Andreas Schwedt
Hoffnung
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Inhaltsverzeichnis
Titel Andreas Schwedt Hoffnung Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1: Kindersorgen
Kapitel 2: Liebeswirren
Kapitel 3: Krisenzeiten
Kapitel 4: Elternschmerz
Kapitel 5: Todsünde
Kapitel 6: Burgunder
Kapitel 7: Leben in der Hölle
Kapitel 8: Schmerzlicher Tadel
Kapitel 9: Ende aller Hoffnung
Danach
Epilog
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Verweise
Impressum neobooks
Hoffnung
Roman
Andreas Schwedt
Impressum
Text: Copyright © 2017 by Andreas Schwedt.
Verweise im Text siehe letzte Seite.
Umschlag: Copyright © by Andreas Schwedt.
Kontakt: asbooks@web.de
Auch als Printversion überall im Buchhandel erhältlich.
Für meine Frau Anja
Wenn Burgunder damals schon da gewesen wäre, hätte das wahrscheinlich ein wenig geholfen. Vielleicht hätte sie ihre Tränen einfach hinunterschlucken können und sich an Burgunder kuscheln können, während diese sie fest umschlossen in ihren kräftigen Armen gehalten hätte.
Aber damals gab es keine Burgunder, sie war ganz mit sich und der Verunsicherung, dem Entsetzen, allein. Und ihre Tränen konnte sie nicht hinunterschlucken, sondern sie liefen ihr wie Wasserfälle aus den Augen, mit denen sie deswegen ihre Mutter kaum noch erkennen konnte.
Sie saß stumm da vor ihrer Mutter am Küchentisch und war handlungsunfähig. Sie wollte gerne verstehen was hier vor sich ging – so gerne verstehen, doch sie verstand es einfach nicht. Genauso wenig wie sie vor etwa einer halben Stunde verstanden hatte, was gerade passierte.
Als ihr Vater in das Wohnzimmer gekommen war und langsam zu ihrer bedrückten Mutter hinüber schlurfte. Sie sah, dass er einen großen, braunen Koffer mit der rechten Hand trug.
Schon als er den Raum betreten hatte, sprang ihre Mutter wie von der Tarantel gestochen auf. Es schien ihr, als sei es die Unruhe, die sie schon den ganzen Tag bei ihr bemerkt hatte, die sich nun in diesem unglaublich hektischen Aufspringen entlud. Schon den ganzen Tag hatte sie darüber gegrübelt, warum ihre Mutter wohl heute so angespannt und dennoch voller Unruhe war. Es schien eine Anspannung zu sein, die nur darauf wartete entfesselt zu werden. Und genau das passierte, als ihr Vater, den sie bis jetzt den ganzen Tag noch gar nicht gesehen hatte, den Raum betrat.
Mutter stand da und sie sah, wie ganz, ganz langsam eine Träne über die linke Wange ihrer Mutter rollte. Noch nie hatte sie ihre Mutter weinen gesehen, und als es jetzt so weit war, krampfte sich ihr Magen zusammen. Sie spürte instinktiv, dass dies eine sehr kritische Situation war. Kritisch warum auch immer, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum ihre Mutter so angespannt war und es schien, als habe sie gerade diesen Augenblick aufs Äußerste gespannt erwartet.
Ihr Vater durchquerte den Raum. Sie versuchte aus seinem Gesicht etwas ablesen zu können. Etwas entschlüsseln zu können, was ihr die ganze Situation hier hätte erklären können. Doch sein Gesicht verriet nichts und alles. Es schien ihr, als wolle und könne er nicht, als täte ihm etwas furchtbar leid, doch könne er nichts daran ändern. Als würde er etwas verlieren und doch etwas gewinnen. Sein Blick war geradeaus auf Mutters Gesicht gerichtet. Irgendwie schien es, als müsse er sich anstrengen, ihr in die Augen zu blicken.
Mutter stand da und erwartete ihn. Ihr Gesicht sprach Bände und das nicht nur wegen der Träne – es war pure Verzweiflung die ihr ins Gesicht geschrieben stand, als wolle sie etwas mit aller Macht festhalten und könne es nicht. Sie erwartete stumm, dass er bei ihr ankam, still trauernd, warum auch immer.
Als ihr Vater dann endlich bei ihrer Mutter ankam, blieb er vor ihr stehen und stellte den Koffer ab. Dann wandte er den Blick nur ein klein wenig nach rechts, weg von ihr, hin zu Melanie. Sie saß schließlich direkt neben ihrer stehenden Mutter auf der Couch.
Vater machte einen Schritt nach rechts und beugte sich zu ihr hinunter. Sie sah seine müden, schweren Augen. Aus ihnen konnte sie absolut nicht deuten, was diese ganze Situation bedeuten sollte, geschweige denn, was er ihr wohl gleich sagen würde.
Sie liebte ihren Vater, seine tiefe, ruhige Stimme, die schon so oft zu ihr gesprochen hatte. Ihr Vater, der mit ihr oft im Garten gespielt hatte, wenn er die Zeit dazu gefunden hatte. Sie hatte es stets genossen mit ihm ihre Spiele zu spielen, mit ihm herumzutollen und Hoppe-hoppe-Reiter zu spielen. Ja sie hatte es einfach genossen, wenn sie in seiner Nähe war. Sie liebte ihn über alles. Doch nun, als er sich zu ihr herunterbeugte, mit diesen undurchdringlichen Augen, aus denen sie nicht schlau werden wollte, hatte die ganze Situation etwas Beklemmendes an sich. Sie erwartete, dass dies alles kein gutes Ende nehmen würde, konnte sich aber nicht vorstellen, worin das Ende von diesem allen bestehen sollte.
Sie verstand die ganze Situation auch dann noch nicht, als er langsam seine rechte Hand auf ihre linke Wange legte und sie bemerkte, wie sich nun auch bei ihm eine Träne ihren Weg aus seinem rechten Auge zu seiner Wange bahnte und er zu ihr genau drei Sätze flüsterte: „Auf Wiedersehen, Mel. Ich muss gehen. Mach’s gut mein Kind!“
Und da saß sie dann, die kleine Melanie Degenhardt, und sah, wie ihr Vater sich wieder aufrichtete, und sich erneut ihrer stummen Mutter zuwandte.
„Dann bin ich mal weg“, sagte ihr Vater. „Es ist am besten so“.
Mutter stand nach wie vor schweigend da. Was sich verändert hatte, war, dass aus der einen Träne ein Dutzend Tränen geworden waren. Stumm liefen sie ihr übers Gesicht.
Ohne Mutter zu berühren oder gar zu küssen, wie Melanie es früher beobachtet hatte, senkte ihr Vater den Kopf, griff nach seinem Koffer, hob ihn an, wandte sich um und ging, zügiger als er hereingekommen war, aus dem Raum. Nur Sekunden später fiel die Wohnungstür ins Schloss.
Und Mutter stand da. Eine Minute, dann zwei, drei – Melanie kam es vor, als stünde sie eine ganze Stunde da, auch wenn es sicher nicht so war. Tränen liefen ihr in einem Strom über die Wangen, ihr Gesicht verriet Schmerz. Und Melanie fragte sich, wohin ihr Vater gegangen war. Doch weil sie selber die Unbehaglichkeit der Situation spürte, spürte dass hier irgendetwas Schlimmes vor sich ging, wagte sie nicht, ihre Mutter zu fragen, was das war. Und so weinte sie die Ströme der Tränen ihrer Mutter mit.
Irgendwann, als die Tränen versiegt waren, ganz langsam, setzte sich ihre Mutter hin, direkt neben sie auf die Couch. Den Kopf gesenkt, weinte sie noch immer tränenlos. Da endlich hielt es Melanie nicht mehr aus. Sie umfasste mit ihrem rechten Arm die Schultern ihrer Mutter. Auch wenn sie mit ihren zehn Jahren noch gar nicht erwachsen war, gelang ihr das irgendwie, denn ihre Mutter war recht schmal gebaut.
Und als sich ihre kleinen Finger in die die rechte Schulter ihrer Mutter bohrten, bemerkte sie, dass diese sich augenblicklich versteifte. Sie bemühte sich, ihre Tochter nicht in diese Traurigkeit hineinzuziehen, wenn es dafür natürlich viel zu spät war, denn Melanie hatte zwar die Situation nicht begriffen, sehr wohl aber, dass ihre Mutter in eine tiefe Traurigkeit versunken war und sie darum hatte einfach weinen müssen.
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