Nachdem er die Ratsversammlung vernichtet hatte, hatte Egrodt sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen und die Alten Völker zu seinen Verbündeten gemacht. Nicht aber, wie der Silvaner nun verkündete, weil Egrodt ein ach so großer Freund der Elben gewesen war. Sondern einzig mit dem Ziel, die Insel Triga zu vernichten, angetrieben von seinen persönlichen Racheplänen.
Schließlich wurde die Statue enthüllt und Aldrĭn konnte die stolze Erscheinung des Grafen von Asyc sehen. Das Denkmal präsentierte Egrodt in einen langen Mantel gehüllt, in der rechten Hand das gesenkte Schwert, den linken Arm weit ausgestreckt, als würde er dem Himmel die offene Hand reichen. Der Blick der bronzenen Statue war in die Ferne gerichtet und strahlte die Zuversicht eines großen Visionärs aus. Die Menge jubelte und applaudierte Beifall, als der Stoff zu Boden fiel und das Denkmal in seiner vollen Pracht frei gab.
„Wie können sie vergessen haben, was wirklich geschehen ist?“, fragte Juliana scharf.
„Die Wahrheit lebt in der Erinnerung“, gab Aldrĭn zurück, „ und seine Erinnerung wird die unsrige um Jahrhunderte überleben.“
„Lass uns einen Umweg nehmen“, beschloss Juliana und führte ihr Pferd am Zaumzeug in Richtung der Gasse, durch die sie gekommen waren, „ich kann mir diesen Unsinn nicht weiter anhören.“
Aldrĭn jedoch blieb noch eine Weile gebannt am Gesicht des Grafen hängen. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, dass die Statue ihm ein höhnisches Grinsen zuwarf.
***
Der Drudenkofel war viel gewaltiger als in Aldrĭns Erinnerung. Bis in die Wolken schien der alte Schieferberg zu reichen, an dessen Fuße das Schloss gelegen war. Sie ritten den Weg hinauf, welcher zwischen dem Nordtor und der Festung lag und sich über die grasbedeckten Wiesen schlängelte. Als sie über die Zugbrücke in den Innenhof einritten, wurden sie zu Aldrĭns Erstaunen von keinem einzigen Wachposten aufgehalten. Erst als sie abstiegen, kam ein junger Gardist herangeeilt und fragte nach dem Begehr der Reisenden.
„Nun, ich dachte, ich sollte mal nach dem Rechten schauen, nur um sicher zu gehen, dass mein altes Heim noch steht“, entgegnete Aldrĭn verschmitzt. Doch anstatt auf die Bemerkung einzugehen, fragte der Palastwächter bloß pflichtbewusst nach, bei welchem der Ratsherren er Meldung machen dürfe.
Mit einer gewissen Resignation begriff Aldrĭn, dass der junge Mann ihn nicht erkannte. „Wir sind alte Freunde des Konsuls von Jalúa“, gab er schließlich an und sogleich eilte der Gardist zurück ins Schloss, um Meldung zu machen.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann wurden Aldrĭn, Juliana und Galeon hineingebeten, während sich ein Stallbursche um die Pferde kümmerte. Sie durchquerten die langen Gänge des Schlosses und Aldrĭn glaubte, nun tatsächlich in eine lange vergangene Zeit zurückversetzt worden zu sein. Das Innere des Schlosses hatte sich um keinen Deut verändert, noch immer strahlte es eine majestätische Erhabenheit aus, zu der sich die Kälte des alten Gemäuers gesellte.
„Mit dieser Art von Besuch hatte ich nun wahrlich nicht mehr gerechnet!“, erklang plötzlich eine freudige Stimme neben ihnen. Marius von Jalúa kam eine der breiten Treppen hinunter, welche in die oberen Trakte führten. Genau wie damals, als Aldrĭn ihm auf Triga zum ersten Mal begegnet war, trug der Graf eine blütenweiße Strumpfhose und darüber eine knielange Pluderhose aus Samt. Eine ebenfalls weiße Weste mit einer Reihe goldener Zierknöpfe kleidete den Oberkörper und nur der purpurne Kragen fiel farblich aus dem strahlenden Gewand heraus. Das rote Kollar war bereits zu Zeiten des alten Königreichs ein Abzeichen gewesen, das nur besonderen Würdenträgern am Hofe vorbehalten war. Nun aber diente es, gewissermaßen an Stelle einer Krone, als Erkennungszeichen des Ratsobersten.
„Ist es denn wahr und ich täusche mich auch nicht?“, hakte Jalúa mit kritischem Blick nach, „die holde Dame erkenne ich wohl.“ Mit diesen Worten deutete er eine Verbeugung vor Juliana an und gab ihr einen galanten Handkuss. „Doch an Euch, mein Herr – mit Verlaub – sind die Jahre nicht spurlos vorbeigezogen.“ Bevor sich der Graf auch vor Aldrĭn verbeugen konnte, umarmte dieser ihn aus einem Impuls heraus, was Jalúa mit Erstaunen geschehen ließ.
„Ich freue mich auch, Euch wiederzusehen“, sagte Aldrĭn mit einer ehrlichen Freude, „…mein Konsul!“
„Und dies ist also der Prinzensohn, von dem ich schon so manches vernommen habe“, meinte Jalúa mit einem wertschätzenden Blick zu Galeon, der sich verunsichert hinter Juliana versteckte.
Er wandte sich wieder Aldrĭn zu und sie setzten ihren Gang durch das Schloss fort. „Euer Schwager brachte mir zuletzt die Kunde, dass Ihr nicht in der Position wäret, auf mein Hilfegesuch einzugehen“, meinte Jalúa, „es erfreut mich umso mehr, dass Ihr den Weg auf Euch genommen habt, um uns zur Seite zu stehen! Ihr müsst wissen, dass wir derzeit auf einem schmalen Grat zwischen Frieden und Bürgerkrieg wandeln.“
„Ihr hattet von einer rebellischen Gruppe abtrünniger Ritter geschrieben“, gab Aldrĭn zurück, ohne sofort darauf einzugehen, warum sie tatsächlich nach Albenbrück gekommen waren.
„Ich fürchte, dass es längst nicht mehr als Gruppe zu bezeichnen ist, vielmehr können wir mit Fug und Recht von einer Truppe sprechen, die sich dort zusammengerottet hat. Meine wundervolle Stadt ist im Morgengrauen überrannt worden. Seitdem herrscht in Tir’dahall Chaos und Lynchjustiz, unter der Herrschaft dieses jungen von Asmond.“
„Woher habt Ihr diese Kunde, ohne dort gewesen zu sein?“, fragte Juliana. „Es herrscht dort freier Ein- und Ausgang“, erklärte Jalúa, „deswegen ist es auch ein Leichtes, die nächsten Schritte unseres Feindes zu beobachten, bisher zumindest. Einige vertrauenswürdige Kundschafter bringen mir täglich Nachricht aus meiner Stadt. Und was wir mit Sicherheit schon heute behaupten können ist, dass sich Brenon von Asmond nicht mit Tir’dahall zufrieden geben wird.“
Sie schritten durch den Bogengang, dessen hohe Fenster dem Trakt seinen Namen gegeben hatten und durch den sie Sonne nun hereinschien und den weißen Putz in warmen Farben erstrahlen ließ.
„Wie können wir Euch behilflich sein?“, fragte Juliana geradeheraus. Und Aldrĭn fügte hinzu: „Wir haben ja schließlich keine Armee mitgebracht.“
„Ich hatte mich an Euch gewandt, weil das eigentliche Problem nicht die Mittel sind, mit denen wir einen Aufstand niederschlagen könnten“, erklärte Jalúa, „ sondern vielmehr die Einigkeit im Rat. Die elbischen genauso wie die Ratsherren aus den Reihen der menschlichen Edelleute befinden sich in einem ganz und gar festgefahrenen Streit miteinander, wie auf die Rebellion zu reagieren sei. Wie Ihr bemerkt haben werdet, wird das Schloss kaum noch bewacht, ebenso gibt es an den Toren der Stadt keine Soldaten, sodass jeder ungehindert nach Albenbrück einmarschieren kann.
Einst wurden diese Wachen abgeschafft, um die Öffnung der Stadt gegenüber den Alten Völkern zu beweisen. Auch bestand in den vergangenen Jahren schlichtweg keine Notwendigkeit dazu, denn wir haben nun siebzehn Jahre des Friedens hinter uns. Selbst geringere Verbrechen waren nie so wenig an der Zahl wie in den letzten Jahren. Es schien mir geradewegs, als hätten wir alle aus dem endlosen Blutvergießen gelernt und der Gedanke von Gewaltlosigkeit hätte im Geist des Reiches Wurzeln geschlagen. Doch wie Ihr selbst wisst, unterlag ich einem furchtbaren Irrglauben und die Zeit des Leidens ist von einem Tag auf den anderen zurückgekehrt.“
„Mir scheint es eher so, als hätte der Groll die ganze Zeit schon in einigen von uns geschlummert und wurde nur wieder wachgerüttelt. Warum sollte von Asmond sonst so viele Anhänger finden?“, warf Juliana ein.
„Auch damit mögt Ihr Recht haben!“, gab Jalúa zu, „weswegen ich nun aber Eure Hilfe erbat, war der Umstand, dass der Rat nach jemandem verlangt, der ihn eint. Und ich kann derjenige nicht sein, denn auf meine Stimme hören sie nicht, wenn es den Feldzug gegen diese Rebellion betrifft.“
Читать дальше