1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Die Bäuerin schob die Kinder aus der Küche. 'Wascht Euch die Hände und ruft die anderen. Das Essen ist gleich fertig.' Dann wandte sie sich wieder an Georg Milden. 'Hier in Sequitanien regnet es jedes Jahr an den gleichen Tagen und zur gleichen Stunde, außer wenn die Magier sich einmischen. Das Wetter ändert sich nicht, es ist jedes Jahr das gleiche Wetter, Sonne, Regen, Schnee, immer an den gleichen Tagen und zur gleichen Stunde. Nicht so wie in Anderland.'
Der Besucher konnte sein Erstaunen nicht verbergen, sowohl über das gleichmäßige Wetter, als auch über die beiläufige Erwähnung von Magiern, wer immer diese sein mochten. Ein derart zuverlässiges Wetter verminderte jedenfalls das Risiko für die Bauern ungemein. Keine unerwarteten Trockenperioden, keine plötzlichen Regengüsse. Man wusste, wann man aussäen musste und wann man ernten konnte. 'Und wer ist Onkel Roger, von dem der junge Mann seine Kenntnisse über Anderland hat?'
Nun war es wieder Andries, der antwortete. 'Ein Anderländer, wie Ihr. Ist vor Jahren durch die Pforte gekommen. Er hat sich ein paar Weg-Stunden von hier im Deimon-Wald niedergelassen und betreibt dort eine kleine Schenke und etwas Landwirtschaft. Wir besuchen ihn öfter, und er und seine Frau kommen gelegentlich zu uns. Deshalb kennen die Kinder sie, und ihre Geschichten von Anderland. Sie hören immer gebannt zu. Ich meine, Ihr müsst uns schon verzeihen, aber Anderland ist ja wirklich zu seltsam.'
Ehe Georg Milden antworten konnte, scheuchte die Bäuerin sie auch schon zum Tisch und drängte ihn, Platz zu nehmen.
Es war ein großer Tisch, an dem viele Menschen Platz nahmen, der Bauer und die Bäuerin, zwei jüngere Ehepaare, drei jüngere Männer und fünf Kinder. Das Essen sah nicht wirklich appetitlich aus, zwei große Töpfe mit Eintopf und zwei Schalen mit Brot, das in große Stücke geschnitten worden war.
In dem Eintopf schwammen unter anderem ein paar Fleischstücke und grünes Gemüse. Das schien das gleiche Gemüse zu sein, das er in Essig eingelegt bei Ingrid Hansson gegessen hatte Die Suppe war, na ja, gewöhnungsbedürftig, besonders das Gemüse. Das Brot zumindest war herzhaft und schmeckte ihm. Nach anfänglichem Zögern griff Georg Milden dennoch tapfer zu und brachte es auch nicht übers Herz, den angebotenen Nachschlag abzulehnen. 'Das Essen ist köstlich, gnädige Frau.' Die Bäuerin strahlte über das ganze Gesicht. 'Darf ich fragen, was das für ein Gemüse ist?'
'Natürlich. Das ist Flappich.' Die jüngere Frau, die beim Kochen geholfen hatte, war bereits aufgestanden und hatte ein großes, dunkelgrünes, dickes fleischiges Blatt geholt, das sie dem Gast zeigte. 'Dies ist Flappich.' Er hatte die Blätter schon im Garten und auch unterwegs am Wegesrand gesehen, aber für Zierpflanzen gehalten.
Nach dem Essen gingen die meisten Erwachsenen wieder an ihre Arbeit. Aber der Bauer und die Bäuerin blieben noch mit dem Gast sitzen. Die Schwiegertochter hatte eine Flasche auf den Tisch gestellt. Das Getränk schmeckte nach Kräuterlikör, aber nicht schlecht.
Andries sah aus dem Fenster. Der Regen wird in etwa einer halben Stunde aufhören, dann bringe ich Euch zurück ins Dorf, wenn's recht ist.' 'Sicher, ich danke Ihnen sehr für die Einladung. Es war mir ein Vergnügen, Sie und Ihre Familie kennenzulernen. Aber ich habe noch eine Frage. Da am Ortsausgang steht ein Haus, das erste Haus von hier aus gesehen, mit einem eisernen Symbol vor der Tür.' Ehe er weiter reden konnte, war es aus dem Bauern auch schon herausgeplatzt: 'Das Haus des Magiers? Meint Ihr das?'
'Magier? Ihre Frau hat das schon mal erwähnt. Wollen Sie sagen, dass es Zauberei in Sequitanien gibt.' Die Jovialität und Gutmütilichkeit war völlig aus dem Gesicht des Mannes gewichen und Georg Milden befürchtete schon, einen schweren Fauxpas begangen zu haben. Aber auf dem Gesicht der Frau spielte ein spöttisches Grinsen, offensichtlich genoss sie das Unbehagen ihres Mannes.
Der Bauer antwortete lustlos. 'Was Ihr mit Zauberei meint, weiß ich nicht. Aber es gibt Magie in Sequitanien, was Euch anscheinend nicht bekannt war.' 'Was für Magie?' 'Magie halt, was Magier so tun. Die Gedanken anderer lesen, die sie nichts angehen, ihnen die Zukunft voraussagen, die sie nicht wissen wollen. Sie tun Dinge, die andere nicht können, und das ist irgendwie nicht richtig.' 'Pah, Ihr Männer!' Die Bäuerin sah ihren Mann spöttisch an. 'Wenn Ihr etwas nicht versteht, dann darf es das auch nicht geben.' Ihr Mann lief rot an, sagte aber nichts. Dem Besucher war die ganze Angelegenheit peinlich, und er schwieg.
Die Bäuerin jedoch war nicht zu bremsen und wandte sich an den Anderländer. 'Magie ist ein Teil von Sequitanien und völlig normal. Einige stört es, dass es Menschen gibt, die Dinge können, die andere niemals beherrschen werden. Aber es ist Magiern verboten, Nichtmagiern zu schaden. Wer ihre Hilfe möchte, der geht zu ihnen. Und die anderen, nun, die sollten die Magier einfach in Ruhe lassen.'
Andries vom Holmhof schaute angestrengt aus dem Fenster. 'Es hat schon fast aufgehört zu regnen. Ich bringe Euch jetzt zurück ins Dorf.' Die Frau warf ihrem Mann einen missbilligenden Blick zu und drückte Georg Milden betont herzlich die Hand. 'Ich habe mich gefreut, dass Ihr den Weg zu uns gefunden habt. Ihr seid uns jederzeit herzlich willkommen.' Der Bauer war schon aus der Stube gestapft, und es dauerte auch nicht lange, dann waren die Sassols wieder vor den Wagen gespannt. Der Besucher stieg auf den Karren, und sie verließen den Hof.
Die Regenwolken hingen noch schwer über dem Land, aber erste Sonnenstrahlen fanden ihren Weg bereits wieder durch Wolkenlücken. Zunächst schwieg Andries eisern, und Georg Milden fürchtete schon, ihn ernsthaft verärgert zu haben. Aber lange hielt der Sequitanier das nicht durch, bald erzählte er wieder von seiner Familie und wollte mehr über seinen Gast und dessen Heimat in Anderland wissen. Das müsste ja eine seltsame Welt sein, in der man niemals im Voraus sicher sein konnte, ob es regnen würde. Schließlich kamen sie im Dorf an, und der Bauer ließ seinen Besucher vor dem Gasthaus absteigen.
Es war noch früh am Tag, aber Georg Milden hatte wenig Lust auf weitere Erkundigungen. Er ging hinauf in sein Zimmer und ruhte sich aus. Am Abend wollte er seine Erlebnisse mit Ingrid Hansson besprechen, und er hatte viele Fragen.
Doch als er abends in die Gaststube kam, war Ingrid Hansson nicht da, und so kehrte er nach dem einsamen Abendessen zurück in sein Zimmer. Ohne Bücher, ohne Fernsehen, ohne Internet und ohne Strom blieb ihm eigentlich nichts anderes übrig, als früh ins Bett zu gehen. Die Eindrücke und Erlebnisse des Tages hielten ihn noch eine Weile wach, aber schließlich schlief er ein.
In der kommenden Woche lernte Georg Milden Wassenpol und seine Bewohner noch besser kennen. Er traf seinen Freund Andries fast täglich im Dorf und wurde auch wieder zu diesem auf den Hof eingeladen. Abends, wenn sie sich in der Gaststube trafen, machte Andries ihn mit anderen Männern aus dem Dorf bekannt, und er lernte dabei den Schmied und den Schuster, die mit dem Bauern befreundet waren, besser kennen. Er sah auch Ingrid Hansson regelmäßig. Einmal nahm sie ihn in ihrer Kutsche in den Nachbarort Irnfeld mit, wo sie bei dem dortigen Schreiner Möbel abholte.
Ein anderes Mal hatte er sogar die Gelegenheit, Lord Firrenbrock zu besuchen. Als der Schuster dem Lord ein Paar neuer Stiefel bringen musste, lud er seinen neuen Bekannten aus Anderland ein, ihn zu begleiten. Der Lord erinnerte sich noch gut genug an den Neuankömmling, war aber zu höflich, die unerfreulichen Seiten dieses Besuches anzusprechen. Sie gingen zu Fuß, und Georg Milden genoss diese Wanderung sehr. Er selbst trug seine neuen Wanderstiefel und konnte feststellen, dass sie sehr bequem waren.
Bei seinen Begegnungen und Gesprächen lernte er viel Neues über die Welt, die jetzt ja wohl seine neue Heimat war. Es gab nicht nur Lords, es gab auch einen König, der in der großen Stadt Norminburg residierte. Aber trotz ihrer Titel und des äußeren Anscheins handelte es sich nicht um Erbadel. Die Lords wurden vom König eingesetzt, aber praktisch immer auf Vorschlag der Bürgerversammlung des Amtsbezirks. Der König wurde von den Lords aus ihren Reihen gewählt. Er konnte auch von diesen abgewählt werden, auch wenn das seit Ewigkeiten schon nicht mehr vorgekommen war. Zwar zeigten die Bürger den Lords gegenüber Respekt, aber das war Ausdruck der allgemeinen Höflichkeit, auf welche die Sequitanier im Umgang miteinander Wert legten, keine Unterwürfigkeit.
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