1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Ekiredis selbst war dem Albenbrücker Rat beigetreten. Schon nach einer Amtsperiode aber, welche fünf Jahre umspannte, hatte er sich aus der Politik zurückgezogen und hatte inzwischen ein gutes Einkommen als Kaufmann. Doch anstatt sich die Gepflogenheiten eines Patriziers anzueignen, genoss Ekiredis vornehmlich das Leben als reisender Händler. Die reichen und alteingesessenen Kaufmänner von Albenbrück sahen auf ihn herab, weil er ihre Ansichten und Einstellungen gegenüber dem Rat nicht teilte.
Er hingegen machte sich über ihre Selbstgefälligkeit lustig und amüsierte sich herzlich darüber, dass keiner der Patrizier je einen Fuß in die Länder gesetzt hatte, aus denen sie ihre kostbaren Waren empfingen. Somit genoss Ekiredis zwar nicht die Vorteile, welche ihm die Mitgliedschaft in der Kaufmannsgilde geboten hätte, doch war er umso ungebundener und freier in seinen Unternehmungen.
Dadurch, dass er jederzeit sein eigener Herr geblieben war, konnte er auch immer, wenn es ihm beliebte, nach Dysthirthéth reisen, um seine Verwandtschaft zu besuchen. „Gibt es Neuigkeiten aus der großen Stadt?“, fragte Aldrĭn. Sie schlenderten zwischen den Beeten um das Häuschen herum und gelangten in den Teil des Gartens, der hinter der Kate in Richtung Norden lag. Hier bedeckten Dappdill, Mangold und Kohlpflanzen die Erde. Hinter den Beeten blühten Apfelbäume neben den letzten Birnen und ergänzten den hölzernen Lattenzaun um eine Art natürliche Begrenzung des Gartens. Dahinter begann ein dunkler Wald, den die Skaldbacher Geltholz nannten und durch den nur ein schmaler Trampelpfad hindurch führte.
„Leider keine guten Neuigkeiten“, antwortete Ekiredis. Sein Tonfall wurde deutlich ernster und seine sonst so kecke Miene wandelte sich zu einem Ausdruck der Besorgnis. „Du weißt ja, dass immer wieder Stimmen laut wurden, die sich gegen den Elbenrat wandten“, erklärte er, „aber dieses Mal könnte es sich um eine ernstzunehmende Bedrohung handeln.“
Seitdem der Rat von Albenbrück nach Ende des triganischen Krieges auch von Ratsherren der Elben gestellt wurde, hatten sich vielfach Adelige und Ritter der alten Riege dagegen aufgelehnt, ihre Rechte und Privilegien nun mit den Alten Völkern teilen zu müssen.
Insbesondere diejenigen der Edelleute, denen man Land und Reichtümer genommen hatte, um sie den Elben zu überlassen, hegten einen ständigen Zorn gegen die neuen Lehensgenossen. Im einfachen Volk war man geteilter Meinung über die Alten Völker. Doch allein der Umstand, dass sich der abfällige Ausdruck Elbenrat etabliert hatte -trotzdem der Rat natürlich weiterhin auch von menschlichen Edelleuten gebildet wurde- zeigte die weit gestreute Skepsis gegenüber der Einflussnahme der Elben.
Allerorts lebte man in freundschaftlicher Nachbarschaft mit ihnen. Doch dass sie die Geschicke des Landes mitbestimmten, stieß auch nach siebzehn Jahren noch häufig auf Argwohn und Ablehnung.
„Wer lehnt sich denn offen gegen den Rat auf?“, fragte Aldrĭn.
„Es gibt Berichte aus dem Süden, dass ein junger Ritter eine beträchtliche Zahl von einflussreichen Männern um sich geschart hat. Ihr erklärtes Ziel ist nichts anderes als der vollständige Ausschluss aller Elben aus dem Rat von Albenbrück.“
Im Verborgenen waren häufig derartige Pläne geschmiedet worden. Doch eine so radikale Forderung hatte keiner der Aristokraten und Ritter bisher an den Rat herangetragen. Es grenzte nach Reichsgesetz an Hochverrat. Aldrĭn konnte sich nicht ausmalen, wer von den einflussreichen Männern, die ihm bekannt waren, derartiges wagte.
„Ich denke, du kennst ihn“, begann Ekiredis den fragenden Blick seines Freundes zu beantworten, „sein Name ist Brenon von Asmond.“
Aldrĭn konnte sich nicht erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben. Doch trotzdem rührte er in ihm ein Gefühl von lange zurückliegender Vertrautheit an. Ekiredis schmunzelte über Aldrĭns Blick, der von angestrengtem Grübeln gekennzeichnet war.
Dann löste er das Rätsel auf: „Erinnerst du dich an den kleinen Jungen, dem wir im Wald von Umbarien begegnet sind?“
„Ich könnte mich nicht mal erinnern, jemals in Umbarien…“, begann Aldrĭn, doch dann drängten sich ihm beinahe vergessene Bilder aus der Vergangenheit auf. Die düsteren und schier unendlich weiten Wälder von Umbarien, dem Heimatland des Grafen von Asyc, hatten sie vor über siebzehn Jahren durchquert, als sie aus Dysthirthéth in den Süden geflohen waren.
Jetzt erklärte sich ihm auch, welchen Bekannten Ekiredis wohl meinte. „Sprichst du von dem kleinen Rotschopf, der mir damals über den Weg gelaufen ist?“, fragte Aldrĭn ungläubig, „der kann doch noch keine Rebellion anführen!“
Ekiredis lachte: „Der kleine Rotschopf ist inzwischen sechsundzwanzig und hat sich ganz schön gemacht, dafür dass wir ihn als armes Waisenkind kennengelernt haben.“
Aldrĭn stutzte einen Augenblick. Er lehnte sich mit verschränkten Armen an einen der Apfelbäume und sah unwillkürlich zu Rovinja hinüber. Sie stand neben ihrem Onkel und erwiderte Aldrĭns Blick fragend. Sie war der lebende Beweis dafür, dass tatsächlich eine ganze Zeit vergangen war seit jenen Tagen.
Siebzehn Jahre seit Albenbrück. Als hätte es erst der Erinnerung durch seinen Freund bedurft, empfand Aldrĭn die Zeit in Skaldbach plötzlich als eine halbe Ewigkeit.
„Ja, du hast Recht“, resümierte er nachdenklich, „er ist wohl alt genug. Und was haben er und seine Kumpanen bitte vor, um ihr Ziel in die Tat umzusetzen?“
„Vor einigen Tagen sprach ein Unterhändler der Gruppe um Brenon vor“, sagte Ekiredis, „Marius hat mir davon erzählt.“
„Marius von Jalúa? Ist er immer noch Mitglied des Rates?“, hakte Aldrĭn ein.
„Nicht bloß ein Mitglied“, erklärte Ekiredis, „der gute Graf ist seit zwei Jahren Konsul. Das hatte ich dir doch sicherlich erzählt!“
„Ich könnte mich zumindest nicht daran erinnern“, entgegnete er.
„Der Jalúa, dem ihr auf Triga begegnet seid?“, fragte Rovinja dazwischen.
„Eben der! Wie oft musstest du deinem Vater denn schon zuhören, wie er die alten Geschichten vorkramt?“, meinte Ekiredis spöttisch, fuhr dann aber fort, „wir sehen uns von Zeit zu Zeit, um Neuigkeiten auszutauschen. Er bat mich, dir eiligst davon zu berichten und gab mir einen Brief mit.“
Ekiredis langte in die Innentasche seines moosgrünen Gewandes und zog einen Umschlag hervor. „Seit wann verstehst du dich denn so prächtig mit Jalúa?“, fragte Aldrĭn schmunzelnd.
„Behaupte ich ja nicht“, gab Ekiredis zurück und reichte ihm den Brief, „allerdings ist er einer der wenigen Edelleute, die zurecht diesen Titel tragen. Er mag ja ein eitler Pfau sein, aber so treu und ehrlich wie er sind wenige der Mächtigen in Albenbrück. Dahingehend hat sich seit den alten Tagen rein gar nichts geändert.“
Aldrĭn nahm die Botschaft entgegen und strich behutsam über das feine Papier. Lange hatte er kein solches Material mehr berührt, denn in Skaldbach konnten die wenigsten lesen oder schreiben und noch weniger vermochten sich überhaupt Papier zu leisten, welches nur in den fernen Städten hergestellt wurde. Er betaste das blutrote Siegel auf der Rückseite des Umschlags und brach es vorsichtig.
„Wer ist der Unterhändler gewesen?“, fragte Aldrĭn, ohne seinen Blick vom Brief abzuwenden. Ekiredis antwortete: „Halldor Granciël.“
Der Klang dieses Namens ließ Aldrĭn unweigerlich aufschrecken und er warf Rovinja einen bedeutsamen Blick zu. Dann versicherte er sich noch einmal, sich nicht verhört zu haben: „Der ehrlose Halldor steht mit Brenon im Bunde?“
„So sieht es aus“, bestätigte Ekiredis achselzuckend, „hattet ihr in letzter Zeit Ärger mit ihm?“ „Das kann man wohl sagen“, murmelte Aldrĭn zerknirscht und wandte sich wieder der Nachricht zu, „aber das erklärt zumindest seine Großspurigkeit.“
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