Mr Morley war beim Frühstück nicht besonders guter Laune. Er mäkelte über den gebratenen Speck, wollte wissen, warum der Kaffee wie flüssiger Schlamm aussehe, und brummte, jede neue Sorte Cornflakes sei noch ungenießbarer als die vorhergehende.
Mr Morley war ein kleiner Mann mit energischem Unterkiefer und streitsüchtigem Kinn. Seine Schwester, die ihm den Haushalt führte, war groß und kräftig und sah aus wie ein Grenadier. Sie betrachtete ihren Bruder nachdenklich und fragte, ob das Badewasser wieder kalt gewesen sei.
Ziemlich widerwillig verneinte Mr Morley. Er warf einen Blick in die Zeitung und knurrte, die Regierung scheine nun von bloßer Unfähigkeit in einen Zustand regelrechten Schwachsinns überzugehen.
Miss Morley bestätigte mit tiefer Bassstimme, es sei einfach schändlich.
Nachdem sich Mr Morley eingehend über den Schwachsinn der Regierung ausgelassen hatte, trank er eine zweite Tasse von dem verachteten Kaffee und entledigte sich der eigentlichen Last, die ihn bedrückte.
«Die Mädchen», sagte er, «sind alle gleich! Wankelmütig, egoistisch – man kann sich in keiner Weise auf sie verlassen.»
«Gladys?», fragte der Grenadier, und Mr Morley knurrte: «Ja! Ihre Tante ist schwer erkrankt, und sie hat zu ihr nach Somerset fahren müssen.»
Miss Morley meinte: «Sehr unangenehm, mein Lieber, aber es ist doch wohl kaum ihre Schuld.»
Mr Morley schüttelte düster den Kopf.
«Woher soll ich wissen, dass die Tante wirklich einen Schlaganfall gehabt hat? Woher soll ich wissen, dass die ganze Sache nicht ein abgekartetes Spiel ist zwischen dem Mädchen und diesem höchst unpassenden jungen Mann, mit dem sie dauernd herumzieht? Der Bursche ist ein Taugenichts, wie er im Buche steht! Wahrscheinlich haben sie für heute einen Ausflug zusammen verabredet!»
«Aber nein, mein Lieber – ich kann mir nicht denken, dass Gladys so etwas tun würde. Du hast sie doch selbst immer sehr gewissenhaft gefunden.»
«Ja, ja – »
«Ein intelligentes Mädchen, tüchtig und fleißig, hast du gesagt.»
«Ja, ja, Georgina – aber das war, ehe dieser unwillkommene junge Mann aufgetaucht ist. In der letzten Zeit ist sie anders geworden – ganz anders: geistesabwesend, zerstreut, nervös.» Der Grenadier tat einen tiefen Seufzer.
«Es ist nun einmal so, Henry, dass Mädchen sich verlieben. Dagegen lässt sich nichts machen.»
«Das sollte aber ihre Arbeit als meine Sekretärin nicht beeinträchtigen!», schnauzte Morley. «Und gerade heute, da ich besonders viel zu tun habe! Verschiedene sehr wichtige Patienten. Höchst unangenehm!»
«Ich bin überzeugt, dass es für dich äußerst lästig sein muss, Henry. Wie macht sich übrigens der neue Boy?»
Mr Morley sagte düster: «Es ist der ärgste, den ich jemals gehabt habe. Kann keinen einzigen Namen richtig verstehen und hat die gröbsten Manieren. Wenn er sich nicht bessert, werfe ich ihn raus und versuche es mit einem anderen. Ich weiß nicht, was heutzutage in unseren Schulen los ist. Produzieren lauter Schwachköpfe, die nichts von dem verstehen, was man ihnen sagt, geschweige denn, dass sie es behalten.»
Er sah auf die Uhr.
«Ich muss runtergehen. Ein vollbesetzter Vormittag, und außerdem muss ich noch diese Sainsbury Seale zwischendurch drannehmen, weil sie Schmerzen hat. Ich hab ihr vorgeschlagen, sich von Reilly behandeln zu lassen, aber sie hat nichts davon wissen wollen.»
«Natürlich nicht», sagte Georgina.
«Reilly ist sehr tüchtig – wirklich sehr tüchtig. Erstklassige Diplome. Ganz modern in seiner Arbeit.»
«Er hat keine ruhige Hand», murrte Miss Morley. «Meiner Meinung nach trinkt er.»
Ihr Bruder lachte – seine gute Laune war wiederhergestellt. «Ich komme, wie gewöhnlich, um halb zwei zu einem Sandwich rauf!», sagte er.
Im Savoy stocherte Mr Amberiotis in den Zähnen und lachte vor sich hin. Alles lief nach Wunsch.
Er hatte Glück gehabt, wie gewöhnlich. Kaum zu glauben, dass die paar freundlichen Worte, die er mit diesem törichten Frauenzimmer gesprochen hatte, sich derart bezahlt machten! Ja – man musste eben ein gütiger, freundlicher Mensch sein. Und großzügig! Künftig würde er sogar noch großzügiger sein können. Der kleine Dimitri… Und der gute Konstantopopolous, der sich mit seinem kleinen Restaurant so plagen musste. Was für angenehme Überraschungen standen ihnen bevor… Der Zahnstocher rutschte aus, und Mr Amberiotis zuckte zusammen. Die rosigen Zukunftsvisionen verblassten und machten den Sorgen der unmittelbaren Gegenwart Platz. Er fühlte vorsichtig mit der Zunge und nahm sein kleines Notizbuch aus der Tasche.
«Zwölf Uhr, Queen Charlotte Street 58.»
Er versuchte, sich wieder in die frühere triumphierende Stimmung zu versetzen, aber vergeblich. Die Welt war zu sechs dürftigen Worten zusammengeschrumpft: Zwölf Uhr, Queen Charlotte Street 58.
Im Glengowrie Court Hotel in South Kensington war das Frühstück vorbei. Miss Sainsbury Seale saß in der Halle und unterhielt sich mit Mrs Bolitho. Ihre Tische im Speisesaal standen nebeneinander, und sie hatten sich am Tage nach Miss Seales Ankunft vor einer Woche kennen gelernt.
Miss Sainsbury Seale sagte: «Wissen Sie, meine Liebe, der Schmerz hat wirklich aufgehört! Nicht mehr der kleinste Stich! Ich möchte eigentlich fast anrufen und…»
Mrs Bolitho unterbrach sie: «Also, jetzt seien Sie nicht töricht, meine Liebe. Sie gehen zum Zahnarzt, und dann haben Sie es hinter sich.»
Mrs Bolitho war eine große, imponierende Person mit einer tiefen Stimme. Miss Sainsbury Seale war ein Wesen um die Vierzig mit gebleichtem Haar, das ihr in unordentlichen Locken um den Kopf hing. Ihre Kleider hatten keine rechte Form und sahen irgendwie künstlerisch aus; sie trug einen Zwicker, der dauernd herunterfiel, und redete viel.
Jetzt sagte sie schüchtern: «Aber ich habe wirklich überhaupt keine Schmerzen mehr.»
«Unsinn. Sie haben mir doch erzählt, dass Sie in der Nacht kein Auge schließen konnten.»
«Ja, das stimmt – das stimmt wirklich – aber vielleicht ist der Nerv jetzt tatsächlich tot.»
«Ein Grund mehr, um zum Zahnarzt zu gehen», erklärte Mrs Bolitho energisch. «Wir schieben es alle gern hinaus, aber das ist bloß Feigheit. Besser, man gibt sich einen Ruck und hat es dann hinter sich.»
Miss Sainsbury Seale setzte zu einer Antwort an. Vielleicht wollte sie rebellisch murmeln: «Ja, aber es ist schließlich nicht Ihr Zahn!» Sie sagte jedoch nur: «Wahrscheinlich haben Sie Recht. Und Mr Morley ist ja auch so vorsichtig und tut einem überhaupt nicht weh.»
Die Sitzung des Verwaltungsrats war vorüber. Alles war glatt gelaufen. Der Geschäftsbericht war glänzend. Kein Misston wäre am Platz gewesen. Und doch hatte Samuel Rotherstein, der eine Art sechsten Sinn für so etwas besaß, Derartiges empfunden: eine winzige Nuance im Auftreten des Präsidenten.
Einige Male hatte seine Stimme eine Schärfe angenommen, die durch den Verlauf der Sitzung keineswegs gerechtfertigt war.
Vielleicht irgendein geheimer Kummer? Allerdings war Rotherstein nicht imstande, die Vorstellung eines geheimen Kummers mit Alistair Blunt in Verbindung zu bringen. Dazu war der Mann zu leidenschaftslos. Er war so normal – so vollkommen britisch.
Natürlich konnte es die Leber sein. Auch Mr Rotherstein hatte von Zeit zu Zeit Leberbeschwerden. Aber Alistair hatte noch niemals über seine Leber geklagt. Seine Gesundheit war ebenso unerschütterlich wie seine Nerven und sein finanzielles Geschick. Und doch – irgendetwas war da: Ein- oder zweimal hatte sich der Präsident mit der Hand ans Gesicht gegriffen. Er hatte im Sitzen das Kinn aufgestützt, eine für ihn ungewöhnliche Haltung. Und ein paarmal hatte er – ja, man musste schon sagen – zerstreut ausgesehen.
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