1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 „Na Häftling, schön dich wieder zu Hause zu haben”, begrüßte er Richie und nahm ihn in die Arme. Strobel reichte er zur Begrüßung die Hand.
„Kommt rein, Benno war gestern völlig durch den Wind, da du zu dem Ereignis der Stunde nicht anwesend warst. Und nun kann er es kaum erwarten zu hören, was du zu alldem hier sagst. Kommt, Ihr werdet schon erwartet.” Richie nahm es Benno nicht übel, dass er ihn nicht selbst hier an der Tür empfangen hatte, schließlich saß er im Rollstuhl. Ein Dienstunfall kurz nach der Wende im Jahr 1991, als Benno damals im Rauschgiftdezernat beim Ausheben eines Drogenringes mithalf. Der Anführer wollte sich der Verhaftung entziehen und wurde von Benno verfolgt. Nach einer halsbrecherischen Jagd gelang es ihm, den Albaner zu überholen und blockierte dessen Weiterfahrt. Es kam zu einem schweren Unfall, in dessen Folge der Drogenboss seinen Verletzungen erlag. Benno war derart in seinem Fahrzeug verkeilt, dass die Rettungstrupps mehrere Stunden brauchten um ihn da raus zu schneiden. Trotz bester Behandlung und einer umfangreichen Physiotherapie gelang es den Ärzten nicht, die Bewegungsfähigkeit seiner Beine wieder herzustellen. Richie wusste, dass Benno unter diesen Umständen sehr litt. Schließlich hatte der Unfall im Endeffekt seine Entlassung aus dem Polizeidienst zur Folge. Und Benno war mit Leib und Seele Polizist. Darum übertrug Richie ihm die komplette Planung und Errichtung dieser neuen Zentrale. Ebenso das Aufstellen einer schlagkräftigen Truppe. Und wie erwartet stürzte sich sein Bruder voller Elan auf die neuen Aufgaben. Damit hatte er wenigstens ein umfangreiches Betätigungsfeld und hing keinen trübseligen Gedanken nach.
Sie gingen durch die Tür und betraten einen gewaltig wirkenden Vorsaal. Zwanzig Meter bis zur Wand vor raus, wo eine breite Marmortreppe zweiflügelig, je rechts und links, in den ersten Stock führte. Die Tür front war zehn Meter breit. An der neun Meter hohen Decke hing ein großer Kristalllüster. Eine beeindruckende Kombination aus Glas und Metall, zwei Meter fünfunddreißig hoch und ein Durchmesser von einen Meter sechzig, hing er an einer zwei Meter langen Kette. Bestückt war er mit achtundvierzig Glühlampen in Kerzenform. Sie durchquerten den Saal und gingen die breite Treppe über den rechten Flügel, in den ersten Stock. Die gleißende Helligkeit kam nicht von dem Lüster, sondern der Glaswand, die in rechteckiger Form den kompletten Innenbereich des Gebäudes umfasste und somit auf allen Etagen für natürlich einfallendes Licht sorgte. Richie bezähmte seine Neugier sich diese auserwählte Innenarchitektur näher zu betrachten und folgte Anton. Der ging den breiten Gang noch acht Meter in östlicher Richtung, wo jeweils rechts und links eine Tür in der Wand eingelassen worden war. Sie nahmen die Rechte. Dahinter betraten sie einen einhundert Quadratmeter umfassenden fensterloser Raum. Er war dezent von verborgenen Lampen beleuchtet, was ihm eine warme Atmosphäre verlieh. Die gut temperierte und frische Luft ließ auf eine Klimaanlage schließen, die ebenfalls unsichtbar angebracht war und keinerlei Geräusche verursachte. Hier standen Tische und Stühle, die dreißig Personen Platz booten. Richies Geschwister die sich hier eingefunden hatten, wirkten angesichts der großen Dimensionen etwas verloren. Es sah aus wie ein Familienrat. Cornelia, Richies einzige Schwester, belegte in der Altersreihenfolge der Zenders den dritten Platz. Mit ihren Achtundreißig Jahren hatte sie Anton und Benno den Vortritt gelassen. Es folgten ihr noch Richie und Reinhard. Von Freunden wurden sie auch Zender-Clan genannt. Was nach außen hin wie eine verschworene Gemeinschaft aussah, war in der Tat eine gut florierende Familie. Sie trafen sich nicht nur zu Geburtstagen sondern hatten auch beruflich gute Kontakte, oder ergänzten sich im Alltagsleben. Conni, wie sie von Richie liebevoll genannt wurde, trug eine hellblaue Bluse und schwarze Jeans. Ihre braungefärbten Haare umrahmte im leichten Bogen ihr Gesicht und charmant lächelnd nahm sie Richie in ihre Arme und fragte: „Brauchst Erholung, was? Das habe ich auch schon lange nicht mehr erlebt, Richie im Knast.”
„So was ist Erholung pur“, warf Richie ein. „Kann ich nur empfehlen.“ Und er hatte die Lacher auf seiner Seite. Benno fuhr auf ihn zu und drückte ihm herzlich die Hand.
„Toller Schuppen ist das hier, Benno. Aber eigentlich habe ich ja überhaupt noch nichts gesehen.“
„Nun im Moment läuft ja hier alles nach Protokoll. Da habe ich keine Zeit dich herumzuführen, aber Nachher, wenn du willst.“
„Natürlich will ich, aber bevor hier etwas ab geht hätte ich gern eine Frage von dir beantwortet.“
„Ja wenn es nicht warten kann dann schieß los.“
„Wieso bin ich jetzt hier?“
„Wie meinst du das“
„Man Benno du hattest aber auch schon bessere Tage….“
„…ich glaube wir beide hatten schon bessere Tage, da hast du wohl recht. Du willst wissen woher wir wussten dass du in Dessau eingelocht warst. Ich bitte euch uns fünf Minuten zu geben“, wandte er sich an die Anwesenden, „Ich muss mit Richie dringend etwas besprechen.“ Auf ein Zeichen seines Bruders folgte Richie ihm in die gegenüber liegende Ecke des Raumes, wo Benno leise zu Richie sagte: „Ich war so ziemlich sauer auf dich nach unserem Telefonat am Donnerstag, dass ich eigentlich nicht mehr mit dir sprechen wollte. Doch am Sonnabend habe ich es mir anders überlegt und versucht dich am frühen Abend auf dem Handy zu erreichen. Aber du gingst nicht ran. Blöd war, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte um was es bei dir ging. Doch ich ging davon aus, dass du dir bei Rufus Unterstützung für den Auftrag besorgt hattest. Der bestätigte das und gab mit von Hartig eine Handynummer. Damit erreichte ich diesen aber auch nicht. Später war ich hier eingespannt und hatte das ganze wieder vergessen. Als ich dann heute Morgen 6.00 Uhr aufgestanden bin, sah ich eine SMS auf meinem Handy, ‚Richie in Dessau verhaftet‘. Ich habe umgehend Strobel wecken lassen. Der hat über seine Beziehungen die Ortspräzisierung mit Kochstedt erfahren.“
„Und von wem war die SMS?“
„Das ist ja das Rätselhafte. Ich kannte den Absender nicht. Daraufhin habe ich eine Frage an die Adresse geschickt, was nicht funktionierte. Als ich nun noch versucht habe die Person hinter der Nummer ausfindig zu machen erhielt ich die Antwort, dass diese Nummer gar nicht vergeben ist.“
„Das ist ja ein starkes Stück.“
„Aber egal, jetzt bist du hier und wegen dieses Zwischenspiels lassen wir uns heute den Tag nicht verderben.“ Benno fuhr nun mit seinem Rollstuhl an die Stirnseite der Tafel, wo unter einem drei Mal zwei Meter großem Plasmabildschirm an der Wand, auch zwei Computerarbeitsplätze eingerichtet waren. Das sonst übliche Kabeldurcheinander verschwand vollständig hinter einer Verkleidung und machte einen sehr aufgeräumten Eindruck. Zwei Drucker sowie ein Scanner vervollständigten das Bild und zeigten einen nach aktuellsten, technischen Standard eingerichteten Arbeitsplatz, der zwei Personen ausreichenden Platz bot. Für einen Moment sah es komisch aus, wie Benno zwischen den beiden Computern durch blickte. Auf der linken Tafelseite hatte Anton Platz genommen, der den Spitznahmen Erfinder trug, da er schon alles Mögliche technische Gerät entwickelt hatte. Neben ihm fand Cornelia ihren Platz, die mit ihren zwei Doktortiteln der Familie Zender zur Ehre gereichte. Einen Platz frei lassend setzte sich Doktor Strobel hin. Also die Doktoren unter sich, fand Richie.
„Sieht so aus als läuft hier immer noch eine Party. Oder ist das der Empfang für mich? So viel Ehre habe ich gar nicht verdient.“
„Ich muss dich enttäuschen, Richie, aber dieses Mal bist du wirklich nicht der Grund für unser Zusammentreffen”, sagte Reinhard, der bei der Staatsanwaltschaft in Dresden arbeitete und nun neben Richie auf der rechten Seite, von Benno aus gesehen, einen Stuhl belegte.
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