Dietrich Novak
Ohne Skrupel
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Inhaltsverzeichnis
Titel Dietrich Novak Ohne Skrupel Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Epilog
Impressum neobooks
Die junge Mutter war hin und hergerissen. Das Angebot für Babywindeln war besonders günstig, da es sich um einen dieser Billigdiscounter handelte. Sie würde fast zwei Euro pro Packung sparen. Nur waren die Körbe mit den Sonderangeboten im Außenbereich derart dicht gestellt, dass es nahezu unmöglich sein würde, zwischen ihnen mit einem Kinderwagen hindurchzukommen. Sollte sie es riskieren, ihren Säugling einen Moment unbeaufsichtigt zu lassen?
Die Verlockung, sparen zu können, siegte schließlich vor der Sorge. Schnell hinein, bezahlen und nur ja nicht nach weiteren Schnäppchen sehen, nahm sie sich vor.
An der Kasse gab es eine lange Schlange. Sie wurde zwar von etlichen vorgelassen, als sie ihr Problem erklärte, doch die beiden Vordersten bestanden darauf, zuerst abkassiert zu werden. Immer wieder sah sie unruhig nach draußen, ob der Wagen noch dort stand. Eine ältere Frau ließ sich besonders viel Zeit, indem sie für das Kleingeld jede Münze einzeln aufzählte. Die Verkäuferin verdrehte bereits die Augen, und es gab einige Unmutsäußerungen innerhalb der Warteschlange.
Die junge Mutter wollte schon die Windeln zurücklegen, doch weil sie eine Ecke des roséfarbenen Daches erkennen konnte, wiegte sie sich in Sicherheit. Der Kinderwagen stand also noch da.
Als sie endlich bezahlt hatte und mit einer großen Tüte nach draußen kam, war der Kinderwagen leer. Auf ihr Schreien und Schluchzen liefen einige Menschen zusammen, und es gab sogar zwei, die nicht nur sensationslüstern gafften, sondern den Grund ihrer Panik erfahren wollten und ihr anboten, die Polizei zu rufen.
Die verzweifelte Mutter sprach jeden Passanten an, der ihr auf der belebten Einkaufsstraße entgegenkam. Sie fragte auch in benachbarten Geschäften, doch keiner wollte eine Frau oder einen Mann mit einem Säugling auf dem Arm gesehen haben oder etwas von einer Entführung bemerkt haben.
Wenig später versuchte der Polizist, von der jungen Frau, die kaum sprechen konnte und immer wieder in Tränen ausbrach, die nötigen Angaben zu erhalten.
»Bitte beruhigen Sie sich«, sprach er sanft auf sie ein. »Je eher ich eine genaue Schilderung der Ereignisse von Ihnen erhalte desto schneller können wir eine Suchmeldung aufgeben. Nennen Sie mir bitte Ihren Namen, die Adresse, das Geschlecht des Säuglings und was er anhatte.«
»Ich heiße Denise Schönfelder, wohne hier um die Ecke in der Waldstraße, Nummer … Brauchen Sie auch die Postleitzahl?«
Der Beamte nickte.
»10551, glaube ich. Ach Gott, ich bin so durcheinander. Mein Mann wird mich umbringen. Leonie ist sein Augenstern.«
»Also ist es ein Mädchen, namens Leonie. Wann wurde die Kleine geboren?«
»Am 15.04.2015.«
»Und was hatte das Mädchen an?«
»Einen rosa Strampelanzug und ein weißes Mützchen.«
»Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen? Hat sich jemand auffällig für das Kind interessiert?«
»Nein, sonst hätte ich es doch nicht allein gelassen. Ich bin nur kurz zum Bezahlen rein und habe auch aus dem Laden immer wieder nach dem Wagen gesehen. Ach, wenn diese alte Kuh vor mir nicht jeden einzelnen Cent umgedreht hätte … Eigentlich hätte ich doch sehen müssen, wenn sich jemand über den Wagen beugt …«
»In so einem Geschäft ist man mitunter etwas abgelenkt. Sie werden schließlich nicht starr auf den Wagen gesehen haben …«
»Nein, natürlich nicht, dann wäre ich ja überall gegengelaufen ... Bei der Diskussion, ob man mich an der Kasse vorlässt, habe ich kurz den Rücken gedreht … Mein Gott, wer macht so etwas? Wie kann man einer Mutter das Kind wegnehmen, als sei es eine Ware?«
Denise Schönfelder brach erneut in Tränen aus.
»Was wird denn jetzt? Muss ich mit zum Polizeirevier kommen?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
»Nein, gehen Sie besser nach Hause. Vielleicht meldet sich dort jemand. Könnte es sein, dass der Vater oder die Großeltern …?«
»Mein Mann ist auf der Arbeit und würde mir das nie antun. Und meine Mutter hätte mir vorher Bescheid gesagt. Selbst die Mutter meines Mannes … Ach, das ist doch alles Blödsinn. Wer weiß, wo meine Kleine jetzt ist. Hoffentlich tut man ihr nichts an …«
»Denken Sie nicht gleich an das Schlimmste. Mein Kollege hat schon die Meldung herausgegeben. Bis heute Abend werden Sie Bescheid erhalten. Vielleicht ist ihr Kind bis dahin wieder da.«
Hauptkommissarin Valerie Voss konnte sich nicht so recht auf das Fernsehprogramm konzentrieren. Immer wieder schweifte ihr Blick zur Uhr, und bei jedem Geräusch schreckte sie hoch.
»Du hast noch nicht einmal dein Dessert angerührt. Minka guckt schon ganz gierig«, sagte ihr Exmann und Kollege Hinnerk Lange, mit dem sie seit einigen Jahren wieder zusammenlebte.
»Dann gib es ihr doch. Ich habe sowieso keinen Appetit.«
»Für Katzen dürfte das eine Überdosis sein. Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Der Bengel ist siebzehn und im nächsten Jahr volljährig. Die Zeiten, wo wir uns Sorgen machen mussten, dürften endlich vorbei sein.«
»Eine Mutter wird sich immer Sorgen machen. Das versteht ihr Kerle bloß nicht.«
»Was willst du machen, wenn er seine Drohung wahr macht und demnächst auszieht? Dich vor seine Tür legen?«
»Nein, dann bekomme ich wenigstens nicht mit, falls er erst nachts nach Hause kommt.«
»Das nennt man wohl weibliche Logik«, zog Hinnerk sie auf.
»Er hätte wenigstens anrufen können, dass es später wird.«
»Hast du das immer gemacht? Du weißt doch, wie das ist, wenn man mit einigen Kumpels unterwegs ist. Vielleicht ist er auch mit zu einem Mädchen gegangen.«
»Womöglich noch zu Lili? Ich kann nicht verstehen, was diese Frau an einem Teenager wie ihm findet.«
»Ach, jetzt ist es schon diese Frau . Ich kann mich erinnern, dass du wegen ihr heiße Tränen vergossen hast, weil wir sie zurück an ihre Großmutter geben mussten.«
»Da war sie vier … Und jetzt ist sie zweiundzwanzig …«
»Dass sie nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter tritt und ein Pornostar wird, hat sie hinlänglich bewiesen. Also, wozu die Aufregung?«
»Wir wissen nicht wirklich viel über sie. Immerhin hat sie sich vierzehn Jahre nicht gemeldet. Wer weiß, ob sie es wirklich verkraftet hat, den Mord an ihrer Mutter mitansehen zu müssen … Man kann unmöglich sagen, was in so einem Menschen vorgeht. Womöglich hat sie einen Hass gegen alles Männliche entwickelt.«
Hinnerk lachte schallend.
»Nur weil wir es in unserem Beruf ständig mit Psychopathen zu tun bekommen, musst du nicht hinter jeder Ecke einen Doktor Jekyll beziehungsweise eine Sister Hyde vermuten. Unser Ben wird sich schon zu wehren wissen.«
»Das sagst du. Du weißt doch, dass ihn alles Ungewöhnliche anzieht. Womöglich gefällt ihm eine gespaltene Persönlichkeit …«
»Jetzt hör aber auf. Du spielst dem Mädchen die liebe Tante vor, und hinter dem Rücken wetzt du die Messer.«
»Ich habe Lili wirklich gern, aber sie hat selber zugegeben, in Therapie gewesen zu sein. Vielleicht hat sie diese vorzeitig abgebrochen?«
»Alles Vermutungen. Auf mich macht sie einen ganz normalen Eindruck.«
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