„Sie sagen es. Bayern und Baden-Württemberg sind den anderen Bundesländern sowieso in jeder Hinsicht überlegen und die Sezession ist auch für die Demokratie ein Neubeginn.“ Schmatzend trank Armin sein Bier aus und orderte ein neues.
„Das müssen Sie mir erklären.“ Kai Uwe wurde von Armins Begeisterung angesteckt. Eigentlich müsste es andersrum sein, dachte er.
„Die etablierten Parteien besitzen einen infrastrukturtechnischen Vorteil gegenüber den Parteien, die neue Ideen vertreten, oder etwa nicht?“
„Ohne Zweifel.“ Kai Uwes Spannung stieg an. Das Gespräch verlief nach seinem Geschmack. Die Sezession hatte in Bayern und Baden-Württemberg, wie von Adrian berechnet, eine Sehnsucht nach absoluter Selbstbestimmung geweckt.
„Dieser Vorteil ist mittlerweile so groß, dass eine Versteifung des Systems stattgefunden hat. Diese Versteifung hat dafür gesorgt, dass die Parteien sich nicht mehr voneinander unterscheiden, wenn es um die Lösungen der Probleme geht.“
„Armin, einen Augenblick.“
Kai Uwe suchte Carmen. Sie hatte sich ans Ende des Tresens begeben und unterhielt sich mit einem Gast.
„Entschuldigung.“
„Ja?“ Carmen schritt den Tresen zurück zu ihm.
„Ich bräuchte einen Stift und einen Zettel?“
„Kein Problem.“
Carmen griff unter die Theke.
„Sie haben doch nichts dagegen, dass ich Sie zitiere.“ Kai Uwe streckte die Hand aus und Carmen übergab ihm einen Kellner-Block samt Kugelschreiber. „Die meisten sprechen alles in ihr Handy. Ich bin aber noch vom alten Schlag und bevorzuge handschriftliche Notizen.“ Kai Uwe legte den Block auf den Tresen und Armin ließ sich nicht lange bitten.
„Ausgelöst durch diesen entstandenen Parteienbrei verliert die Demokratie an Wert. Das beste Beispiel ist das Zwei-Parteien-System der USA. Wie kann man da noch von Demokratie reden? Sie haben zwar eine Wahl, aber nur zwischen zwei Parteiprogrammen. Die beiden Parteien bestimmen also mehr oder weniger die Richtlinien der Politik und nicht der Bürger. Wir alle wissen, wohin das geführt hat. Mittlerweile ist es in Deutschland nicht anders. Die zusammengerückten Parteien sind mehr daran interessiert ihre Macht zu erhalten, anstatt das Land auf Vordermann zu bringen. Neue Parteien besitzen auch kein Konzept. Zuviel Zeit ist verschwendet worden. Die Politik hat jegliche Handlungsbereitschaft abgegeben. Die Mittelschicht schwindet unaufhaltsam. Die Sezession aber bietet die Chance eines ehrlichen Neuanfangs.“ Emotionsgeladen rutschte Armin von seinem Hocker auf den neben Kai Uwe. „Von Carstheim und die Sezession sind die Rettung“, sagte er aus nächster Nähe.
„Reden Sie weiter, was stört Sie noch.“ Kai Uwe tippte mit dem Kugelschreiber auf den Block. „Die Patrone ist voll und ich habe Zeit.“
„Nur ein Beispiel“, fing Armin sofort an zu diktieren. „Wenn in Deutschland ein Bundestagsabgeordneter nach einer Abstimmung Gelder kassiert, kann er nicht der Bestechlichkeit angeklagt werden. Das geht nur, wenn er vor einer Abstimmung abkassiert. Wie kann ich da Käuflichkeit verhindern? Hinzu kommen die unzähligen Berater-Jobs. Warum dürfen Politiker sagen „Ich stecke fünfzig Prozent meiner Arbeit in den Job des Bundestagsabgeordneten. Die andere Hälfte aber in die Interessen eines Industrieverbandes.“? Wie kann das sein, Politiker sind doch Angestellte des Staates. Wissen Sie, was passieren würde, wenn ich zu meinem Vorgesetzten sage. Hey Chef, die Hälfte meiner Arbeitszeit stecke ich in die Bank. Die Zweite in meinen Job als Berater des Finanzamtes? Was denken Sie, wird der sagen?“
Na also, ein Bankangestellter. Ich kann die Kerle einfach gegen den Wind riechen.
„Willkommen bei der Arbeitsagentur“, erwiderte Kai Uwe.
„Worauf Sie wetten können. Schreiben Sie das ruhig in Großschrift auf.“ Fordernd klatschte Armins Hand auf Kai Uwes Block. „Wieso gelten für Politiker andere Maßstäbe? Sind das etwa Menschen erster Klasse? Haben sie es nicht nötig, sich an die für die Bürger geltenden Gesetze zu halten? Von den unglaublichen Erklärungen, die sie für solche Käuflichkeit haben, einmal abgesehen. All das hat dazu beigetragen, dass Deutschland in dieser Lage ist. Die Politiker sind zu abhängig von der Industrie und Brüssel. Die Sezession wird auch da bereinigend wirken. Endlich werden die Politiker auf Augenhöhe mit den Wirtschaftsbossen Entscheidungen treffen, die zum Besten des Landes und ihrer Bürger sind.“
Kai Uwe hatte mit fliegender Feder mitgeschrieben.
„Armin, Sie sind ein guter Freund der Separatisten. Ich verspreche Ihnen, dass die Sezession das System im Süden wieder bürgerfreundlich gestalten wird.“
„Von nichts anderem gehe ich aus.“
„Als Spanierin stehe ich natürlich auch zum Süden. Der Norden ist mir sowieso zu kalt“, sagte Carmen. Verführerisch grinste sie Kai Uwe und Armin an.
„Das steht ja wohl außer Frage.“ Kai Uwe steckte den Block ein.
In den Köpfen der Menschen war eine Revolution gegen das versagende deutsche und europäische Politikwesen entstanden. Beschwingt drehte er sich um hundertachtzig Grad. Das Publikum in der Bar bekräftigte seine Gedanken. Die Frauen waren herausgeputzt und die Männer einparfümiert. „Mehr Schein als Sein, das wird helfen“, entfuhr es ihm leise.
Genau die von Armin angedeutete Stimmung muss geschürt werden. Wenn die Politiker des Südens dann noch zugeben, dass sie bereit sind, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, wird das ein gutes emotionales Argument für die Sezession sein. Auf billige Weise können wir Stimmung erzeugen.
„Billig.“
„Was ist billig?“, fragte Armin.
„Wie? Was?“ Kai Uwe hatte nicht bemerkt, dass er laut gedacht hatte.
„Sie sagten billig, was ist denn billig?“
„Nichts, nichts, ich war im Gedanken. Die Getränke sind es jedenfalls nicht. Carmen, zapfst du Armin und mir trotzdem noch ein Bier, auch wenn ich bemängeln muss, dass ihr eine Bremer Marke verkauft. Das muss natürlich geändert werden.“ Carmen lachte und schenkte Kai Uwe einen vielversprechenden Augenaufschlag, den er nicht nur auf die Sezession bezog.
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