Das urplötzlich aufgebrandete Streitgespräch der beiden Männer hatte die Aufmerksamkeit aller Umstehenden auf sie gezogen. Die Knappen unterbrachen ihre Arbeit und blickten verschreckt zu den beiden mächtigen Rittern herüber und auch einige andere Edelmänner der Bruderschaft beobachteten verdutzt, wie sich die Anführer ihres Kreises derart offen angriffen.
Herbomir bemerkte als Erster, dass der Disput mit Brenon nicht nur die Glaubwürdigkeit der beiden alten Freunde untergrub, sondern für ihn selbst im Zweifelsfall ungünstig ausgehen würde.
Die Ritterschaft stand hinter dem jungen Hoffnungsträger und nicht hinter ihm. Also nahm er Brenon kurzerhand beiseite, sodass kein neugieriges Ohr mehr an der Unterhaltung teilhaft wurde und sprach mit aller Beherrschung, die er aufbringen konnte, weiter: „Du setzt das Leben von Dutzenden guter Männer aufs Spiel, ebenso wie die ganze Unternehmung! Was denkst du dir dabei, auf irgendeine Stimme in deinem Kopf zu vertrauen, die dir befiehlt, mir nichts, dir nichts gegen die Hauptstadt zu rücken?“
Brenon hatte begriffen, dass Herbomir sich zurücknahm, weil er nichts gegen ihn ausrichten konnte. Doch der Tadel seines Gefährten hatte ihn nichtsdestotrotz verletzt. „Vertrauen ist eine Tugend, welche in den vergangenen Jahren in Vergessenheit geraten ist“, belehrte er Herbomir in ruhigem, aber bestimmtem Tonfall. „Erinnere dich der Aufzeichnungen des Prinzen! Er mahnt immer wieder, dass nur durch tiefes Vertrauen ein scheinbar unmöglicher Kampf bestanden werden kann!“
„Der Prinz!“, spottete Herbomir, „Aldrĭn war nie im Begriff, Thronerbe zu werden, weswegen er sich auch nicht mit der Last wahrer Verantwortung herumschlagen musste. Der einzige Prinz, dessen Worte für mich Gewichtung haben, ist viel zu früh von uns gegangen. Ich wünschte, es hätte nicht ihn getroffen, sondern diesen blauäugigen Knaben, der sich sein Bruder nennt.“
Brenon schaute Herbomir herablassend an. Soweit er sich zurückerinnern konnte, war es das erste Mal, dass er sich dem alten Ritter in einer Streitfrage überlegen fühlte. Die Berichte von Prinz Aldrĭn über das Kriegsende und den Beginn des neuen Zeitalters waren für Brenon Inspiration und Antrieb gewesen, seitdem er imstande gewesen war, die Schriften zu lesen. Wenn Herbomir derart darüber spottete, dann lag es nur daran, dass er selbst inzwischen zu alt geworden war, um sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Doch anstatt ihm Vorwürfe zu machen, beschloss Brenon, sich großzügig zu geben. Der Gedanke, gänzlich auf sich gestellt zu sein, missfiel ihm trotz allen Vertrauens auf die eigene Stärke. „Welchen Schritt würdest du vorschlagen?“, fragte er schließlich.
Herbomirs Züge entspannten sich, als er seinen Schützling wieder in vernünftiger Verfassung wähnte. „Wir sollten aufbrechen, ehe Albenbrück dazu in der Lage ist, eine Armee aufzustellen, insofern gebe ich dir Recht. Doch wäre ein Angriff auf die Hauptstadt selbst mit Esefos Hilfe zu riskant, wir müssen dazu alle Kräfte bündeln. Lass uns zurückkehren, von wo wir kamen und uns zusammenschließen mit allen Kriegern, die dort auf uns warten! Dann verfügen wir über eine Streitmacht, welcher der Rat nichts entgegenzusetzen hat.“
„In das Versteck nach Vyroneia?“
„In die schwimmende Stadt“, bestätigte Herbomir, „sie hat uns viele Monate Schutz geboten.“
Den Beinamen schwimmende Stadt hatte Vyroneia dem Umstand zu verdanken, dass es einige Meilen innerhalb der scymbischen Bucht auf riesigen Pfählen errichtet worden war, welche ihre Erbauer vor über zweihundert Jahren tief im Meeresboden versenkt hatten. Man konnte Vyroneia nur mit dem Schiff erreichen und dies war einer der Gründe gewesen, aus dem heraus sich Brenon und Herbomir dafür entschieden hatten, die Versammlungen der Bruderschaft dort abzuhalten, denn der Ort war wie kaum ein anderer abgeschirmt vom Geschehen im restlichen Reich.
Ein anderer war die einzigartige Bauweise der Stadt gewesen, denn sämtliche Gebäude standen so eng aneinander gereiht, übereinander gestapelt und miteinander verwinkelt, dass es ein Leichtes war, sich zwischen den Häusern unbemerkt zu bewegen und es der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleichkam, wenn man jemanden in Vyroneia aufzuspüren versuchte.
Der Gedanke daran, sich wieder dorthin zurückzuziehen, missfiel Brenon jedoch, denn er genoss die Freiheit, sich mit seinen Kriegern im Reich bewegen zu können, wie er wollte. Schon der Schlag gegen Tir’dahall hatte ihn einiges an Zeit und Aufwand gekostet, um Herbomir endlich zu überzeugen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er nichts unternommen, ohne sich nicht den Segen des Älteren zu holen, doch nun schien ein Moment gekommen, an dem sich ihre Wege trennten. Er würde Herbomir seinen Willen zugestehen, um seinen Rückhalt nicht gänzlich zu verlieren, zu sehr vertraute er noch immer auf dessen Ratschlag. Doch zugleich drängte ihn eine unbeherrschbare Macht dazu, seinen eigenen Plan zu verwirklichen.
„Du sollst an der Spitze deiner Ritter in die schwimmende Stadt zurückkehren“, erklärte Brenon seinem Gegenüber bestimmend, „doch wird der Elbenrat gestürzt werden. Und das binnen drei Tagen.“
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