Ich sah das Wabern der Magie, die Spline wie eine Glocke einhüllte, schon mehrere hundert Meter entfernt und geriet leicht ins Schwitzen. Nicht wegen der Temperaturen, die uns erwarteten. Sondern wegen dem, was passieren würde, sobald wir Spline wieder verließen. Hätte ich mich soweit im Griff, dass ich nicht sämtliche Energie der Stadt abzog, um meine Energiereserven bis an die Schmerzgrenze zu sättigen?
Nicht das erste Mal fragte ich mich, warum mich dieser Drang nur nach meinem Aufenthalt in Spline überkommen hatte und nicht nach einem Gewitter. Wenigstens wusste ich, dass ich der Übelkeit nach einem dieser Wetterereignisse entgehen konnte, indem ich während eines Gewitters jemanden in meiner Nähe hatte. Zumindest nahm ich es an. Humphrey war sich dessen nicht ganz sicher gewesen. Wir hatten keine Zeit gehabt es auszuprobieren.
Humphrey, oh Gott.
Das erste Mal nach dem Kampf mit der Ker-Lon und Roman ergaben seine Worte einen Sinn.
Sowohl die an mich, als auch die an Alan. Wenigstens hatte ich mich von ihm verabschiedet, auch wenn ich der Meinung gewesen, selbst zu sterben.
Ob er wohl beerdigt worden war?
Hatte Alan dafür gesorgt?
Oder regelten Ker-Lon das anders?
Ich konnte mich nicht an Vieles erinnern. Außer an die Macht, die mich durchflutet hatte. An Humphreys Essenz in mir, die tröstlich und gleichzeitig berauschend gewesen war.
Was um mich herum passiert oder wie ich auf Alans Anwesen gekommen war, war hingegen wie ausradiert. Als wäre ich nicht bei Bewusstsein gewesen. Was, wenn ich es recht bedachte, die einzige Erklärung darstellte.
„Wir warten im Auto, bis alle da sind.“
Alans Stimme rief mich aus meinen Erinnerungen zurück in die Gegenwart. Während wir warteten, gab Alan letzte Anweisungen. „Miguel, ich verlasse mich auf dich. Du musst notfalls schlichten.“ Der große Mann, der mich an einen Surfer erinnerte, nickte. Sein Haar war mehr weiß als blond, kurz geschnitten wie eine Bürste und setzte sich kontrastreich von seiner sonnengebräunten Haut ab. Den anderen Männern warf Alan einen eindringlichen Blick zu. Vermutlich sollte der heißen, dass sie Miguel unterstützen sollten. „Sam, willst du noch was erklären?“ Ich räusperte mich, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass er mich zu Wort kommen ließ.
Er war nämlich vollkommen im Alphamodus.
„Haltet euch von den Gebäuden fern. Die verleiben sich alles ein, was in ihre Nähe kommt. Geht also nicht allein durch Spline. Wenn es unbedingt sein muss, schnappt euch einen von Fiats Leuten. Die wissen, was zu tun ist.“ Garry, ein sehr hellhäutiger Wer, der jedoch auffallend schwarzes Haar und schwarze Augen hatte, knurrte missmutig. „Haltet euch daran!“, befahl Alan, „Euer Leben hängt davon ab. Gegen die Magie in Spline kommt ihr nicht an.“ Abermals knurrte Garry. Es wunderte mich, dass er mir nicht vor die Füße spuckte. „Sie ist auch allein dort gewesen. Oder liege ich falsch, Boss?“ Alan schnaufte. „ Sie ist eine Saphi. Außerdem deine Alpha. Wären wir nicht in einer solch kritischen Lage, in der ich auf euch alle angewiesen bin, würde ich dir eine Lektion erteilen.“ Alans Stimme klang derart hart, dass ich beinah die Zähne spürte, die sich in die Haut von Garry gruben. Prompt zuckte dieser zusammen und sah schuldbewusst auf seine Füße. „Mögen unsere Götter uns vergeben, dass wir vor Fiats Füßen im Staub kriechen, weil wir mit einem Vampir überfordert sind.“, setzte Alan hinterher, um die Stimmung ein wenig aufzulockern.
Das komische Lachen, was Garry von sich gab, ließ mich vermuten, dass er in seiner Tierform eine Hyäne sein musste. Natürlich konnte ich auch vollkommen falsch liegen und er wäre ein… Karnickel. Was wusste ich schon?
In der Zeit, die wir warteten, quetsche Surferboy mich über Einzelheiten aus, was in Spline noch zu erwarten war. Ich sah ihm an, dass er sich weder die Hitze, noch die flirrende Magie, noch die lebenden Gebäude vorstellen konnte.
Als endlich alle Gestaltwandler versammelt waren, die Autos abgeschlossen, wir langsam nass wurden vom Regen, während Alan auch den anderen lebenswichtige Tipps erteilte und wir schließlich die Grenze zu Spline überquerten, wurde Surferboy eines Besseren belehrt.
Es dauerte nicht lange, bis sämtliche Gestaltwandler stöhnten und ihre Jacken auszogen.
Manche sogar ihre Shirts.
„Bleibt dicht beieinander und vor allem hinter Sam!“, brüllte Alan, der den Schluss des Rudels bildete. Ich hingegen hatte gehörig damit zu tun, die Gebäude von einer Fressorgie fernzuhalten.
Sie kamen von überall.
Sogar von unten.
Meine Kräfte nutzend und gleichzeitig die Energie in mich aufsaugend, blockierte ich alles, was sich mir – uns – in den Weg stellte.
Ohne dass die Were etwas davon mitbekamen.
Bis einige der Gestaltwandler murrten.
Ihrer Meinung nach kämen sie schneller in dieser Hitze voran, wenn sie selbst vorausgehen würden. Lächelnd verschränkte ich die Arme und drehte mich um, so dass sie abrupt stehen blieben. „Ihr denkt, ihr schafft es allein? Nun, dann sollte ich wohl einfach nichts mehr tun. Ihr wisst es schließlich besser, hm?“ Ein ziemlich mutiger Wer gab mir die Antwort, die ich bereits vermutete. „Du tust doch nichts, außer dass du vornweg läufst.“ Alans Knurren ignorierte ich und gönnte ihm einen scharfen Blick, der ihm sagte, dass er sich nicht einmischen sollte. „Oh? Weil ich nicht brülle, schreie und mir Fell und Klauen wachsen? Ihr müsst noch einiges lernen.“ Dabei sah ich Alan an, dessen Augen vor Wut dunkel glitzerten.
Diese Schlacht musste ich allein schlagen. Selbst wenn ich offiziell ihre Alpha war, erkannten sie mich nicht an. Das würde sich dadurch hoffentlich ändern.
„Als Mensch kann ich eurer Meinung nach nichts für euch tun, richtig? Dann seht zu, wie weit ihr allein kommt.“ Das zustimmende Murmeln wurde lauter. Alan hingegen kochte vor Zorn. Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln hielt ich ihn davon ab, Zwang zu benutzen. Die Were mussten erkennen, dass ich weit hilfreicher war, als sie glaubten.
Ohne eine sichtbar wahrnehmbare Bewegung ließ ich sämtliche Energien, die die Gebäude in Schach hielten, fallen.
Es kostete mich weit mehr Anstrengung, das zu tun, als die meisten glauben mochten. Trotzdem schaffte ich es, indem ich mich auf die unmittelbare Energie von Spline konzentrierte und stattdessen diese in mich aufsaugte wie einen Schwamm. Oh ja, das war es . Ich fühlte, wie ich trunken wurde von der Macht, die mich wie kühles Wasser durchflutete.
Gleichzeitig begannen die Gebäude, sich zielstrebig auf die sofort in Alarmbereitschaft gesetzten Were zu zubewegen.
Und das nicht unbedingt langsam.
Meine Energien zogen sie ebenso an wie das lebendige Pulsieren in den Adern der Were. Von mir hielt ich sie auf Distanz, was auf den Rest des Rudels, abgesehen von Alan und ein paar weniger aufmüpfigen Gestaltwandlern, nicht zutraf.
Ein Großteil der anderen wandelte sich in ihre Kampfgestalt, während der Rest versuchte, den Wänden und Stahlträgern durch Schnelligkeit zu entkommen. „Sam!“, fauchte Alan, der wohl der Meinung war, sie hätten ihre Lektion bereits gelernt. „Was? Sie schaffen es doch ganz allein.“
Taten sie nicht.
Aber das wollte ich aus ihren Mündern hören.
Nicht aus Alans.
Mir war bewusst, dass Fiat dieses lustige Treiben von irgendwo aus beobachtete. Wenn nicht sie selbst, dann einer ihrer Leute. Und es war mir ein Vergnügen, die dickköpfigen, arroganten Were von Alans Rudel wie die verängstigten Häschen umher flitzen zu sehen. Dass dies aussichtslos war, erkannten die ersten ziemlich schnell.
„Bitte!“, keuchte der, der vorhin seinen Mund am weitesten aufgerissen hatte. „Ich habe mich geirrt. Wir haben uns geirrt!“ Meine Arme immer noch verschränkt, zog ich eine Augenbraue in die Höhe. Ich hätte ihn gern in seiner Ehre gekitzelt. Er und auch die anderen sollten sich ganz, ganz, ganz sicher sein, dass ich zu mehr fähig war, als sie sahen.
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