1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Es war schon dunkel, als sie endlich den Gasthof 'Deimon-Schenke' erreichten. Der Gasthof lag in einer Mulde zwischen zwei Hügelzügen auf einer großen Lichtung. Im Mondlicht (des einen der beiden Monde, der gerade am Himmel stand) konnte Georg Milden ausgedehnte Weiden erkennen, auf denen Tiere standen. Dabei handelte es sich um Sassols und einige kleinere Tiere, die er in der Dunkelheit nicht erkennen konnte.
Hinter den Gebäuden befand sich ein relativ großer Garten. Nah am Weg stand ein zweistöckiges großes Haus, dahinter befanden sich Stallungen und Schuppen. Vor dem Haus sah er drei Wagen ohne Zugtiere, aber beladen mit Waren. Die Sassols, die zu den Wagen gehörten, standen jetzt wohl auf der Weide und genossen ihren eigenen Feierabend.
Der Händler gab seinem Mitfahrer zu verstehen, dass er sich erst um die Sassols kümmern müsste. So nahm Georg Milden sein Bündel, stieg ab und betrat die Gaststube, in der ein paar Gäste saßen. Diese löffelten aus großen Keramikschüsseln einen Eintopf, der ganz nach Flappich mit Zurtenfleisch aussah. Nadine Delmar hatte ihren Gast gleich erkannt, als er durch die Tür kam, und ging ihm entgegen. Ihr Lebensgefährte war nirgends zu sehen, und eine junge Frau stand hinter der Theke. Ganz Französin küsste Madame Delmar den Besucher auf beide Wangen.
'Ich freue mich, dass Du gekommen bist. Willkommen in der Deimon-Schenke, Georg!' 'Danke, ich freue mich, dass ich kommen durfte'. 'Komm, ich zeige Dir Dein Zimmer, und dann bekommst Du erst einmal etwas zu essen. Du musst müde sein.' 'Nur ein bisschen, die Fahrt hierher war interessant. Ich fühle mich immer noch, als ob ich im Abenteuerurlaub bin, in einem exotischen Land.' Madame Nadine lachte. 'Exotisch? Das kann ich verstehen. Roger ist noch in unserer Käserei, wir machen unseren eigenen Käse. Ich bin gespannt, wie er Dir schmeckt.'
Das Zimmer befand sich im Obergeschoss, und man musste über eine Außentreppe zur Latrine hinuntersteigen. Das Fehlen vernünftiger Toiletten war der Aspekt des Lebens in Sequitanien, der Georg Milden am wenigsten zusagte. Ansonsten war die Kammer einfach, aber sauber, ganz wie in Ingrid Hanssons Gasthaus in Wassenpol. Er legte sein Bündel ab, wusch sich in einer Schüssel mit Wasser die Hände und stieg dann mit der Wirtin zusammen wieder hinunter.
'Ich vermute einmal, dass Du noch oft genug Flappich-Eintopf essen wirst. Komm!' Sie führte ihn ein kleineres Zimmer neben der Gaststube, in dem ein Tisch und ein paar Stühle standen sowie ein Geschirr-Schrank. Der Gast nahm Platz, und die Hausherrin verschwand wieder. Wenig später kam der Hausherr, begleitet von der jungen Frau aus der Gaststube. Diese brachte ein großes Tablett mit Brot, Butter, Braten und verschiedenen Sorten Käse, dazu eingelegtes Gemüse von einer Sorte, welche der Gast aus Anderland noch nicht kennengelernt hatte.
Roger Hartfort hielt eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Hand, dazu zwei Gläser. Er wartete, bis die Frau den Tisch für den Gast gedeckt und den Raum wieder verlassen hatte. Dann schenkte er ein und schob dem Gast eins der Gläser zu. 'Zum Wohl, mein Freund. Ich freue mich, dass es mit Deinem Besuch geklappt hat.' Sie tranken einander zu, und Georg Milden konzentrierte sich dann auf das Essen. Er lobte den Käse, was seinen Gastgeber sichtlich stolz machte. 'Alles selbst hergestellt, der milde ist aus Gemmel-Milch, der kräftigere aus Faesol-Milch.' Georg Milden sah ihn fragend an, und sein Gastgeber musste lachen. 'Klar, Faesols hast Du noch nicht gesehen. Sie sind mit den Sassols verwandt und sehen ähnlich aus, sind aber kleiner, und ihr Fell ist weicher. Man nimmt ihr Fell deshalb auch zur Herstellung von Wolle.'
Der Besucher murmelte eine unverständliche Bemerkung, die Interesse zeigen sollte, und sein Gastgeber lachte. 'Ja, Du siehst, aus mir ist ein Bauer geworden. Wir halten unser eigenes Vieh, Zurten, Gemmel und Faesols, dazu natürlich zwei Sassols für den Wagen. So stellen wir unseren eigenen Käse her. Ein befreundeter Fleischer kommt regelmäßig und schlachtet für uns. Meine ehemaligen Kollegen würden wahrscheinlich die Nase rümpfen, aber für mich ist das Leben hier im Daimon-Wald die Erfüllung. Eine zauberhafte neue Welt.'
'Du sagst zauberhaft, heißt das, dass es hier Magie gibt? Ich meine, im Wald?' Roger Hartfort schien ihn nicht zu verstehen. 'Also ich meine, als wir durch den Wald gefahren sind, auf der Fahrt hierhin, das sah alles so anders aus, wie verwunschen, wie die Kulisse zu einem Fantasy-Film. Und dann diese seltsamen Rieseninsekten, wie Elfen.' Jetzt verstand sein Gastgeber, worauf der Besucher hinaus wollte.
'Ach, so meinst Du das. Du willst wissen, ob es hier Elfen gibt, Kobolde, Drachen, Zauberwesen? Na ja, die Tierwelt ist schon ziemlich eigenartig, aber Zauberwesen sind das nicht. Diese Sisteken, so nennt man hier diese komische Mischung aus Libelle und Vogel, sind ganz bestimmt keine Elfen. Es sind übrigens ziemlich dumme Viecher. Du wirst keine Drachen in irgendwelchen Höhlen finden und keine Hexenhäuschen mit bösen Zauberern. Wenn Du Pech hast, brichst Du Dir den Bein, und einige der Tiere können durchaus gefährlich sein, wenn sie Dir im Wald im Dunkeln bemerken. Aber verwunschen ist der Deimon-Wald nicht und auch kein anderer Wald hier in Sequitanien. Obwohl, früher, vor vierzig, fünfzig Jahren, da sind hier noch ie Ausgeschlossenen herumgestreift. Sie haben sich im Wald versteckt und die Höfe der Umgebung überfallen, sogar Dörfer. Aber sie sind schließlich vertrieben worden. Du hast von den Ausgeschlossenen gehört?'
Georg Milden nickte. 'Sie wurden erwähnt, eher beiläufig. Waren das nicht Kriminelle?' 'Ja, gewissermaßen. Und wieso waren?' Es gibt sie noch, aber nicht mehr in der Nähe der sogenannten anständigen Leute.'
Roger Hartfort nahm einen Schluck aus seinem Glas. 'Du musst wissen, es gibt gar nicht so viel Kriminalität in Sequitanien, und dafür gibt es gute Gründe. Auf der einen Seite gibt es keinen Mangel, so dass jeder das hat, was er zum Leben braucht. Und wenn Du mit Deiner Hände Arbeit nicht genug verdienst, gehst Du für einen Tag ins Bergwerk. Andererseits gibt es aber auch keinen Reichtum, und es gibt auch keinen technischen Fortschritt. Jeder hier fährt Sassol, niemand Rolls Royce. Es gibt keine Telefone, also auch keine Smartphones. Auf den Punkt gebracht, Du findest hier kaum soziale Gegensätze. Für Verbrechen aus Frust, Neid oder Ressentiment gibt es daher keinen Grund. Aber das heißt nicht, dass alle Menschen hier gut sind. Es gibt Menschen, die aus lauter Bosheit, ihren Mitmenschen Schaden zufügen. Diese schließt man aus der Gesellschaft aus.'
'Und wohin steckt man sie? Denn es gibt ja wohl keine Gefängnisse?' ''Theoretisch gibt es die Todesstrafe, aber nur für ganz schwere Verbrechen. Und ich kenne keinen Fall aus den letzten Jahren, in dem die Todesstrafe tatsächlich verhängt worden wäre. Man schließt die Verbrecher aus der Gesellschaft aus. Früher wurden sie einfach aus dem Dorf oder der Stadt gejagt. Dann haben sich einige von ihnen zu Banden zusammengeschlossen, die immer weiter anwuchsen und immer mächtiger wurden. Am Ende waren weite Landstriche nicht mehr sicher. Und wie ich sagte, der Deimon-Wald war ein Zufluchtsort für diese Gesetzlosen.'
'Was ist dann passiert?' 'Die Leute in den Dörfern sind ihren Lords aufs Dach gestiegen und die ihrerseits dem König. Der König hat die Lords ermächtigt, Schwertmeister zu rekrutieren.' 'Moment, wer oder was sind Schwertmeister? Sind das die Typen, die ich bei Lord Firrenbrock gesehen habe, die mich zur Mine gebracht haben?'
'Unwahrscheinlich, das waren wahrscheinlich die Schwertträger des Lords, so Art Polizei und örtlicher Sicherheitstruppe. Die Schwertmeister sind Spezialisten des Schwertkampfes, trainiert von anderen, älteren Meistern. Nur ausgesuchten Männern und Frauen tadellosen Charakters wird es gestattet, sich der Schwertmeisterzunft anzuschließen und zwar erst nach einer Art Charaktertest durch einen amtlich bestellten Magier.'
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