ich mittlerweile am besten kann – ich ignoriere es.
Nachdem ich mich auf die Tribüne gesetzt habe, kommt einer der Kelten auf mich zu und glotzt mir an die Seite.
„Sie trägt Runen, die ich noch nie gesehen habe“, brüllt er wild. Was immer das auch genau bedeuten mag, es löst das Augenbrauending aus.
„Was für ein Freak“, stößt die Blonde, die gestern im Wagen des Arroganz-Kelten Aidan mit von der Partie war, aus.
„Ruhe“, hallt es vom Beckenrand und ein älterer, muskelbepackter Wassermann tritt an den Beckenrand.
„Ich bin Coach Nixon. Wer ins Schwimmteam will, sollte jetzt besser die Klappe halten und mir einen Sprung liefern, der sich gewaschen hat. Verstanden?“ Geht klar.
Der Coach ruft einen Wassermann auf, der sogleich den Zehnmeterturm erklimmt. Meine Augen wandern umher und was ich sehe, lässt sich echt sehen. Muskelbepackte Männer in Badehosen sind echt knackig.
Oh nein. Gerade haben sich meine und die Blicke von Aidan, dem nun lederjackenlosen Kelten, verwoben. Schnell drehe ich den Kopf weg. Es wird nicht besser – ich treffe auf einen winkenden Meric. Genervt rolle ich mit den Augen und sehe den Wassermännern bei den Sprüngen zu.
Die sind echt gut. Dreifachsalto, mehrere Schrauben. Wahnsinn. Meine Hoffnung, ins Team zu kommen, schwindet.
Jetzt ist Aidan an der Reihe. Auch er liefert definitiv eine Höchstleistung ab. Vor allem, weil er aus dem Handstand gesprungen ist. Verdammt.
Meric sieht etwas grün aus, als er die Stufen emporklimmt. Wie erwartet ist sein Sprung eher Amateurliga. Hey, fürs Schwimmbad reichts. Es gibt ja auch Arschbombenwettbewerbe – da ist er sicher Bombe.
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