»Na, du hast wohl etwas geahnt?«, sagte sie.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Dann geh mal in den Garten und sieh nach, womit sich Herbert beschäftigt.«
Jetzt vernahm er ein immer deutlicher werdendes Bellen und aufgeregte Quietschgeräusche, die er bei seiner Ankunft den Nachbarn zugeordnet hatte. Herbert Schindler tobte ausgelassen mit einem kleinen Hund herum, der durch sein wuscheliges Fell Ähnlichkeit mit einem überdimensionalen Wollknäuel hatte.
»Ist der goldig«, sagte Ben, »um welche Rasse handelt es sich?«
»Um keine bestimmte. Da mischen sich einige, doch das sind oft die robustesten Hunde, weil sie nicht so überzüchtet sind. Tach, erst mal, mein Lieber, schön, dass du uns besuchen kommst.«
Ben gab Herbert die Hand und bückte sich dann gleich, um den kleinen Kerl zu begrüßen. »Wie heißt er? Habt ihr ihn aus dem Tierheim?«
»Nein, ein befreundetes Ehepaar hat ungewollt „Nachwuchs“ bekommen. Auf einen Namen haben wir uns noch nicht festgelegt. Fällt dir spontan einer ein?«
»Ist es ein Rüde oder eine Hündin?«
»Letzteres.«
»Dann nennt sie doch Cleo beziehungsweise Cleopatra. Das passt zu Cäsar.«
»Ja, das gefällt mir. Was sagst du Karen?«
Bens Großmutter stand in der offenen Terrassentür und verzog das Gesicht. »Wenn du uns endgültig lächerlich machen willst … Die Nachbarn werden denken, jetzt sind wir völlig übergeschnappt. Herbert kann nämlich ohne Vierbeiner nicht mehr leben. Nicht dass ich Cäsar nicht auch vermisse, doch ich hoffte, er würde sich jetzt etwas mehr um mich kümmern.«
»Das eine schließt das andere doch nicht aus, Liebste …«
»Und wenn wir mal verreisen wollen? Du stürzt dich von einer Abhängigkeit in die Nächste. Und dann auch noch so ein junges Tier … In unserem Alter sollte man sich einen alten Hund nehmen, wenn überhaupt, der ebenso wie wir seine Ruhe haben will.«
»Wenn ihr verreist, kann ich mich um ihn kümmern«, sagte Ben spontan. »Ich wollte sowieso fragen, ob ich nicht lieber bei euch wohnen kann …«
Für einen Moment war es muckmäuschenstill, sogar der Hund verstummte.
»Koch uns doch mal einen schönen Kaffee«, sagte Herbert zu Karen, »und bring deinen selbstgebackenen Kuchen mit, der wird Ben genauso schmecken wie mir.«
»Verstehe, das soll wohl ein Gespräch unter Männern werden«, meinte Karen, »sagt Bescheid, wenn ich dazustoßen darf …«
»Jederzeit, Liebste, wir schätzen doch deinen Rat …«
Karen lachte und ging zurück in die Küche.
»Also, was ist los?«, fragte Herbert Ben, »hat es zu Hause Ärger gegeben?«
Ben druckste herum. »Nicht direkt, aber ich wäre wirklich lieber hier. Mama und Papa sind doch eh kaum zu Hause. Vor lauter Arbeit kennen die fast nichts.«
»Ich glaube, jetzt bist du etwas ungerecht. Ich erinnere mich an die Zeit, als dein Vater seine Überstunden abbummelte, da hat er einiges mit dir unternommen.«
»Das ist drei Jahre her … Sie müssen auch nicht dauernd etwas mit mir machen. Die Ausflüge an den Wochenenden finde ich meistens ziemlich öde. Ich wäre lieber mit meinen Kumpels zusammen.«
»Das ist in deinem Alter ganz normal. Also, was ist es dann?«
»Mama und ich verstehen uns nicht mehr. Sie wirft mir ungeheure Dinge vor, und ich vergreife mich dann im Ton, wie sie es ausdrückt.«
»Du, auch das ist normal. Teenager denken, ihre Eltern ticken nicht richtig, und umgekehrt. Das war schon immer so. Was genau wirft sie dir denn vor?«
»Sie meint, ich sei emotional verkümmert, weil ich angeblich weder um meinen Großvater noch um Papas Freundin getrauert habe. Auch Minkas und Cäsars Tod habe mich nicht berührt. Das ist so eine Gemeinheit. Um beide Tiere habe ich nächtelang geweint. Sie hat es nur nicht mitgekriegt. Auch behauptet sie, ich ginge nie auf den Friedhof. Das ist eine glatte Unterstellung. Ich besuche öfter Marions Grab, weil ich sie wirklich gern hatte. Na schön, Opa habe ich nur zweimal besucht. Für mich war er ein fremder Mann. Außerdem hat er sowieso nichts mehr davon, egal, ob ich hingehe oder nicht.«
»Das stimmt. Man kann auch an jemanden denken, ohne an seinem Grab zu stehen. Jungen in deinem Alter sind oft etwas überfordert mit diesen Orten. Ich weiß, dass Christoph dich oft vor den Kopf gestoßen hat. Das hat er nicht mit Absicht getan, es war seine Krankheit. Meine Frau hat sich damals auch sehr verändert, weißt du. Das war nicht immer leicht für mich. Genauso ging es deiner Oma. Sie hat viel durchgemacht. Trotzdem war dein Großvater ein lieber Mensch, davon bin ich überzeugt, sonst wäre Karen nicht so lange mit ihm verheiratet gewesen. Versuch, ihm zu verzeihen. Unter anderen Umständen hätte er bestimmt alles für dich getan und wäre sehr stolz auf dich gewesen.«
»Für hätte und wäre kann ich mir auch nichts kaufen …«
Herbert gab Ben ein Zeichen, als Karen mit einem vollen Tablett im Garten auftauchte.
»Habe ich etwas verpasst?«, fragte sie möglichst unbefangen.
»Dein Enkel würde gerne zu uns ziehen.«
»Aber das kommt doch überhaupt nicht infrage. Deine Mutter würde mir das nie verzeihen. Sie würde denken, ich hätte dich dazu überredet. Versteh mich nicht falsch Ben, du bist immer herzlich willkommen, aber hier wohnen ist etwas anderes.«
»Ich habe mir schon gedacht, dass ihr nicht mitspielt«, sagte Ben bekümmert.
»Die Gründe habe ich dir eben genannt. Wenn du Sorgen hast, kannst du damit immer zu uns kommen.«
»Ben fühlt sich von seiner Mutter missverstanden …«
»Glaubst du, uns ist es in deinem Alter anders gegangen? Das ist ein Generationsproblem, das sich unaufhörlich wiederholt. Das ist so alt wie die Welt. Deine Mutter liebt dich von ganzem Herzen. Und dein Vater ist damals deinetwegen zu euch zurückgekehrt, vergiss das nicht. Warte noch vier, fünf Jahre, dann kannst du dir eine eigene Wohnung nehmen. Dann wird sich euer Verhältnis wieder bessern.«
»Red doch noch mal mit deiner Mutter, so wie du es eben mit mir gemacht hast«, sagte Herbert. »Viele Missverständnisse entstehen, weil die Menschen nicht miteinander reden.«
Ben nickte. Im Grunde genommen hatte er nichts anderes erwartet. Doch einen Versuch war es wert gewesen. Und vielleicht hatte Herbert sogar Recht. Wenn Valerie nicht richtig zuhörte oder auf ihrer Meinung beharrte, musste man sie eben vom Gegenteil überzeugen.
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