Dietrich Novak
Mörderischer Glaube
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Inhaltsverzeichnis
Titel Dietrich Novak Mörderischer Glaube Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Impressum neobooks
Berlins Himmel war an diesem Tag grau und von einer dichten Wolkenschicht bedeckt. Es regnete schon seit Stunden, wie auch die Tage zuvor. Depressiven Menschen ging so ein Wetter aufs Gemüt, besonders wenn es sich über einen längeren Zeitraum erstreckte. Der November war nicht ohne Grund der Monat mit der höchsten Suizidrate. Wenn zu der Feuchtigkeit noch die beginnende Winterkälte kam, und schon eine Ahnung von Weihnachten in der Luft lag. Ein Fest, das man im Kreise der Familie oder mit liebgewordenen Menschen verbringen wollte, sofern diese vorhanden waren.
Auch die junge Frau, die kaum weniger grau als der Himmel und entsprechend kaum beliebt bei ihren Mitmenschen war, falls sie überhaupt wahrgenommen wurde, gehörte zu ihnen, doch viel mehr als das Wetter verfinsterte eine tragische Begebenheit ihr Gemüt. Sie war von tiefer Trauer erfüllt, weil sie den einzigen Menschen verloren hatte, der ihr etwas bedeutete. Dabei hatte er wahrscheinlich nicht einmal geahnt, welche Gefühle sie für ihn hegte. Und wenn doch, hatte er es meisterhaft zu verbergen gewusst. Nein, er war nicht unfreundlich zu ihr gewesen, im Gegenteil, er hatte immer ein paar nette Worte für sie gehabt, doch eben nicht mehr. Seine Blicke waren nie zärtlich oder gar begehrlich gewesen, und er hatte sie nie berührt.
Sie brach noch immer in Tränen aus, wenn sie an ihn dachte. Sein Bild war unauslöschlich in ihrem Inneren und sie war in der Lage, es jederzeit abzurufen. Sie konnte einfach nicht begreifen, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Nicht nur der geliebte Mensch war für sie verloren, sondern auch die Hoffnung, er würde sie irgendwann wahrnehmen, besonders als Frau. Es gab so viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Wie sie war auch er einsam gewesen, davon war sie fest überzeugt. Ja, es hatte andere Frauen gegeben, das wusste sie, doch es waren allesamt Bettgeschichten gewesen. Keine war ihm seelisch nahegekommen. Deshalb hatte er bis zum Schluss alleine gelebt und war nie eine feste Partnerschaft eingegangen, und von Heirat war erst recht niemals die Rede gewesen.
In ihrer Gesprächsrunde hatte er sich einmal geöffnet und etwas von sich erzählt. Auch er war ohne Liebe aufgewachsen und hatte nie ein beglückendes Familienleben kennengelernt, hatte sie erschüttert erfahren. Er hatte von seinem tiefen Glauben gesprochen. Etwas, was alle in diesem kleinen Kreis verband.
Doch es waren mehr als Bibelstunden oder Andachten, die ihre Gemeinschaft ausmachten. Jeder von ihnen war der festen Überzeugung, eine Mission erfüllen zu müssen. Eine von Gott gegebene. Nur hatten manche nicht die Kraft oder den Mut, danach zu handeln. Bei ihm war das anders gewesen. Ein Umstand, der ihn letztendlich das Leben gekostet hatte. Doch er war für seine Überzeugung gestorben. Von wem konnte man das schon sagen?
Sie würde ihm in dieser Hinsicht nacheifern, dazu war sie fest entschlossen. Das sah sie als ihre heilige Pflicht an. Sie musste dort weitermachen, wo er aufgehört hatte. Selbst wenn auch sie daran zugrunde gehen würde.
Ein paar Kilometer weiter in der Hauptstadt war noch eine andere Frau von trüben Gedanken erfüllt. Eine Frau, die ein gänzlich anderes Erscheinungsbild aufwies. Valerie Voss, ihres Zeichens Kriminalkommissarin, fiel auf den ersten Blick auf. Dafür sorgten ihre tadellose Figur, ihr hübsches Gesicht und ihre weißblonden Haare. Ihre moderne, legere Kleidung wies nicht unbedingt auf ihren Beruf hin. So kleideten sich unzählige andere Frauen in der Stadt, auch wenn sie mitunter weniger attraktiv waren. Trotzdem gab es zwei Gemeinsamkeiten zwischen Valerie und ihrer Geschlechtsgenossin, von der Valerie zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung hatte. Auch Valerie brannte für ihre Überzeugung und wollte für etwas mehr irdische Gerechtigkeit in dieser Welt sorgen. Nur stand sie dabei auf der Seite der „Guten“ und erhielt bei ihrer Mission die Unterstützung eines gewaltigen Polizeiapparates.
Nicht immer war ihr Bemühen von Erfolg gekrönt. Es gab eine hohe Dunkelziffer von nicht aufgeklärten Mordfällen, auch wenn die offizielle Statistik anderes berichtete. Doch das konnte Valerie nicht dazu veranlassen aufzugeben. Obwohl sie vor wenigen Wochen nahe daran gewesen war.
In jenen Tagen hatte sich etwas ereignet, das jede Kommissarin an ihre Grenzen führen musste. Wenn der Beruf und das Privatleben eine Durchmischung erfahren, stellt man alles infrage. Valeries Geliebter Alex war des Mordes an mehreren Menschen verdächtigt worden, und durch ihr Zögern hatte sie ihm unabsichtlich zur Flucht verholfen. Viel schlimmer waren die Folgen gewesen, in deren Verlauf ihr Geliebter und dessen Zwillingsbruder ums Leben gekommen waren. Auch sie hatte dabei kurzzeitig in Lebensgefahr geschwebt und war nur um ein Haar davongekommen.
Beinahe das Schlimmste an der Geschichte war jedoch, dass Valerie bis zum heutigen Tage nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob wirklich ihr Geliebter der Täter gewesen war, oder doch sein Bruder. Beide hatten ein Verwirrspiel mit ihr getrieben, das nie aufgeklärt worden war.
Hatte Alex sie in seiner Wohnung wirklich aus dem Fenster stürzen wollen oder hatte er sich nur einen ungestümen Scherz erlaubt, der ihm letztendlich zum Verhängnis geworden war, indem er selber in die Tiefe stürzte? Valerie meinte, so etwas wie Hass und Mordlust in den letzten Sekunden in seinen Augen gesehen zu haben, als er auf sie zugestürzt war, aber da war ihr Verhältnis schon hoffnungslos zerrüttet gewesen. Er mochte sie gehasst haben, weil sie ihn verdächtigt und verfolgt hatte, vielleicht auch, weil durch sie sein Bruder und dessen Freundin auf der Flucht den Tod gefunden hatten, aber hatte er sie wirklich umbringen wollen?
Valerie würde es nie erfahren. Ein Umstand, der sie nahezu um den Verstand brachte. Zum ersten Mal hatte sie daran gezweifelt, den richtigen Beruf gewählt zu haben, weil sie glaubte, nicht über die nötige Intuition zu verfügen. Ihre Mutter Karen hatte sie in den vergangenen Wochen während ihres gemeinsamen Erholungsurlaubs umsorgt und versucht, sie wieder ins seelische Gleichgewicht zu bringen. Ob ihr das gelungen war, würde sich erst mit der Zeit zeigen.
Dabei hatte Valerie nicht die geringste Ahnung, dass am anderen Ende der Stadt eine Frau um denselben Mann trauerte, und dass der Albtraum noch längst nicht zu Ende war.
Hinnerk Lange, Valeries hübscher Kollege, ein Frauenschwarm, der die Richtige noch nicht gefunden zu haben schien, strahlte Valerie an, als sie an diesem Morgen ins Präsidium kam. Er hatte die gemeinsame Nacht, die sie im fernen Allgäu verbracht hatten, nicht vergessen, obwohl nie wieder zwischen ihnen darüber gesprochen worden war. Er wusste, dass Valerie ihre Prinzipien hatte. Dazu gehörte, keine feste Beziehung einzugehen, weil sie glaubte, das mit ihrem Beruf nicht vereinbaren zu können. Und schon gar nicht wollte sie etwas mit einem Kollegen anfangen. Das war für sie ein „No Go“. Dabei war es ein offenes Geheimnis in der Dienststelle, dass Valerie mit der kaum weniger attraktiven Rechtsmedizinerin Tina Ruhland hin und wieder in die Kiste ging, aber schließlich sahen sie sich nicht täglich, und von einer Beziehung im engeren Sinne konnte man auch nicht sprechen.
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