Der Krieg kam, nicht eine der ständigen kleinen Metzeleien, die Hobbys von Fenloras und Terkonniern zu sein schienen, nein, der große, der entscheidende Krieg. Glaubte eine Seite im Ernst, die andere völlig besiegen und versklaven zu können? War ihnen nicht klar, dass weder stolze fenlorische Frauen noch selbstbewusste terkonnische Supermänner jemals aufgeben, sich dem anderen Geschlecht beugen würden? Lang und blutig würde es werden, und die humanitären und wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe würden die ganze Welt erschüttern.
Schlimmer noch als die Sklaverei war dies, und deswegen war er hier, beim prominentesten Vertreter von FREIHEIT FÜR ALLE in Pogran, einem zwar phallokratischen, aber neutralem und wohltuend pazifistischen Land.
„Die Sklaverei ist nicht das einzige Problem auf den Schultern der Welt. Der Genderkrieg und seine drohende Verschärfung beunruhigen mich persönlich zur Zeit mehr.“
„Wohl gesprochen, lieber Nulbo. Allein, was sollen wir tun, Privatmänner nur, wenn auch Vermögende?“
„Mir sang ein Plappatacka, ihr pflegtet gute Kontakte zum lavendrischen Geheimdienst.“
Braats Miene zeigte Verblüffung.
„Ich? Wie kommt ihr auf derlei verschrobene Ideen?“
„Möchtet ihr die Streichholzproduktion an den Nagel hängen und an meinem Haus anfangen? Schauspielerisches Talent Eurer Klasse ist selbst in Lesagaux selten.“
Nulbos zweites Standbein, und seine wahre Liebe, neben den komödiantischen
Auftritten, die ihn reich und berühmt gemacht hatten, war ein kleines Theater, dessen Stücke er selbst schrieb und produzierte.
„Es scheint schwer, Euch zu täuschen. Darf ich Euch umgekehrt eine Anstellung als Rechnungsprüfer in MEINEM Haus anbieten?“
„Zurück zum lavendrischen Geheimdienst.“
„Natürlich. Tatsächlich hält man mich von dort auf dem Laufenden. Meine Gegenleistung besteht in gewissen finanziellen Zuwendungen und anderen materiellen Elementen.“
„Ich verstehe. Ich frage Euch nicht, was die Lavendrer von der Lage halten, denn dies ist mehr als offensichtlich.“
Lavendra, egalistisch, also in Geschlechterfragen dem Prinzip der Gleichberechtigung folgend, lag südlich Gromiens und war Zentrum des Intergenderhandels, ermöglichte also Terkonnia und Fenlora, über den Umweg neutrales Lavendra, miteinander zu handeln. Dieser ökonomischen Rolle verdankte das kleine und militärisch schwache Land seine fortgesetzte Existenz. Der Intergenderhandel war übrigens beträchtlich, vor allem der Sklavenhandel. Obwohl der Gleichberechtigung huldigend lehnten die LavenderInnen die Sklaverei keineswegs ab, folgten lediglich auch hier rigoros der Gleichbehandlung der Geschlechter.
Besonders grotesk war, dass die bitteren ideologischen Feinde Phallokratien und Matriarchate ihre VerbrecherInnen und andere Unerwünschte gerne als SklavInnen über Lavendra an die Gegenseite verschacherten.
Zugegeben, auch der Freikauf von Männer und Frauen aus der Sklaverei im jeweils anderen System lief vor allem über Lavendra.
Was nun den Genderkrieg anging, hatten die EgalistInnen einerseits ein Interesse daran, dass er fortbestand. Nicht auszudenken die Folgen für das wohlhabende kleine Reich, sollten Fenlora und Terkonnia direkt miteinander zu handeln beginnen. Zum anderen jedoch konnte ein totaler Krieg ebenso wenig die LavenderInnen erfreuen. In dem Augenblick, da beide Seiten aufs Ganze gingen, wurde aus dem unbehelligten, bequemen Handelsplatz eine strategische und ökonomische Position, deren Eroberung für Recken wie Amazonen von immensem Vorteil sein musste. Die Aussicht, fenlorische Legionen und terkonnische Regimenter um die Trümmer ihrer Städte kämpfen zu sehen, musste schwerer noch wiegen als das Schreckgespenst eines wirklichen Friedens.
„Ihr wollt wissen, was Lavendra zu tun gedenkt.“
„Ja.“
Ein vernehmliches Rappeln ließ Nulbo kurz nach rechts blicken. Klappel, der anstrengenden Kunst der Malerei vorerst überdrüssig, wandte sich mit ähnlichem Eifer der Architektur zu. Er hatte unter dem Tisch seines Herrchens einen Kasten mit quietschbunten – dies hier war Pogran - Bauklötzen hervorgeholt und schickte sich an, in neue architektonische Bereiche vorzudringen, in denen noch nie ein Fuwupp-Mupp gewesen war. Nulbo lächelte warm.
„Der gute Ruf des lavendrischen Dienstes bezieht sich bekanntlich auf die Beschaffung von Informationen, nicht auf Aktionen, die den Lauf der Welt ändern. Sie sind nicht der TKM.“
Der TKM, Tadoka Kespenaiumon, war der Geheimdienst des Zarijats Fenlora, dessen weltweite Intrigen geradezu sprichwörtlich waren. Angeblich, zumindest wenn man der terkonnischen Propaganda glaubte, bestieg keine neue Herrscherin den Thron irgendeines Matriarchats außerhalb Fenloras gegen den Willen des TKM.
„Sie werden also nichts unternehmen.“
„Allein ein Diodarchor aus dem Clan Halikarnassia, zeitgleich mit einer Revolution des Kauffrauenordens Shakeshumon im Zarijat, vermöchte das Kommende zu verhindern. Und Lavendra wird das nicht zuwege bringen.“
„Ich weiß.“
„Wohlan, was erwartet ihr dann? Das Galaan herabsteigt und sie alle mit Liebe erfüllt?“
„Zynismus hätte ich von einem Philanthropen Eures Ranges nicht erwartet, Signol Wild-Wechsel.“
„Es ist Verzweiflung und Gram, die einen alten Mann bitter werden lassen.“
„Vielleicht müssen wir selbst etwas tun. Am Ende fällt ein Mann immer auf seine eigenen Fähigkeiten zurück.“
„Ist das aus einem Eurer Programme, mein Lieber? Der lornfürchtige terkonnische Holzkopf von nebenan?“
„Verzeiht, ich hätte sagen sollen, ein Mensch. Aber ansonsten meine ich es so. Man – oder frau – muss das Richtige tun, nicht, sich auf Andere verlassen.“
„Mupp, Fupp, Mupp!“
„Klappel scheint meiner Meinung. Ein kluger und aufrechter Bursche.“
„Klappel ist nicht objektiv. Ihr mochtet seine Bilder. Allein, ihr habt wohl Recht. Doch woran dachtet ihr? Alle anderen Clansherren durch einen Eurer Auftritte in tödliche Lachkrämpfe zu versetzen, damit der Weg für den Halikarnassier frei ist?“
„Ihr und ich, wir haben Möglichkeiten, andere, mehr geübt in der gefährlichen Tat, unseren Willen vollziehen zu lassen.“
„Doch was ist unser Wille? Wo ist der realistische Ansatz, mein Guter?“
„Kommen wir zurück auf Lavendra. Ein Krieger bin ich gewiss nicht, doch weiß ich wohl, dass Information eine der tödlichsten dem Menschen bekannten Waffen ist. Was wissen die Lavendrer denn, deren Netz man wie frau so rühmt?“
„Sie wissen viel, vermuten noch mehr. Es bedürfte viel Zeit, alles zu sichten und der Analyse zu unterwerfen.“
„Fupp, fupp, Mupp, Wuuuppp!“
„War das eine Freiwilligenmeldung?“
„Denkbar, Klappel ist sehr eifrig. Die Informationen existieren jedoch in schriftlicher Form, und das Alphabet hat er bislang noch nicht gemeistert.“
„Bedauerlich. Seine Integrität steht außer Frage.“
„Jemandem, der ihm die Haut poliert, würde er seine Mutter verkaufen.“
„Verstehe. Im Ernst, ich bin bereit, erhebliche Zeit und Mühen aufzuwenden, Material zu sichten, das ihr mir überlasst.“
„Das ließe sich wohl einrichten. Solange es die LavenderInnen nicht erfahren.“
„Gewiss nicht von mir.“
Beide schauten zu Klappel.
„Vielleicht zum Anfang ein grober Überblick, etwas Besonderes, aus der Reihe Fallendes.“
„Nun, Diodarchor Raliras denkt über Rücktritt nach. Er hatte letztes Jahr einen Herzanfall, und nur magische Hilfsmittel halten ihn vital. Der Person des Nachfolgers kommt entscheidende Bedeutung zu. Turon von Zakunthi und Dorn von Blektron streben nach dem Amt, im Moment sieht es jedoch danach aus, dass die anderen Clans einen Kompromisskandidaten vorziehen. Das dürfte Jasperas von Galveka sein. Ein besonnener Mann, auf Ausgleich bedacht. Er jedenfalls wird nicht von selbst den Krieg beginnen.“
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