Aldrĭn war verwirrt, denn mit einer so überschwänglichen Freude hatte er beileibe nicht gerechnet. Halldor schien ernsthaft glücklich darüber, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, dem Ritter wortlos den Rücken zu kehren und ihm seinem Schicksal in der wütenden Meute zu überlassen. Doch dann würden bald Halldors Schergen in Skaldbach einfallen und an jedem Einzelnen ihre grausame Rache nehmen.
Also besann er sich eines Besseren und wandte sich dem Ritter mit aller Höflichkeit zu, die er gerade aufzubringen imstande war: „Ein verführerisches Angebot. Doch fürchte ich, dass ich mit meinen Verpflichtungen derzeit an das verschlafene Kaff gebunden bin.“
„Oh, ich sehe“, sagte Halldor und wandte seinen Blick grinsend Rovinja zu. Sie hatte sich neben ihrem Vater postiert, die Arme vor der Brust verschränkt, und funkelte den Ritter aus zornigen Augen an. Ihr Kleid war dreckig geworden, als er sie zu Boden gestoßen hatte und auch ihre Wange war vom Staub verschmutzt. Umso trotziger und kämpferischer blickte sie drein, was den Ritter offenbar amüsierte.
„Und diese bezaubernde Wildrose ist wohl Euer Sprössling?“, fragte Halldor. Aldrĭn bemerkte angewidert, wie Halldor seine Tochter musterte. Der lüsterne Blick des Mannes wanderte an ihr herunter und auf seinem Gesicht erschien eine Genugtuung, als würde er sie geradewegs mit seinen Händen betasten. Während er noch fieberhaft überlegte, wie er sich der Gesellschaft des Ritters galant entledigen konnte, mischte sich Rovinja ein.
„Ihr seid nichts als ein Ehrloser und solltet Euch mit Eurer Zügellosigkeit zurückhalten!“, schimpfte das Mädchen. Aldrĭn zuckte innerlich zusammen, denn eine derartige Beleidigung würde Halldor nicht auf sich sitzen lassen. Auch wenn er Rovinja in ihrer Feststellung Recht geben musste, so tat sie doch gerade alles dafür, dass dieses Treffen noch ein blutiges Ende finden würde.
Aber Halldor schien Gefallen an ihr gefunden zu haben, was ihn offenbar milde stimmte. „Kratzbürstig ist sie auch noch“, stellte er anerkennend fest und wandte sich wieder Aldrĭn zu, „vom Vater kann das aber nicht kommen, richtig? Ihr wart doch immer der makellose Liebling des Königs, nicht wahr?“
„Ich denke nicht, dass mein Vater einen von uns vorgezogen hätte“, erwiderte Aldrĭn. Innerlich dankte er den Göttern dafür, dass sie ihre schützende Hand über sie hielten, indem sie Halldor so viel Gelassenheit schenkten. Dieser schien des Gesprächs inzwischen überdrüssig und schlenderte wieder zu seinem Gaul zurück.
„Er hat seine ganze Hoffnung in Euch gesetzt, Aldrĭn“, erklärte der Ritter, während er sich aufs Pferd schwang. Gemächlich ließ er es in Aldrĭns Richtung traben, wobei er weitersprach: „Womöglich ist es besser, dass er uns so früh verlassen hat. Wie Ihr Euer Leben fristet…“, er ließ seinen Blick noch einmal abschätzig über den Marktplatz schweifen, „…es hätte ihm das Herz gebrochen. Wir leben in traurigen Zeiten.“
Dann schnalzte er und riss die Zügel herum, sodass sein Ross herumfuhr und ungestüm vom Platz galoppierte. Halldors Büttel hasteten ebenfalls zu ihren Pferden und folgten ihrem Herrn so rasch wie möglich. Selbst ihnen musste klar geworden sein, in welch gefährlicher Lage sie sich zwischen den aufgebrachten Bürgern befanden. Als das Knallen der Hufe auf dem Pflasterstein zwischen den Häusern verhallt war, entspannte sich die Menge wieder. Die Menschen legten ihr provisorisches Schlag- und Wurfzeug beiseite und kehrten zu ihren Tagesgeschäften zurück.
Der Platz wurde wieder vom emsigen Gemurmel erfasst, als sei nichts geschehen. Aldrĭn packte Rovinja am Arm und zerrte sie unsanft vom Markt in die Gasse, welche sie nach Hause führte. Mit Unbehagen bemerkte er, dass alle Skaldbacher, an denen sie vorbeischritten, ihm missbilligende Blicke zuwarfen. Waren sie etwa zornig, weil er den Raubritter hatte von dannen ziehen lassen? Hätte er etwa über ihn richten sollen?
Seid froh darüber, dass der Schurke Eure Häuser nicht dem Erdboden gleichmacht!, dachte Aldrĭn verärgert. Jede gewaltsame Konfrontation mit Halldor wäre vielleicht zur kurzfristigen Vergeltung geworden, doch letztlich hätte sie viele Skaldbacher ihr Leben gekostet. Rovinja versuchte sich indes seinem Griff zu entwinden, er aber ignorierte ihren Protest und würdigte sie nicht einmal eines Blickes, bis sie zwischen den Häusern verschwunden waren.
2. Hilferuf aus Albenbrück
Dann ließ er sie los, marschierte allerdings mit ernster Miene weiter in Richtung der Kate. „Was hast du dir dabei gedacht? Er hätte dich umbringen können, wenn ihm danach gewesen wäre!“, schalt Aldrĭn sie.
„Er hätte überhaupt nichts tun können“, erwiderte Rovinja aufgebracht und folgte ihm auf den Feldweg, „dafür waren viel zu viele Leute da.“
„Ach ja?“, fragte Aldrĭn spöttisch, „aber von denen hat keiner etwas unternommen, als er dich gepackt hat! Wenn ich nicht eingegriffen hätte, dann wärst du zu den Würsten in seinen Sack gesteckt worden und jetzt auf dem Weg in seine Burg! Wie kommst du überhaupt auf so einen törichten Gedanken, ihn so herauszufordern?“
„Er ist ein Schurke, dass hast du selbst oft genug gesagt“, wand sie ein und hatte Recht damit, wie Aldrĭn sich gestehen musste.
„Ist es seit Neuem deine Aufgabe, die Schurken ihrer Gerechtigkeit zuzuführen?“, fragte Aldrĭn, „dann solltest du zumindest in der Lage sein, auf dich selbst aufzupassen! Überhaupt solltest du aufpassen, mit wem du dich einlässt!“
Als er seine Worte ausgesprochen hatte, verstummte Rovinjas Aufbegehren für einen Moment und sie schaute ihn bloß fassungslos an. Schließlich wandelte sich ihr Unglaube in Zorn und sie fragte aufgebracht: „Bist du mir etwa gefolgt?“ Sie hatte Aldrĭns Gedanken augenblicklich enttarnt, weswegen sich seine Antwort bloß in einem schuldbewussten Grummeln verlief.
„Ich bin erwachsen“, stellte Rovinja schließlich fest. Daraufhin schwiegen sie sich den Rest des Weges an. Als sie das Haus erreichten, stand ein kräftiger Schimmel auf dem Grundstück und trank aus dem Trog, der unter dem Brunnen stand. Das Tier war noch gesattelt, also musste der Reiter gerade eben erst eingetroffen sein oder bloß auf der Durchreise. Doch Aldrĭn erkannte das Pferd sofort und im nächsten Augenblick trat sein Besitzer auf die Veranda.
„Onkel!“, rief Rovinja freudestrahlend aus und stürzte auf den Mann zu, der grinsend im Schatten des Vordachs stehen blieb, lässig an den Türrahmen gelehnt. Sie fiel ihm stürmisch in die Arme und er wirbelte sie herum, wie er es getan hatte, seit sie auf eigenen Beinen stehen konnte.
„Ronja, hast du zugenommen?“, fragte Ekiredis, als er sie wieder abstellte. Ronja, so nannte nur er sie, dachte Aldrĭn, während er lächelnd auf seinen alten Freund zuging. Und nicht nur dieser exklusive Spitzname verband die beiden. Obwohl Ekiredis ihnen nur alle paar Monate einmal einen Besuch abstattete, waren er und Rovinja sich von Anfang an sehr zugetan gewesen.
Aldrĭn wusste nicht, ob ihr liebevolles Verhältnis dadurch zustande kam, dass Ekiredis und Rovinja sich in ihrer Abenteuerlust so ähnlich waren oder es ganz einfach daher rührte, dass er im Gegensatz zu ihm selbst und Juliana die einzige erwachsene Person in der Familie war, die sich nicht mit Rovinja über Erziehungsfragen ereifern musste. So oder so waren seine Besuche jedes Mal eine Bereicherung, nicht nur für Aldrĭns Tochter.
Herzlich umarmte er seinen Freund. „Wo habt ihr euch denn herumgetrieben?“, fragte Ekiredis, „ich hatte bereits das Vergnügen mit dem Herrn Puk, aber die eigentlichen Hausherren schienen ausgeflogen.“
„Man sollte nicht meinen, dass man sich in Skaldbach aus den Augen verliert, was?“, meinte Aldrĭn. Er wusste, dass Ekiredis wenig von dem kleinen Ort hielt, der noch dazu so weit ab von allen größeren Städten lag. Als seine Schwester und sein gerade gewonnener Schwager sich damals in die nördlichen Lande verabschiedeten, hatte er kein Verständnis dafür zeigen, geschweige denn ihre Begeisterung teilen können, so fernab von Albenbrück sesshaft zu werden.
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