Von Carstheim winkte in die Kameras und in Begleitung seiner Geschwister lief er zum bereitgestellten BMW.
„Ich fahre.“ Sara schnellte vor und nahm von Carstheim den Autoschlüssel ab.
„Fahr du nur.“ Von Carstheim drehte um und ging zur Beifahrertür. „Im Gegenzug besorgt ihr mir den Namen des jungen Anwalts.“
„Muss das sein?“ Friedrich blieb am Kofferraum zurück.
„Je früher du einen Feind vernichtest, desto leichter ist es. Heute kostet es mich einen Anruf. Wer weiß, was noch aus ihm wird.“
„Seit wann leidest du unter Verfolgungswahn?“
„Kein von Carstheim lässt sich ungestraft beleidigen.“
„Amen.“ Friedrich stieg in den Fond des BMW.
Der Innenminister feuerte eine wütende Tirade nach der anderen ab. Der hochmütige, verwöhnte Adelsspross, wie er sich ausdrückte, hatte ihn auf die Palme gebracht.
„Er besticht die Menschen, um König von Süddeutschland zu werden. Was halten Sie von ihm?“, fragte er, während Dana und er durch die Hotelhalle schritten.
„Er ist undurchsichtig, scheint aber an das zu glauben, was er sagt.“
„Was nichts daran ändert, dass er ein versnobter Milliardär ist, der sich zum Kaiser krönen will.“
„Eitelkeit ist bestimmt nicht seine Antriebsfeder.“
„Sicher nicht?“, fragte der Innenminister voller Abneigung. Dass Dana für seinen neu gewonnenen Erzfeind eine Kerbe schlug, bewies ihm, dass der einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Nichts worüber er sich freuen konnte. „Von Carstheim hat sich durch einen einzigartigen Egoismus ausgezeichnet. Das Kartellamt überwacht ihn seit Jahren. „Die Gruppe“ hatte keine Skrupel, Nevrotek zu zerschlagen. 5 000 Menschen landeten auf der Straße.“
„Haben die meisten Angestellten nicht einen Job bei der Bühler Firmengruppe erhalten?“
„Nur die halbe Wahrheit“, sagte der Innenminister. Dana hatte aber nicht ganz Unrecht. Die Übernahme von Nevrotek durch die Bühler-Firmengruppe, hatte aber trotzdem für einen Aufschrei in der Geschäftswelt gesorgt. Der Pariser Firmenvorstand hatte von Carstheim vorgeworfen, dass er nur durch illegal erworbenes Insiderwissen die in finanziellen Schwierigkeiten steckende Firma aufkaufen konnte. TGV und Nevrotek hatten an der Entwicklung einer revolutionären Magnetschiene gearbeitet. Und nur ein halbes Jahr nach der Zerschlagung von Nevrotek hatte Bühler Magnet vollmundig bekannt gegeben, dass der Entwicklungsabteilung ein Durchbruch in der Schienentechnologie gelungen sei.
„Es stimmt zwar, dass zwei Drittel der Jobs erhalten wurden. Das Kartellamt bemängelte aber die Monopolstellung, die Bühler-Magnet dadurch einnahm“, sagte der Innenminister. „Und im Übrigen war Nevrotek kerngesund. Von Carstheim soll für die finanzielle Schieflage verantwortlich gewesen sein.“
„Er wollte Le Train um jeden Preis verwirklichen.“
„Frau Engelhard. Seine aggressive Geschäftspolitik hat schon so manchen ruiniert.“
„Zu seiner Ehrenrettung muss aber gesagt werden, dass er fast nur in Deutschland und Europa entwickeln und produzieren lässt. Selbstbewusst kämpft er für den europäischen Wirtschaftsraum. Für die Chinesen ist er eine unerwünschte Person. Sie sind verärgert darüber, dass die Bühler Firmengruppe nichts in China produzieren lässt. Außerdem nehmen sie es ihm übel, dass er in einem Interview gesagt hat, dass die Chinesen mehr Arbeitsplätze im europäischen Mittelstand vernichtet haben, als der Schwarze Freitag. Unterm Strich hat von Carstheim in Deutschland und Europa auch weit mehr Arbeitsplätze geschaffen, als zerstört. Er ist ein Mann, der bereit ist, schwierige unpopuläre Wege zu gehen, um Deutschland und Europa wirtschaftlich in die richtige Position zu bringen.“
Beeindruckt hatte der Innenminister den Ausführungen seiner Staatssekretärin gelauscht.
„Ich bin erfreut darüber, wie schnell und genau Sie sich über Sachlagen und Menschen informieren können. Sie sollten aber wissen“, in großväterlichem Ton sprach der Innenminister auf Dana ein, „dass von Carstheim einige Geschäfte nur zustande gebracht haben soll, weil er Männer und gerade Frauen von sich überzeugen konnte. Beim Nevrotek Deal soll ihm das Kindermädchen eines Vorstandsmitgliedes die nötigen Informationen besorgt haben. Ich kann Sie vor seiner Ausstrahlung nur warnen. Seien Sie auf der Hut.“
Dana fühlte sich ertappt.
„Was meinen Sie?“
„Sagen Sie es mir.“ Der Innenminister hatte den großväterlichen Ton abgelegt.
„Ich kann nur bestätigen, dass er ein zielbewusster Mann ist“, sagte Dana.
„Das kann man wohl sagen. Denken Sie nur an den Ausspruch, der ihn berühmt gemacht hat.“
„Ich denke nicht, dass er das wirklich gesagt hat.“
„Glauben Sie mir. Er hat es. Aber wollen wir das Gespräch nicht bei einem Drink an der Hotelbar fortsetzen?“
In jeder anderen Situation hätte Dana eingewilligt. Sie mochte es, sich gepflegt und auf hohem Niveau mit dem Innenminister zu unterhalten.
„Nein danke, ich bin müde. In den nächsten Tagen wartet noch viel Arbeit auf uns.“ Sie schob die Müdigkeit vor. In Wirklichkeit hatte sie ein schlechtes Gewissen. Ob Zufall oder Absicht, die Anspielungen ihres Chefs hatten sie erkennen lassen, dass von Carstheim sie beeindruckt hatte.
„Ich mit meinen achtundsechzig Jahren habe nach der Pensionierung genügend Zeit, früh ins Bett zu gehen. Ich werde noch den einen oder anderen Drink zu mir nehmen. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“ Dana lief zur verspiegelten Rezeption und nannte ihre Zimmernummer. Im Spiegel konnte Sie sehen, wie Sie vom Innenminister wachsam beäugt wurde.
„Bitte sehr.“ Eine der Frauen an der Rezeption reichte ihr den mit einem goldenen Anhänger versehenen Zimmerschlüssel.
„Danke.“
Dana ergriff den Schlüssel. Verstohlen sah sie in den Spiegel. Der Innenminister begab sich endlich an die Bar.
Sie steckte den Schlüssel ein und ihre Hand berührte von Carstheims Handy. Ihre Gedanken schlugen Saltos. Warum hatte sie das Handy überhaupt angenommen und was wollte der Freiherr von ihr? Einem Mann wie ihm war sie noch nie begegnet. Sein Auftreten verkörperte Macht und Selbstsicherheit in Reinkultur.
6.
24. SEPTEMBER | Reichstag | 10 Uhr
Die Schlagzeilen hatten Schindling den Morgen verdorben. Die Zeitungen des Landes hatten ihre Zurückhaltung abgelegt und sich sowohl an Superlativen als auch an Widersprüchen überboten. Der Kommentar eines Passauer Blattes hatte den negativen Artikeln allerdings die Krone aufgesetzt.
Ist die Epoche der Bundesrepublik vorbei?
Der Überschrift folgte ein Artikel, der es in sich hatte.
Nachdem zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine ideologisch und ethnisch bedingte Trennungswelle in den osteuropäischen Ländern begann, scheint jetzt die Zeit anzubrechen, in der sich die Länder Europas aus Gründen der wirtschaftlichen Diskrepanz trennen wollen. Die reichen Teile der Länder bemängeln den Willen der Landesregierungen, am Erhalt des eigenen Wohlstandes zu arbeiten. Der Hauptvorwurf lautete, dass die Regierenden und die Wirtschaftsführer zu sehr am globalen Gedanken festhalten. Sie denken zu wenig an die eigene Bevölkerung. Weiterhin bemängeln sie, dass nach den letzten Euro-Krisen die europäischen Länder zu viel Macht in die Hände der Brüsseler Bürokraten gelegt haben. Viele Menschen fühlen sich mittlerweile durch einen in Brüssel geborenen europäischen Kommunismus gegängelt. Gelder wurden auf Kosten der kleinen bis mittleren Steuerzahler von links nach rechts geschoben und jahrelang wurden die Rufe nach dringend benötigten Gesetzesänderungen überhört.
Der Artikel hatte Schindling zum Schäumen gebracht.
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