„Guten Abend, Mädels“, begrüßte Christel die beiden Fremden.
„Wir dachten schon, ihr kommt nicht mehr.“, gab die Blonde zurück. Sie hatte sich ihre langen Haare zu einem Zopf geflochten und sah in Katharinas Augen eine Spur zu lieblich aus.
„Kathi? Das sind Lisbeth und Ruth. Das ist Kathi.“
Es war das erste Mal, dass Christel sie Kathi nannte. Niemand nannte sie Kathi. Warum auch? Katharina war verwirrt.
Die beiden lächelten Katharina an. Lisbeth, der Blondine, waren aber offenbar andere Dinge sehr viel wichtiger, als Begrüßungsfloskeln und so wechselte sie schnell von höflich-erfreut hin zu tratschend-neugierig. „Habt ihr gesehen? Heute sind sogar einige von der SS da. Von der SS!“, Sie freute sich wie ein Schulmädchen und hüpfte auch etwas, als sie es sagte.
Ruth, rothaarig und etwas untersetzt, schüchtern und unsicher, hatte bisher noch kein Ton gesprochen und wie sich herausstellte, würde sich das so schnell auch nicht ändern. Katharina war also nicht die einzige hier, die ein wenig seltsam war. Doch andererseits: Wer war hier schon normal?
„Darf ich bitten?“, schrie plötzlich ein junger Soldat in die Runde der jungen Frauen und Katharina fasste sich an die Brust.
Wo ist denn der so schnell hergekommen? Und mit wem spricht er?
Viel zu spät erkannte sie, dass er ihr die Hand hinhielt. Sehr zum Missfallen von Lisbeth, die Katharina plötzlich wohl nicht mehr mit Kathi ansprechen wollte. Christel grinste und gab Katharina einen Schubs. „Na los. Geh schon!“, lachte sie. Katharina konnte sich nicht so schnell etwas anderes einfallen lassen und so ging sie mit dem Unbekannten auf die Fläche.
„Ich heiße Peter.“, stellte er sich vor. Er war etwa in ihrem Alter und offenbar schon etwas angetrunken. Er gehörte zu der Sorte Jungs, die von Natur aus selbstbewusst waren, aber mit Alkohol sich noch die Kühnheit dazugesellte.
Sie mochte ihn nicht.
Sie tanzten zwei Lieder lang und er sprach kein Wort mehr. Es war eher, als koste er es aus, dass sie in seinen Armen lag. Er sah immer wieder zu anderen, befreundeten Soldaten und grinste, als habe er den Hauptpreis gewonnen. Katharina wurde es zu bunt. Als das zweite Lied zu Ende war, bedankte sie sich höflich und ging suchend zu ihren Begleiterinnen zurück. Doch Peter war offenbar noch nicht ganz fertig mit ihr und fegte hinter ihr her.
„Entschuldige.“, sprach er sie erneut von hinten an und Katharina drehte sich zu ihm um. Sie war irritiert. War es nicht ein eindeutiges Zeichen, wenn man sich als Frau verabschiedete? Musste sie jetzt wirklich deutlicher werden?
„Hast du Lust auf einen Spaziergang?“, Peter zwinkerte ihr zu. Offenbar hielt er sich für unwiderstehlich.
„Ich suche meine Freundinnen. Vielleicht später, ja?“
„Später kann es zu spät sein.“ Jetzt wurde der Übermut der beste Freund des Alkohols in seinem Blut.
„Ich lass es drauf ankommen.“, nickte Katharina und ließ ihn stehen.
Peter war verdutzt und packte sie abermals am Oberarm.
„Was ist denn noch?“, Katharina reichte es.
Und überhaupt: Wo sind Christel und die zwei anderen Schnepfen hin verschwunden? Es ist doch wirklich zum Mäuse melken.
„Bist du sicher? Wer weiß, vielleicht bin ich schon morgen ganz woanders?“ Mitleid. Noch so ein Saufkumpane. „Du gefällst mir ehrlich.“ Er strich ihr über ihr braunes Haar und sie versuchte zu lächeln.
„Ich muss gehen.“, und Katharina verschwand. So schnell sie konnte. Sie suchte Christel noch eine Weile, doch als sie sie in dem Getümmel nicht fand, beschloss sie zurück nach Hause zu gehen. Sie hatte genug. Es war ohnehin eine Schnapsidee gewesen, überhaupt die Regeln zu brechen. Sie hatte es gewusst, sich aber mal wieder nicht gewehrt. Das musste sich schleunigst ändern. Und dann noch die Sache mit den Männern. Was war so falsch daran, eine alte Jungfer zu sein, die hart arbeiten konnte und sich nicht dem hingab, was sowieso falsch und unecht war?
Ein Ehe. Pff. Wozu denn? Um Kinder in die Welt zu setzen?
Dann doch lieber die Dachkammer, in der sie jetzt lebte. Hier war sie in Sicherheit, denn sie wusste, dass man Männern auf keinen Fall trauen konnte. Die Wächter in ihr standen bereit, das Gefühl zu unterbinden, dass es doch schön wäre, sich zu verlieben. Tief, ganz tief drinnen wurde der Wunsch nach Liebe, ehrlicher Liebe, gerade von einem besonders ambitionierten Wächter in einem Bottich voll dickflüssigem Öl ertränkt und anschließend brutal und kompromisslos in Brand gesetzt.
Unwiederbringlich.
Zumindest vorerst.
An sie kam niemand ran, dafür würden ihre Wächter schon sorgen.
***
Am nächsten Morgen klopfte es leise an der Tür. Katharina steckte sich gerade das Haar hoch und drehte sich überrascht um und sagte leise „Ja?“ Die Tür öffnete sich und Christel steckte den Kopf in die Kammer.
„Guten Morgen.“, sagte sie kleinlaut.
„Morgen.“, gab Katharina zurück und kümmerte sich weiter um ihre Kleidung und ihr Haar.
„Es tut mir leid, Kathi. Wir haben dich überall gesucht, aber nicht gefunden.“
„Ich habe euch auch gesucht und ebenfalls nicht gefunden. Vergessen wirs. Das war das letzte Mal, dass wir uns rausgeschlichen haben. Wenn uns jemand erwischt hätte.“
„Aber uns hat niemand erwischt, Kathi. Und selbst wenn.“
Katharina drehte sich zu Christel um „Ich will die Stellung nicht verlieren. Auf gar keinen Fall.“
Der scharfe Tonfall ihre Kollegin ließ Christel zurückschrecken.
„In Ordnung.“, erwiderte sie zaghaft „Wir tun es nicht wieder. Außer am Wochenende, zum Burkfest. Da gehen wir auf jeden Fall hin.“
Katharina sah sie missbilligend an und sagte nichts darauf. Sie wusste, dass sie die Ausrede, sie dürfe nicht gehen, nicht benutzen konnte. Die Herrschaften waren beide über das Wochenende nicht im Ort, was bedeutete, dass kein Fest, kein Anlass geboten wurde, bei dem Personal gebraucht werden würde. Sie hatten also am Abend frei.
„Mal sehen.“, gab sie kurz angebunden zurück.
In der Küche herrschte hektisches Treiben. Sofort als die Mädchen erschienen, bellte Maria Befehle. „Christel, hilf mir beim Frühstück. Katharina, richte zwei Gästezimmer her. Danach gehst du auf den Markt und besorgst frische Blumen, weiße Rosen wenn möglich. Du kaufst genug, dass sie für beide Zimmer reichen und stellst sie hinein.“
Katharina nickte kurz und verschwand. Sie kümmerte sich um die beiden Zimmer, lüftete die für ihren Geschmack viel zu großen Räume, bezog die Betten frisch und entfernte Staub und Schmutz von den Anrichten. Danach eilte sie zurück in die Küche, besorgte sich Geld für die Blumen und wandte sich zum Gehen. „Ach, besorg mir bitte noch Karotten und zwei Köpfe Blumenkohl. Der Bauer war schon da, aber Christel hat sich wieder so von ihm einwickeln lassen, dass sie das Wichtigste vergessen hat.“ Sie warf einen strengen Blick zu Christel, die sie ignorierte und das Geschirr auf einem Tablett anrichtete. „Vergiss du es nicht auch noch. Es sind wichtige Zutaten und nun geh. Geh, geh, geh.“, scheuchte sie sie zur Tür hinaus.
Katharina lief die wenigen Meter bis zum Markt und hatte es plötzlich nicht mehr so eilig. Die Sonne schien schon hell und ließ die Hoffnung keimen, es könnte ein wundervoller Sommertag werden. Viele waren ebenfalls auf dem Weg zum Markt oder kamen von ihm. Sie unterhielten sich und lachten. Es ging ihnen offenbar wie Katharina. Die Sonne sorgte für eine scheinbar sorgenfreie Unbeschwertheit bei den Menschen. Eine Unbeschwertheit, die sie so vermissten. Der Anblick eines Wehrmachtsfahrzeugs störte da Katharinas Stimmung ein Stück weit. Es fuhr laut und knatternd an ihr vorbei. Die Soldaten darin waren ausgelassen und anscheinend gut gelaunt. Worüber sie sich wohl so freuen?
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