Wie gewöhnlich traf sich Antonia am Dienstagabend mit Franziska und Elke im Fitnessstudio. Nach dem üblichen Trainingsprogramm saßen sie noch bei einem Saft zusammen. Wie in den vergangenen Wochen kam dabei auch Antonias Umzug zur Sprache.
„Wie weit bist du denn in deinem Knusperhäuschen?“, wollte Elke wissen. „Wann dürfen wir dich endlich besuchen?“
„Nächste Woche“, lautete die prompte Antwort. „Am Samstag steigt meine Einweihungsparty. Bis dahin könnt ihr in aller Ruhe überlegen, was ihr mir zum Einzug schenken wollt.“
„Hoffentlich fällt deine Party nicht dem Orchideenmörder zum Opfer“, meinte ihre Schwester mit skeptischer Miene. „Dann sind nämlich genau vier Wochen seit dem letzten Leichenfund verstrichen.“
„Seid ihr diesem Wahnsinnigen immer noch nicht auf der Spur?“, fragte Elke. „Was tut die Polizei eigentlich, um ihn zu schnappen? Däumchen drehen?“
„Leider hinterlässt der Täter nie brauchbare Hinweise“, erwiderte Franziska resigniert. „Er ist so verdammt clever.“
„Was ist mit den Orchideen, mit denen er seine Opfer schmückt? Vielleicht solltet ihr alle Züchter der Umgebung unter die Lupe nehmen. Dann könnt ihr gleich mit Tonis Gärtner anfangen. Wohnt der nicht ganz allein in dem großen, einsam gelegenen Haus seines Chefs am Wald? Vielleicht lockt er die ahnungslosen Frauen unter einem Vorwand dorthin, ohne dass es jemand mitbekommt.“
„Jetzt hat er aber eine Nachbarin“, sponn Franziska den Faden weiter. „Die mit der Polizei zusammenarbeitet und seine dunkle Seite entdecken könnte. Deshalb ist er hilfsbereit, freundet sich mit ihr an und murkst sie bei erster Gelegenheit ab.“
„Aber nicht vor Ende nächster Woche“, bemerkte Antonia trocken. „Oder glaubt ihr etwa, dass er wegen meiner schönen Augen seinen Rhythmus ändert?“ Innerlich amüsiert griff sie nach ihrem Saftglas. „Es tut mir Leid, euch enttäuschen zu müssen, aber Leo käme nie auf die Idee, mir meine Einweihungsparty zu verderben.“
„Du scheinst wirklich einen Narren an ihm gefressen zu haben, Schwesterherz. Es wird langsam Zeit, dass du mir den Knaben vorstellst.“
„Da ich Leo auch einladen werde, kannst du ...“ Ihr Blick wechselte zu Elke. „... könnt ihr schon bald feststellen, wie wenig sich dieser sanftmütige Mann zum Serienkiller eignet."
Antonia traf Leo erst in der folgenden Woche zufällig auf der Straße. Sie kehrte mit Quincy von einem Spaziergang zurück, als ihr der Nachbar mit einigen Zeitungen unter dem Arm entgegenkam.
„Guten Abend, Antonia“, begrüßte er sie freundlich-distanziert, klopfte dem mit dem Schwanz wedelnden Hund allerdings wohlwollend die Seite. „Lange nicht gesehen.“
„Seit meinem Einzug hatte ich viel zu tun“, erwiderte sie etwas irritiert über seine unverbindliche Haltung. „Jetzt ist aber alles an seinem Platz. Auch das Zimmer unter dem Dach habe ich schon renoviert.“
„Ich dachte schon, dass Sie mir absichtlich aus dem Weg gehen“, gestand er, wobei er sich sichtbar entspannte. „Haben Sie sich inzwischen eingelebt?“
„Bislang hatte ich noch keine Zeit dazu. Heute ist sozusagen Premiere für einen gemütlichen Abend im eigenen Heim. – Haben Sie Lust, mir bei einem Glas Wein Gesellschaft zu leisten?“, fügte sie spontan hinzu. „Oder haben Sie schon andere Pläne?“
„Noch nicht“, verneinte er erfreut. „Wann soll ich kommen? Nach dem Abendessen?“
„Mögen Sie Spaghetti?“
„Jede Art von Pasta übt einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus.“
„Haben wir etwa kalorientechnisch die gleiche Schwäche? Dann erwarte ich Sie in einer Stunde.“
„Ich bin zu jeder Schandtat bereit. Darf ich eine Flasche Wein vom Landgut meines Vaters mitbringen?“
„Wenn Sie deswegen nicht noch schnell in die Toskana düsen müssen, lasse ich mich gern überraschen, ob der Wein wirklich so gut ist.“
Obwohl es ein milder Abend war, deckte Antonia den Tisch in ihrem kleinen Speisezimmer, das ein bogenförmiger Durchgang vom Wohnraum trennte.
Bei Leos Eintreffen zündete sie gerade die Kerzen an.
„Gehen Sie bitte schon rein“, forderte sie ihn auf. „Ich muss nur noch die Nudeln abgießen.“
Während Antonia in der Küche verschwand, blickte sich ihr Gast interessiert im Wohnzimmer um. Ihm gefiel die schnörkellose Möblierung: zwei weiße Ledersofas mit einem niedrigen Glastisch davor; eine große Anrichte aus Kirschbaumholz; vor der Fensterfront lud ein Ohrensessel nebst passendem Hocker und Beistelltisch mit Leselampe zum Verweilen ein.
„Sehr geschmackvoll“, lobte Leo, als Antonia mit einem Tablett in den Händen eintrat. „Ich mag es, wenn ein Raum nicht so überladen ist.“
„Da haben wir schon wieder etwas gemeinsam. Hoffentlich nimmt das nicht überhand.“
Bedächtig stellte er die mitgebrachte Weinkaraffe auf dem Tisch ab.
„Wäre Ihnen das so unangenehm?“
„Es wäre ungewohnt“, korrigierte sie ihn. „Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es sich oft nicht lohnt, nach Gemeinsamkeiten zu forschen. Sonst bringt man irgendwann zu viel von sich selbst ein. Das stört das innere Gleichgewicht.“
„Bis vor kurzem habe ich ähnlich gedacht“, gestand Leo mit entwaffnender Offenheit. „In letzter Zeit zweifle ich allerdings manchmal daran.“
Ein wissender Blick streifte Leo.
„Wie schön für Sie“, sagte Antonia und deutete einladend auf einen Stuhl, bevor sie sich setzte. „Sind Sie verliebt?“
„Unsinn!“, wies er diese Annahme von sich. „Über derartige Gefühlsduselei bin ich lange hinweg.“
„Tatsächlich?“, fragte sie und reichte ihm die Spaghettischüssel. „Wie alt sind Sie?“
„Vierundvierzig. – Warum?“
Nachdenklich musterte Antonia ihren Gast. Durch seinen dunkelgrauen Vollbart hätte sie ihn einige Jahre älter geschätzt.
„Wollen Sie mir weismachen, dass Sie Ihre Bedürfnisse mit dem Scheitern Ihrer letzten Beziehung begraben haben?“
„Und Sie?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, während er sich von dem roten Pesto auftat. „Was ist mit Ihren Bedürfnissen? Sie sind doch mit Sicherheit um einiges jünger als ich.“
„Zwei Jahre. Aber auch wenn ich zehn Jahre älter als Sie wäre, würde ich nicht wie eine Nonne leben, nur weil ich nicht aus Ehematerial bin.“
„Unverbindlicher Sex?“, schloss er missbilligend aus ihren Worten. „Was soll das bringen?“
„Es tut einfach gut“, erklärte sie. „Man fühlt sich begehrenswert. Es ist immer wieder neu, aufregend. Und hinterher ist man herrlich entspannt. Das ist weitaus prickelnder als die Routinerammelei in einer langjährigen Beziehung.“
„Offenbar enden bei uns an dieser Stelle die Gemeinsamkeiten. Ich brauche so was jedenfalls nicht.“
„Das reden Sie sich nur ein, Leo.“ Ihr mitfühlender Blick traf ihn. „Ihre letzte Beziehung muss sehr schmerzhaft für Sie geendet haben. Wie schützen Sie sich seitdem vor der Gefahr, sich wieder zu verlieben? Gehen Sie infrage kommenden Damen weiträumig aus dem Weg?“
„Vielleicht räume ich sie aus dem Weg“, erwiderte er herausfordernd. „Wäre das nicht der sicherste Schutz? Eventuell landen sie hinterher sogar bei Ihnen in der Pathologie!?“
„Mit Orchideen geschmückt?“, fügte sie spöttisch hinzu. „Von dieser absurden Theorie konnten mich schon meine Freundinnen nicht überzeugen.“
„Ihre Freundinnen?“, wiederholte er verblüfft. „Sie sprechen mit Ihren Freundinnen über mich?“
„Ich habe vor kurzem meinen hilfsbereiten Nachbarn erwähnt, der wunderschöne Orchideen züchtet. Unter anderem gab das Anlass zu wilden Spekulationen.“
„Die Sie offenbar amüsiert haben“, schloss er aus ihrem Mienenspiel. „Trauen Sie mir etwa keine dunkle Seite zu?“
Читать дальше