»Schön eingefädelt, dass muss man dir lassen«, lobte der zweite Deutsche.
»Das Lob gehört Reitzel.«
»Und wer bringt die Kuriersäcke über die Grenze?«
»Eine kleine Speditionsfirma aus Basel«, erklärte dieser Abwehrsonderführer.
»Du hast doch nicht etwa vor, eine Speditionsfirma in die Sache einzuweihen?«
»Nun hör mal, wofür hältst du mich! Das geschieht natürlich ohne das Wissen dieser Speditionsfirma. Ich habe alles bestens arrangiert. Der Fahrer hat keine Ahnung, dass er zusätzlich drei Kuriersäcke mit über einer halben Million Dollar mitführt.«
»Und das Risiko?«
»Ohne Risiko geht in diesen Zeiten nichts«, meinte der Abwehrsonderführer. »Aber ich halte es möglichst gering.«
Mehr als eine halbe Million Dollars sollte am nächsten Dienstag illegal über die Grenze geschafft werden! Golaz lehnte staunend an der Wand und konnte kaum glauben, was er hörte.
»Und die Einzelheiten?«, fragte der zweite Deutsche.
»Bosse bringt das Geld persönlich von Berlin nach Lörrach«, wurde ihm erklärt. »Wir verfügen über genaue Informationen, wann und wo der Fahrer der erwähnten Speditionsfirma seine übliche Fracht in Deutschland abholt. Bosse wird die Kuriersäcke in einem Hohlraum unter der Ladebrücke verstecken. Die Gewohnheiten des Fahrers helfen uns dabei, denn er besucht in Lörrach am Dienstagnachmittag immer eine Prostituierte. In dieser Zeit versteckt Bosse die Säcke. Gegen Abend, etwa um sieben Uhr, erreicht der Laster die Schweiz, genauer gesagt, er steht dann vor der öffentlichen Badeanstalt im St. Johanns Quartier, einem Stadtteil von Basel in der Nähe der französischen Grenze. Dort erfrischt sich der Fahrer jeweils eine gute Stunde im Bad und wäscht sich vermutlich die Sünden des Nachmittags vom Leib. Das gibt unserem Kurier hier in der Schweiz die Möglichkeit, die Säcke unbemerkt unter der Ladebrücke hervorzuholen. Er wird das Geld anschließend gleich nach Zürich zu von Aesch bringen.«
»Diese Fahrt übernimmt wohl Stämpfli?«
»Ja, Stämpfli macht den Kurier nach Zürich. Auf ihn ist Verlass.«
«Und woher hast du die Informationen über den Fahrer der Speditionsfirma?«, wollte der zweite Deutsche wissen.
«Eine Büroangestellte gab den Tipp, was aber völlig risikolos ist, da sie absolut nichts über unser weiß. Sie glaubt, es handle sich um eine private Angelegenheit des Fahrers, wegen der Gewohnheit, die Prostituierte zu besuchen – na ja, du kannst dir ja vorstellen, was ich meine.«
Kurzes Schweigen.
»Wir werden den Putschfond zusammenbekommen», sprach dieser Abwehrführer weiter. »Wie ich die Situation abschätze, lässt sich über von Aesch ein gewisser Spielraum schaffen. Das Gold muss in Zürich deponiert bleiben, damit es uns im entscheidenden Moment, nach Hitlers Sturz, zur Verfügung steht. Die neue Regierung wird Geld brauchen. Aber auch in der Vorbereitungsphase sind wir auf Finanzmittel angewiesen.«
Golaz, der die ganze Zeit mit starrem Blick und zielgerichteter Pistole dagestanden hatte, entdeckte plötzlich die Wasserlache, die sich um seine Füße gebildet hatte. Seitlich des Flurbodens gab es nämlich keinen Teppich, und das versiegelte Parkett saugte das Wasser nicht auf. Er versuchte, seine klobigen Schuhe, einer nach dem anderen, hochzunehmen, als würde sich dadurch die Lache auflösen. Doch weiteres Wasser tropfte vom Ledermantel herunter. Mit einer schnellen Bewegung holte sich Golaz die klatschnasse Mütze vom Kopf und steckte sie in die Manteltasche. Dabei knarrte der Boden leicht.
»Was war das?«, hörte Golaz einen der Deutschen fragen. Sein Herz pochte heftiger. Die Hand mit der Pistole zitterte nicht mehr. Er war bereit, und er würde abdrücken!
Das Geld! Mehr als eine halbe Million US-Dollars! Sollte sich Golaz ein solches Geschäft entgegen lassen! Er wusste doch längst, was er zu tun hatte. Wenn er nun also die beiden Deutschen umlegte, dann fand der illegale Geldtransport wohl nicht mehr statt.
»Mach dich nicht verrückt!«, sagte der Abwehrführer. »Da kommt niemand rein. Das Haus ist ringsum dicht.«
Und doch, Golaz vernahm nun Schritte.
Merde! Weg von hier! Wohin? Und die Wasserlache! Golaz handelte blitzschnell und verschwand in der anderen, halb offen stehenden Tür. Einige Sekunden lang war er überzeugt, dass man ihn nun gehört haben musste. Abwartend stand er in einem dunklen Zimmer, den hellen Türspalt vor sich.
»Mach dich nicht verrückt!«, wiederholte der Abwehrführer.
Golaz hielt es nicht mehr aus und neigte sich zum Türspalt vor. Er sah, dass die beiden Männer nun im Flur standen. Der eine hatte die Hand am Kinn und wirkte nachdenklich. Er hatte dunkles, dichtes Haar mit einigen grauen Strähnen und trug einen schmalen, gepflegten Oberlippenbart. Der andere Mann war schmächtiger, mit blondem, sehr kurzem Haar, dessen Ansatz in der Stirn zu weit hinten lag. Beide Männer waren etwa um die vierzig. Sie stiegen die Treppe nach unten und fingen wieder miteinander zu sprechen an, wobei Golaz sie nicht mehr sehen konnte.
Ohne richtig hinzuhören, zog er die Tür weiter auf und blickte prüfend in den Flur. Die Deutschen befanden sich inzwischen im Parterre. Ihre Stimmen drangen nur noch schwach zu Golaz hinauf, der seine Mütze aus der Tasche holte und sie über dem Topf eines Gummibaumes ausrang. Dabei achtete er darauf, kein Wasser zu verspritzen. Dann bückte er sich über die Lache und wischte sie mit der Mütze auf, rang sie nochmals aus und steckte sie in die Manteltasche zurück. Ganz trocken bekam er den Boden allerdings nicht. Doch das Licht im Flur war nicht so hell, dass dies sofort bemerkt werden würde.
Er trat an den Treppenanfang. Unten wurde die Haustür geöffnet. Golaz konnte wieder verstehen, was die Deutschen sprachen.
»Ich komme noch bis zur Garage mit«, sagte der eine.
»Der Regen hat aufgehört«, stellte der andere fest.
Die Stimmen wurden schwächer, die Männer entfernten sich. Die Haustür schnappte ins Schloss und schnitt den letzten Laut ab.
Golaz stieg die Treppe hinunter, erreichte den unteren Flur und bog zur Kellertür ab. Dort blieb er stehen. Sollte er warten, bis der eine Mann zurückkam? Wozu? Weg von hier, ungesehen, das war für ihn wichtig. Und er durfte keinerlei Spuren hinterlassen, die verraten könnten, dass jemand ins Haus eingestiegen war. Sonst könnten die Männer die Sache mit dem illegalen Geldtransport abblasen. Schon stand Golaz bei der Haustür. Wenn er sie öffnete, drang Licht in die Nacht hinaus. Was war zu tun! Nein, durchs Kellerfenster wollte er nicht aussteigen, oder doch? Merde! Es blieb ihm nichts anderes übrig. Aber von außen würde er es nicht verschließen können.
Draußen summte ein Automotor. Golaz schaute hastig auf seine Uhr: zehn Minuten vor Mitternacht. Er musste von der Tür weg. Hinunter in den Keller. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, das Fenster von außen zu verschließen. Und wenn nicht, so konnte er dort unten abwarten, bis der Bewohner des Hauses sich schlafen gelegt hatte.
Das Fenster ließ sich von außen nicht verriegeln, das sah Golaz sofort. Als Fahrradmechaniker war er in solchen Dingen nicht unbegabt. Er blies das Streichholz aus und horchte in die Dunkelheit. Das Auto draußen war längst weggefahren. Golaz verriegelte das Fenster von ihnen, wozu er kein Licht brauchte. Dann zündete er nochmals ein Streichholz an und schlich nach oben. Im Flur brannte kein Licht mehr. Stille im ganzen Haus. Golaz erreichte die Haustür. Der Schlüssel steckte. Golaz drehte ihn langsam um, wobei sich ein schnappendes Geräusch nicht vermeiden ließ. Er zog die Tür gegen sich auf. Kühlfeuchte Nachtluft schlug ihm ins Gesicht. Er trat hinaus, brachte die Tür hinter sich leise ins Schloss. Abzuschließen war sie von außen nicht mehr.
Je weiter sich Golaz vom Haus entfernte, umso schneller wurden seine Schritte. Schnell atmend kam er bei seinem Fahrrad an, holte es hinter der Mauer hervor, stieg auf den Sattel und fuhr los. Über dem freien Feld rissen die Wolken auf. Mondlicht schwebte dazwischen, das eine helle Insel mit ausgeprägten Konturen in den Nachthimmel formte. Golaz stürmte mit dem Rad voran und schaffte den Rückweg in einer Zeit, die ihn selber erstaunte.
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