Am nächsten Tag meldete sich Steffen Schubert im Präsidium. Der smarte Geschäftsmann machte auf den ersten Blick einen guten Eindruck, doch der konnte täuschen, wie Valerie und Hinnerk wussten.
»Meine Frau sagte mir, Sie wollen mich sprechen? Es geht sicher um Daniela. Schreckliche Sache …«
»Ganz recht. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, meinte Hinnerk.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Wie gut kannten Sie Daniela Wilke, Herr Schubert?«
»So gut, wie man die beste oder eine der besten Freundinnen seiner Frau eben kennt. Die meiste Zeit haben die beiden Frauen aber allein verbracht.«
»Und Sie, haben Sie Frau Wilke auch ohne Ihre Frau getroffen?«
»Nein, obwohl sie mir schon sehr gut gefiel. Doch mit der Freundin der eigenen Frau etwas anzufangen, ist nicht die feine englische Art.«
»Ihre Frau meinte, Frau Wilke sei nicht unbedingt Ihr Typ gewesen …«
»Kann sein, dass ich mal so etwas geäußert habe, damit Birgit nicht auf dumme Gedanken kommt.«
»Nun, so dumm waren die Gedanken ja wohl nicht, wenn ich Sie richtig verstanden habe.«
»Doch, Daniela hätte Birgit das nie angetan. Sicher, sie hatte nicht gerade Glück mit den Männern, doch deshalb auf mich zurückzugreifen …«
»Glauben Sie, sie hat auch an Ihnen Gefallen gefunden, sich aber nur nicht getraut, dem nachzugeben?«
»Weiß ich nicht, kann sein. Das Thema wurde nie berührt.«
»Jetzt kommen Sie, als Mann spürt man doch, ob eine Frau einen mag …«
»Gemocht hat sie mich, das steht außer Frage. Doch ob sie auch geil auf mich war? Keine Ahnung, kann sein, kann auch nicht sein. Extra mit den Titten oder dem Arsch hat sie jedenfalls nicht gewackelt.«
»Und das haben Sie bedauert und wollten ihr Glück an einem neutralen Ort versuchen, zum Beispiel in einem dunklen Park …«
»Quatsch, ich sage doch, sie wäre nie darauf eingegangen. Der Ort spielte dabei keine Rolle.«
»Wo waren Sie an jenem Abend zwischen zwanzig und einundzwanzig Uhr?«
»Im Büro, bis auf die zwanzig Minuten, die ich für den Heimweg brauche.«
»Kann das jemand bestätigen?«
»Ja, meine Sekretärin. Wenn Sie glauben, ich hätte Daniela umgebracht, sind Sie auf dem Holzweg.«
»Das wird festzustellen sein. Mein Kollege Kommissar Scheibli wird Sie jetzt nach Hause begleiten, wo sie ihm bitte die Kleidungsstücke und Schuhe aushändigen, die Sie an jenem Abend getragen haben.«
»Muss das sein? Ich meine, dass ich noch mal mitkomme. Kleidung und Schuhe kann Ihnen auch Birgit aushändigen.«
»Ja, natürlich, das geht auch. Demnach tragen Sie heute etwas anderes?«
»Sicher, ich weiß ja nicht, wie Sie es halten. Ich trage jeden Tag einen anderen Anzug, und die Schuhe wechsle ich auch öfter. Verzeihung, war nicht so gemeint.«
»Macht ja nichts, ich trage schon mal zwei Tage dieselbe Jeans, manchmal sogar eine Woche. Und mit meinen Lieblingsschuhen würde ich am liebsten ins Bett gehen.«
»Ja? Na, jedem Tierchen sein Pläsierchen.«
»Gut, Sie hören dann von uns. Und nach der Untersuchung bekommen Sie selbstverständlich Ihre Sachen wieder.«
»Alles klar, dann noch einen schönen Tag, die Herrschaften. Und viel Glück bei der Ermittlung, denn ich bin bestimmt nicht der Täter, den Sie suchen.«
Steffen Schubert verließ sichtlich erleichtert das Kommissariat, woraufhin Valerie schallend zu lachen anfing.
»Was erzählst du denn für einen Bockmist? Du und deine Jeans eine Woche tragen? Schon nach einem Tag rümpfst du die Nase. Und ich weiß nicht, wem die Batterie von Schuhen gehört. Deine scheinen es offensichtlich nicht zu sein, wo du immer dieselben trägst.«
»Lass mich doch den Kerl ein wenig provozieren beziehungsweise aus der Reserve locken.«
»Denkst du, es ist unser Täter?«, fragte Lars.
»Eher nicht. Sonst hätte er nicht so bereitwillig zugegeben, dass er gerne mal mit Daniela Wilke geschlafen hätte. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen zu behaupten, dass er sie nicht ausstehen konnte.«
»Dann schickst du mich also völlig umsonst seine Sachen holen?«
»Was heißt umsonst? Umsonst ist der Tod. Vielleicht finden die Forensiker überraschender Weise Danielas Genspuren auf seinem Anzug, oder Erdspuren an seinen Schuhen, die zum Tatort passen.«
»Wäre nicht so ungewöhnlich, wo er in der Nähe wohnt und sicher öfter mal einen Spaziergang macht …«
»Du, wenn es dir zuviel ist, ich kann auch selbst fahren …«
»Nein, nein, ich mache das schon«, sagte Lars, »und auf dem Rückweg fahre ich noch in seiner Firma vorbei, um mir die Sekretärin vorzuknöpfen.«
»Bravo, das nenne ich Arbeitseifer.«
»Verscheißern kann ich mich alleine …«
Nachdem Lars die Kleidungsstücke und Schuhe von Steffen Schubert aus dessen Haus abgeholt hatte, machte er sich auf den Weg zu Schuberts Firma. Sie befand sich in einem großen Bürokomplex an der Moabiter Stromstraße. Im Sekretariat empfing ihn eine adrette junge Frau, die gut vorbereitet zu sein schien.
»Ah der Herr Kommissar«, gurrte sie, »dass Sie sich selber auf den Weg machen … Mein Name ist Anita Winkler … Ich hätte Ihnen das Alibi meines Chefs auch telefonisch bestätigen können.«
»Demnach hat er Sie schon informiert. Riecht ein bisschen nach Absprache.«
»Aber ich bitte Sie, das ist gar nicht nötig. Bei uns wird es öfter mal spät, so auch an dem bewussten Abend. Ich wusste, was auf mich zukommt, als ich die Stelle hier angenommen habe.«
»Geht Ihre berufliche Beziehung auch ins Private über?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Herr Schubert lädt mich gelegentlich zum Essen ein. Das Bett teilen wir nicht miteinander, falls Sie darauf anspielen. Schließlich ist er glücklich verheiratet.«
»Das war noch nie ein Hinderungsgrund. Sie sind eine attraktive Frau, und Ihr Chef scheint nach der Einschätzung meiner Kollegen kein Kostverächter zu sein.«
»Darüber möchte ich mir kein Urteil bilden …«
»Sie sind sich darüber im klaren, dass eine Falschaussage bestraft wird … Immerhin ermitteln wir in einem Mordfall.«
»Geben Sie sich keine Mühe. Herr Schubert hat die Firma gegen zwanzig Uhr vierzig verlassen. Das würde ich jederzeit beeiden.«
»Nun gut, dann nehme ich das so zu Protokoll. Sollte sich jedoch etwas Gegenteiliges herausstellen, werden Sie schneller mit uns Kontakt bekommen, als Ihnen lieb ist.«
»Bitte, wenn Sie sonst keine Fragen haben, würde ich jetzt gerne weiterarbeiten.«
»Eine Frage hätte ich noch: Herr Schubert trug an jenem Tag einen dunkelgrünen Anzug und braune Schuhe, richtig?«
»Netter Versuch, nein, sein Anzug war blau und die Schuhe schwarz.«
»Sie schauen sich Ihren Chef wohl immer ganz genau an?«
»Als gute Sekretärin hat man so etwas im Blick. Wollen Sie auch noch das Krawattenmuster wissen?«
»Danke, nicht nötig.«
Auf der Straße des 17. Juni in Tiergarten herrschte trotz der vorgerückten Stunde noch reger Verkehr. Sogar in doppelter Hinsicht, denn dort blühte der Straßenstrich. Leichtbekleidete „Damen“ standen ganz zufällig in kleinen Gruppen oder allein vor den Büschen des großen Parks und wurden erst aktiv, wenn ein Auto auffällig langsam fuhr oder gar anhielt.
Janine Siebert, die sich hier Coco nannte, war eine von ihnen. In früheren Zeiten hätte man sie als gefallenes Mädchen bezeichnet, denn bisher war ihr in ihrem Leben nicht viel Glück beschieden. Eine viel zu frühe Heirat, die bald darauf folgende schmutzige Scheidung, Gelegenheitsjobs und schließlich die Prostitution. Sogar das Sorgerecht für ihren Sohn hatte man ihr aufgrund ihres unsoliden Lebenswandels entzogen. Sie sah ihn nur alle paar Wochen und ihr Verhältnis zueinander konnte man durchaus als gestört bezeichnen.
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