Titel Seite
Impressum
Copyright 2018 (1.Auflage) by Rena Bardorf
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Peter Lindemann
Covergestaltung: Paul Rommel
Damals – und die Hoffnung starb zuletzt
Buch
Eine Liebe unter dem Damoklesschwert
Der härteste Winter seit vierzig Jahren
Eine Odyssee des Grauens
Masuren, Januar 1945. Eine Welt im Strudel des Wahnsinns. Martha Molinskis heimliche, verbotene Liebe zu dem polnischen Zwangsarbeiter Jan wird auf eine harte Probe gestellt, als sie mit ihrer Großfamilie die Flucht von Gut Mantowen antreten muss. Im Schlepptau: Charlotte, ein auf Linientreue eingeschworenes „arisches Glanzlicht“, für das Verrat zu den Tugenden zählt. Nach einer alptraumhaften Irrfahrt durch Masuren haben sie erstmals ein konkretes Ziel: die „Wilhelm Gustloff“ am Pier von Gotenhafen. Doch der Weg führt über das gefrorene Haff – ein Todesmarsch. Und ein weiteres Problem liegt vor den beiden Liebenden: Was wird aus Jan, sollte Martha auf das Flüchtlingsschiff gelangen?
Autorin
Rena Bardorf (bürgerlicher Name: Renate Panja Bartsch) wurde am 22.06.59 in Obererbach (Westerwald) geboren und lebt seit 1980 in Bendorf am Rhein. Schon in jungen Jahren gab es für sie kaum etwas Schöneres, als Menschen mit ihren Erzählungen zu unterhalten, sie zu informieren und in fremde Welten eintauchen zu lassen? Darum nutzt sie, allen Alltags-Turbulenzen zum Trotz, auch jede freie Minute, um ihrer heimlichen Leidenschaft zu frönen: der Schriftstellerei!
Ihre Devise: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Man muss nur hinschauen, zuhören und alles geschickt in Worte fassen können.
Damals
-und die Hoffnung starb zuletzt
Roman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.
Foto by freestockgallery.de
Verlag: Renate P. Bartsch
Im Stein-Reich 12
56170 Bendorf
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Das Böse triumphiert allein dadurch,
dass gute Menschen nichts unternehmen
(Edmund Burke 1729 - 1797)
Erinnerungen – es bedarf nicht viel, sie zu erwecken: ein Bild, ein Geräusch, ein Geruch. Der Anblick wogender Getreideähren oder das Gemälde einer Seenlandschaft, eingebettet in sanften Hügeln, dazwischen kilometerlange Alleen, welche die urgemütlichen Ortschaften miteinander verbinden …; das Quaken der Frösche, die sich in unseren Gartenteich verirrt haben …, und schon entstehen Bilder vor meinem geistigen Auge. Zunächst nur schemenhaft, aber schon stellt sich das Gefühl von Wärme und Geborgenheit bei mir ein. Ich schließe die Augen und schnuppere in dem Wissen, dass die Nase das wohl stärkste „Erinnerungsorgan“ ist. Und plötzlich glaube ich ihn wahrzunehmen, den Duft von frisch gemähtem Heu, von Bratäpfeln, der Gaumenfreude des Winters, von Königsberger Klopse in Senfsoße oder von dampfenden Mehlklößen mit geschmolzener Butter oder ausgelassenem Speck. Und unwillkürlich öffnen sich die Schleusen meines Unterbewusstseins; eine Flut von Bildern längst vergan-gener Tage vergegenwärtigt sich und lässt die Grenzen zwischen Zeit und Raum verschmelzen.
Mein Masuren, das Land der tausend Seen, der sanften, fruchtbaren Hügeln und der endlos erscheinenden Wälder – meine Heimat! Nichts auf dieser Welt vermag in mir größere Sehnsüchte zu wecken. Ein Zauber schien einst über dieser ostpreußischen Provinz zu liegen, in dem die Menschen ihren Alltag mit einer an Sturheit grenzenden Gelassenheit meisterten. Vielleicht lag es aber auch an diesem melodischen Dialekt, der zur Verkleinerung oder Vernied-lichung neigte. Einerlei ob Personen oder Gegenstände, im Ostpreußischen endete alles auf –che. Wurde somit aus einem Problem ein Problemche, dann pflegte Frauche zu Mannche zu sagen: „Ärger di erscht am drödde Dag!“
Ach Gottchen, wie sehr ich das alles vermisse: Das Land, die Menschen, die Mentalität und eine Mundart, die mir noch immer in den Ohren klingt, mit der ich allerdings selbst nicht mehr sprechen kann. Und es musste schon der Himmel über uns einstürzen, um all das zu zerstören. Übrig blieb nur die Erinnerung, verbunden mit Wehmut.
Masuren war ein Gefühl, das sich auf ewig in meinem Herzen verankert hat – und welches mich Bodenständigkeit lehrte. „Hol di am Tun (Zaun), de Himmel ös ze hoch!“ Es war nur eine der ostpreußischen Lebensweisheiten, die ich bis heute beherzige – und die mich stets gelehrt hat, demütig mein Schicksal anzunehmen. In schweren Stunden erlaube ich mir noch zeitweise einen Ausflug in die Vergangenheit, hin zu meinen kräftigen Wurzeln, denen die Zeit nichts anhaben konnte.
Welch‘ unbekümmerte Kindheitstage hatte ich in Mantowen, auf diesem paradiesischen Vorwerk verbracht! So viel Liebe und Geborgenheit durfte ich im Kreise meiner Großfamilie erfahren. Unvorstellbar, dass irgendetwas diese Idylle jemals trüben, ja sogar zerstören könnte. Doch dieses Etwas kam und mit ihm das Leid.
Nein, nur nicht darüber nachdenken!
Energisch versuche ich meine Gedanken in angenehmere Bahnen zu lenken. Doch zu spät. Ähnlich eines Damms, der zu bröckeln beginnt, um dann vollends einzustürzen, brechen nun all die vernichtenden Eindrücke, jene unerträglichen Erinnerungen, die ich vor siebzig Jahren in die Tiefen meines Unterbewusstseins verbannt hatte, schonungslos hervor.
Meine Kehle wirkt wie zugeschnürt; der Kloß in meinem Hals droht mich fast zu ersticken.
Haltung bewahren, Martha, Haltung bewahren! Oder besser gesagt „Contenance!“, wie uns Fräulein von Bernheim in Nikolaikens Lyzeum einst unermüdlich einzubläuen versuchte. Du bist eine Ostpreußin, eine Masurin.
Unter Aufbringung aller Willenskraft ringe ich um Selbstbeherrschung. Was bringt es, einer Zeit oder Dingen nachzutrauern, die unwiederbringlich verloren sind. Preußischer Pragmatismus. Mir wurde schon in die Wiege gelegt, die Launen des Schicksals anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Doch eine leise Wehmut gestatte ich mir. Eine Wehmut, die mich dieses Mal zurückführt zu jenem Zeitpunkt, als ich mit Jan die Liebe meines Lebens erfahren durfte – und zeitgleich ein wahrer Alptraum begann.
Vertriebene nennt man uns. Was für eine oberflächliche Bezeichnung! Man denkt an Hühner, die am Abend zu ihren Nestern gescheucht oder an Kühe, die im Herbst von ihren Sommerweiden in den Stall getrieben werden. Doch auf uns wartete keine behagliche Zukunft. Wir waren auf einer Odyssee des Grauens, der Trostlosigkeit, stets im Wettlauf mit einer der hässlichsten Fratzen des Todes.
Damals, als letztlich auch noch die Hoffnung starb.
Novembertristesse. Bei allem Wohlwollen konnte ich dieser Jahreszeit nichts Positives abgewinnen. Wie eine bleierne Decke hatte sich der Nebel auf unser Land gelegt und schien alle Geräusche zu schlucken. Kein Vogelgezwitscher, kein Froschkonzert. Sogar unsere Hühner und Gänse, allen voran der vorwitzige, angriffs-lustige Ganter Hamilkar, bevorzugten die Wärme und Geborgenheit des Stalles. Nur das rhythmische Klappern des Dreschkastens aus der Scheune und das Hämmern aus der hofeigenen Schmiede drangen gedämpft an mein Ohr. Auch eine aufgeschreckte Krähe war ab und an zu vernehmen.
Ich stand am Küchenfenster und ließ meinen Blick wehmütig über unser Vorwerk schweifen. Es thronte auf einem der sanften Hügel, ein geräumiges, schmuckes Herrenhaus, das von zwei dreißig Meter langen Gebäuden mit Stallungen, Scheune, Speicher und Gesindetrakt flankiert wurde.
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