1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Marion probierte den Kuchen und gab ein „Mhm“ von sich.
„Oh ja, der ist lecker“, stimmte Conny zu.
Johann nickte und sagte: „Auch der Espresso ist nicht schlecht.“ (Wenn etwas gut ist, sagt man hier, es sei nicht schlecht).
Hungrige Spatzen hüpften auf dem Kies um den Tisch herum und hofften auf zufällig herabfallende Krümel, sehr zur Freude von Marion und Conny, die mit absichtlich vom Tisch fallenden Stückchen nachhalfen.
Ob der große Braunbär einen Bisonbullen reißen könne, fragte Conny. Das glaube sie nicht, meinte Marion, so ein Bisonbulle sei wehrhaft, ein Stich mit den Hörnern oder ein Tritt mit den Hufen würde den Bären schwer verletzen. Vielleicht sogar tödlich, sagte Johann. Scherzend fügte er hinzu: Man hätte den Bären ins Gehege der Bisons schicken sollen. Dann hätten die sich bewegt. Die Mädchen lachten, und er lachte mit ihnen.
Zufrieden machte sich das Kleeblatt, wie Johann seine Töchter und sich gerne nannte, auf die Heimfahrt. Er setzte die Mädchen zuhause ab und fuhr, wie jeden Sonntagnachmittag, für eine oder zwei Stunden in die Firma, um den Montag vorzubereiten.
Johann hatte in Tübingen Betriebswirtschaft studiert, danach für eine Export-Import-Firma zwei Jahre lang in New York gearbeitet, ehe er vor sechzehn Jahren zur Linder Pumpen GmbH hier im Industriegebiet wechselte. Als Linder vor sieben Jahren die Tochterfirma Li-Filter gründete, konnte er als Teilhaber einsteigen. Sie stellten leistungsstarke Filtermaschinen her, kein Kleinzeug. Den weltweiten Vertrieb aufzubauen war seine Aufgabe, eine Arbeit, die ihm Spaß machte, auch wenn sie ab und zu - immer wenn ein Problem auftrat, das schnell gelöst werden musste - viel Kraft erforderte.
Am späten Sonntagnachmittag war er allein in der Firma. Er setzte sich in den bequemen Chefsessel am Schreibtisch in seinem Büro, einem hellen Eckzimmer im ersten Stock des Firmengebäudes. Wände und Decke waren cremeweiß gestrichen, der Boden mit hellbraunem Laminat belegt. Abgesehen von dem edel wirkenden Sessel war der Raum funktionell (man könnte auch sagen bescheiden) mit hellgrauen Büromöbeln der Firma Auermann eingerichtet. Im rechten Winkel zum Schreibtisch schloss sich ein Computertisch an, daneben ein großer Aktenschrank. An der Wand links stand ein Sideboard und schräg gegenüber vom Schreibtisch ein ovaler Besuchertisch mit sechs gepolsterten Stühlen. Ein großer Drachenbaum in einem rollbaren Edelstahltopf und ein vierteiliges Wandbild einer Alpenlandschaft, mit Schafen auf einer grünen Weide im Vordergrund und zackigen grauen Bergen dahinter, milderten die geschäftliche Atmosphäre.
Der Schreibtisch spiegelte das Bild eines ordnungsliebenden Menschen; links lagen zwei dünne Stapel mit Akten, in der Mitte ein Notizblock mit zwei Kugelschreibern und rechts ruhte ein drahtloses Telefon in einer Ladestation. Weitere Arbeitsgeräte, ein Laptop und ein Laserdrucker, standen auf dem Computertisch bereit. Telefax und Kopierer waren im Vorzimmer untergebracht, dem Arbeitsplatz von Mary Wright, seiner aus Wales stammenden Assistentin. Sie war die erste Mitarbeiterin, die er bei Li-Filter eingestellt hatte.
Rote Haare, grüne Augen, helle Haut und viele Sommersprossen - nein, so sah sie nicht aus, sie passte nicht in unser Bild vom irisch-keltischen Typ. Nur die helle Haut stimmte, Sommersprossen fehlten, ihre Haare waren dunkelblond und ihre Augen braun. Mary hatte an der Universität in Cardiff ein Bachelor-Diplom in Business and Administration erworben. Das war nützlich, doch genauso wichtig für das weltweite Geschäft war ihr perfektes Englisch.
Er schloss den Schreibtisch auf und griff nach seinem Kalender. Als erstes sollte er morgen Jorge Souza anrufen und mit ihm besprechen, wie sie ihre Filtermaschine, Marke Clearfilter , bei der Messe Aqua Clean in Lissabon optimal präsentieren könnten. Jorge war Repräsentant von Li-Filter in Portugal und deshalb zuständig für die Betreuung ihres Messestandes. Johann wollte nur zwei Tage dazu stoßen.
Das speziell für Ausstellungen gebaute Exemplar eines Clearfilter mit transparentem Gehäuse (damit die Funktionsweise der Filtermaschine gezeigt werden konnte) und die Ausrüstung des Stands mit dem großen Firmenschild, den Schautafeln und dem Prospektständer hatte er schon vor zehn Tagen durch die Spedition Transitco nach Lissabon schicken lassen.
Ich muss mich erkundigen, ob alles in gutem Zustand angekommen ist, schrieb er auf seinen Notizblock ebenso wie die Fragen: Besitzt Jorge genügend Prospekte in Englisch und Portugiesisch, oder sollte Li-Filter noch welche nachdrucken? Und hat er die schriftlichen Erläuterungen zu den Schautafeln, in denen erfolgreiche Anwendungen unserer Filtermaschine in Industriebetrieben, in Hotels und bei Naturkatastrophen dargestellt sind? Auch über den Aufbau einer Repräsentanz in Brasilien sollte ich mit ihm reden und ihn bitten, direkt neben unserer Filtermaschine ein Schild mit der Aufschrift ‚Repräsentant für Brasilien gesucht‘ aufzustellen.
Von seinem Büro ging Johann in den Montageraum, wo sieben halbfertige Filtermaschinen auf die noch fehlenden Teile warteten. Mindesten vier mussten sie in der nächsten Woche ausliefern. Stolz lief er von einer Maschine zur anderen und kehrte im Geist zurück in die Zeit, als sie begannen diese Maschine zu entwickeln:
„Wir brauchen einen Filter, mit dem wir unsere Emulsionen reinigen können“, hatte Karl Linder in einer Besprechung mit seinen leitenden Mitarbeitern gesagt und sich an Johann gewandt: „Recherchieren Sie bitte, welche Maschinen für diesen Zweck auf dem Markt sind.“
Zu jener Zeit wusste Johann nicht viel über Emulsionen. Natürlich hatte er mitbekommen, dass die Techniker in der Fertigungshalle Metallteile für die Linder Pumpen mit Hilfe von Emulsionen bearbeiteten: Löcher mussten gebohrt, Profile gefräst, Oberflächen und Kanten geschliffen werden, und alles auf ein Zehntel eines Millimeters genau, mit Werkzeugen, die in Werkzeugmaschinen eingespannt von leistungsstarken Motoren zu Höchstleistungen angetrieben wurden. Damit die Werkzeuge nicht heiß liefen und kaputt gingen, wurden sie mit einer Öl-Wasser-Emulsion gekühlt und geschmiert. Öl-Wasser-Emulsion klingt einfach, ist aber in Wahrheit ein Hightech-Produkt mit zahlreichen Komponenten, die exakt aufeinander abgestimmt sind: Spezielle Öle, destilliertes Wasser, Emulgatoren, Stabilisatoren, Mittel gegen Korrosion, gegen Bakterien, gegen Pilze, gegen fast alles.
Die Art und Weise wie eine Emulsion bei der maschinellen Bearbeitung von Metallteilen wirkte, hatte er sich an einem Bohrautomaten genau angeschaut: Aus einem Tank am Boden der Werkzeugmaschine saugte eine Pumpe die Emulsion kontinuierlich an und drückte sie durch ein flexibles Rohr nach oben, wo sie in einem starken Strahl auf das Werkzeug gerichtet wurde, auf einen Bohrer, der in rasender Geschwindigkeit an exakt vorgegebenen Stellen Löcher in Metallteile bohrte. Die Emulsion kühlte und schmierte das Werkzeug, nahm die beim Bohren entstandenen Metallspäne auf und floss durch einen Trichter zurück in den Tank. Die groben Späne sanken zu Bden, während die feinen Späne und Schmutz in der Emulsion verblieben und mit ihr wieder nach oben zum Werkzeug gelangten.
Es war leicht zu verstehen, dass die Emulsion von Tag zu Tag mehr verschmutzte und früher oder später unbrauchbar wurde und durch eine frische Emulsion ersetzt werden musste. Reinigte man jedoch die Emulsion täglich, indem man mit einem Filter Metallspäne und Schmutz abtrennte, konnte man sie über einen längeren Zeitraum verwenden. Das sparte Kosten und vermied Abfall.
Johanns Marktrecherche hatte zu keinem guten Ergebnis geführt. Die angebotenen Filtermaschinen waren entweder sehr teuer oder weniger teuer aber nicht leistungsfähig.
„Dann entwickeln wir selbst eine geeignete Maschine“, hatte Karl Linder gesagt, „wenn da eine Marktlücke ist, stoßen wir hinein.“
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