Dietrich Novak
Ohne Scham
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Inhaltsverzeichnis
Titel Dietrich Novak Ohne Scham Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Prolog Daniela Wilke fühlte sich schon seit einiger Zeit verfolgt. Der Kerl war geschickt genug, immer dann in Deckung zu gehen, wenn sie sich umdrehte. Trotzdem konnte sie seine Anwesenheit geradezu körperlich spüren. Seine Schritte wurden durch den Sandweg gedämmt, falls er diesen überhaupt benutzte und nicht über den Rasen lief. Wie konnte sie auch nur so blöd sein, durch den Bürgerpark die Abkürzung zu nehmen, geißelte sie sich unaufhörlich. Doch einmal hatte sie nicht bedacht, dass in dieser Jahreszeit die Dämmerung früher einsetzte, und zum anderen hatte sie gehofft, noch vereinzelte Spaziergänger anzutreffen, wie es normalerweise der Fall war. Denn im großen Erholungspark, einem Wahrzeichen des Ortsteils Pankow, traf man bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit Menschen jeglichen Alters, die dem Stadtgetümmel entflohen und sozusagen in eine andere Welt eintauchten. Nur heute nicht, dachte Daniela bitter. Vielleicht, weil für die Abendstunden Regen angesagt war und es bereits zu nieseln anfing. Ihre Freundin Birgit hatte sie noch gewarnt, der Versuchung zu widerstehen, von der Heinrich-Mann-Straße zur Wilhelm-Kuhr-Straße die Abkürzung durch den Bürgerpark zu nehmen. Wie gut Birgit sie doch kannte, dachte Daniela. Doch der Kaffeeklatsch war so unbeschwert und heiter gewesen, dass sie für einen Moment alle düsteren Gedanken verdrängt hatte. Ein folgenschwerer Fehler, wie ihr mehr und mehr bewusst wurde. Die aufkommende Panik hielt sie nicht davon ab, wiederum zu überlegen, wer ihr Verfolger sein konnte. Hatte sie jemanden beleidigt, ermuntert oder abgewiesen, der ihr offensichtlich den Hof machte? Ob es derjenige war, der sie neulich auf der Singleparty unbedingt hatte kennenlernen wollen? Wie hieß der Mann noch? Er hatte stechende Augen gehabt und sich irgendwie seltsam benommen. Dabei war er noch nicht einmal ihr Typ gewesen. Auch ohne seine fordernde, lauernde Art hätte sie ihm nie und nimmer eine Chance gegeben. Aber nein, er hatte ihr zwar draußen aufgelauert, war dann aber ziemlich beleidigt weggegangen, nachdem sie ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie beide geben würde. Und seitdem hatte sie ihn nicht wiedergesehen. Warum sollte er heute ausgerechnet …? Halt! Hatte da nicht ein Ast geknackt? Wenn doch nur das rettende Tor endlich in Sicht käme … Herrje, warum kam denn niemand? Waren alle aus Zucker, um sich vor ein paar Regentropfen zu fürchten? Daniela beschleunigte ihre Schritte und merkte, wie sie zu schwitzen anfing. Dann ging alles sehr schnell. Plötzlich nahm sie einen dunklen Schatten wahr, dessen Verursacher sich ihr in den Weg stellte. »Du?«, fragte sie ungläubig, »was machst du hier?« Es sollten die letzten Worte sein, die sie in diesem Leben sprach.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Impressum neobooks
Daniela Wilke fühlte sich schon seit einiger Zeit verfolgt. Der Kerl war geschickt genug, immer dann in Deckung zu gehen, wenn sie sich umdrehte. Trotzdem konnte sie seine Anwesenheit geradezu körperlich spüren. Seine Schritte wurden durch den Sandweg gedämmt, falls er diesen überhaupt benutzte und nicht über den Rasen lief. Wie konnte sie auch nur so blöd sein, durch den Bürgerpark die Abkürzung zu nehmen, geißelte sie sich unaufhörlich. Doch einmal hatte sie nicht bedacht, dass in dieser Jahreszeit die Dämmerung früher einsetzte, und zum anderen hatte sie gehofft, noch vereinzelte Spaziergänger anzutreffen, wie es normalerweise der Fall war. Denn im großen Erholungspark, einem Wahrzeichen des Ortsteils Pankow, traf man bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit Menschen jeglichen Alters, die dem Stadtgetümmel entflohen und sozusagen in eine andere Welt eintauchten.
Nur heute nicht, dachte Daniela bitter. Vielleicht, weil für die Abendstunden Regen angesagt war und es bereits zu nieseln anfing. Ihre Freundin Birgit hatte sie noch gewarnt, der Versuchung zu widerstehen, von der Heinrich-Mann-Straße zur Wilhelm-Kuhr-Straße die Abkürzung durch den Bürgerpark zu nehmen. Wie gut Birgit sie doch kannte, dachte Daniela. Doch der Kaffeeklatsch war so unbeschwert und heiter gewesen, dass sie für einen Moment alle düsteren Gedanken verdrängt hatte. Ein folgenschwerer Fehler, wie ihr mehr und mehr bewusst wurde.
Die aufkommende Panik hielt sie nicht davon ab, wiederum zu überlegen, wer ihr Verfolger sein konnte. Hatte sie jemanden beleidigt, ermuntert oder abgewiesen, der ihr offensichtlich den Hof machte? Ob es derjenige war, der sie neulich auf der Singleparty unbedingt hatte kennenlernen wollen? Wie hieß der Mann noch? Er hatte stechende Augen gehabt und sich irgendwie seltsam benommen. Dabei war er noch nicht einmal ihr Typ gewesen. Auch ohne seine fordernde, lauernde Art hätte sie ihm nie und nimmer eine Chance gegeben. Aber nein, er hatte ihr zwar draußen aufgelauert, war dann aber ziemlich beleidigt weggegangen, nachdem sie ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie beide geben würde. Und seitdem hatte sie ihn nicht wiedergesehen. Warum sollte er heute ausgerechnet …?
Halt! Hatte da nicht ein Ast geknackt? Wenn doch nur das rettende Tor endlich in Sicht käme … Herrje, warum kam denn niemand? Waren alle aus Zucker, um sich vor ein paar Regentropfen zu fürchten? Daniela beschleunigte ihre Schritte und merkte, wie sie zu schwitzen anfing.
Dann ging alles sehr schnell. Plötzlich nahm sie einen dunklen Schatten wahr, dessen Verursacher sich ihr in den Weg stellte.
»Du?«, fragte sie ungläubig, »was machst du hier?« Es sollten die letzten Worte sein, die sie in diesem Leben sprach.
»Wenn du jetzt nicht aufstehst, wirst du unweigerlich zu spät zur Schule kommen, Ben.«
»Na und? Ist doch eh immer derselbe Kram, den niemand später braucht«, die Stimme des Teenagers war gelangweilt und überzeugt zugleich.
»Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du verzichtest heute darauf, Stunden im Bad zu verbringen, und riechst im Laufe des Tages etwas streng, oder du lässt dein Fahrrad stehen und Papa oder ich fahren dich zur Schule. Wie du dann allerdings zurückkommst, ist deine Sache.«
»Mama, du nervst. Ja, ich dusche etwas schneller und fahre dann mit euch.«
»Eins zu null für dich«, sagte Hinnerk, »waren wir in der Pubertät auch so anstrengend?«
»Wenn es nach meiner Mutter geht, ich schon. Du warst hingegen bestimmt ein Musterknabe«, antwortete Valerie.
»Denkste, meine Eltern hatten es auch nicht leicht mit mir.«
»Dachte ich mir’s doch.«
Das Paar neckte sich wie in alten Zeiten. Dabei waren sie seit vier Jahren geschieden, lebten aber seit etwa drei Jahren wieder zusammen im gemeinsamen Haus. Der gemeinsame Sohn Ben war damals überglücklich gewesen, als sein Vater zurückgekehrt war. Die Zeit dazwischen hatte Hinnerk Lange bei seiner Freundin Marion Haberland gelebt, die er durch einen Mordfall kennen und lieben gelernt hatte. Hinnerk war nämlich ebenso wie seine Frau Valerie Voss Hauptkommissar beim LKA Berlin. Schon bald nach der Trennung hatten beide gemerkt, dass die Scheidung ein Fehler gewesen war. Leider hatte ihre erneute Annäherung und die Tatsache, dass sie wieder miteinander schliefen, dazu geführt, dass Marion nach einem heftigen Streit aus dem Haus gelaufen und durch einen mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Lkw ums Leben gekommen war.
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