Karan Drun versuchte seine Mutter zu stützen, doch Fiona zog ihn weg.
»Nicht, mein Lord. Wartet! Wir können jetzt nichts tun. Das muss sie selbst schaffen«, versuchte sie ihn zu beruhigen.
Lady Drun setzte sich abrupt auf. Ein Schwall Blut schoss ihr aus dem Mund und ergoss sich über die Bettdecke. Das hatte ich nicht gewollt. Sie würgte und hustete sich die Seele aus dem Leib. Es sah aus wie bei einer Katze, die ihr Gewölle hervor würgen wollte, es aber nicht fertigbrachte.
»Wird sie es ausspucken können?«, fragte ich Fiona bestürzt.
»Wir wissen nicht, was sie verzaubert hat. Ich kann es nicht sagen«, antwortete mir die Frau beunruhigt.
»Ich glaube ich weiß, was es ist. Es muss getrocknete Einhornhaut sein. Ich habe das schon einmal gesehen«, sagte ich nachdenklich. »Vielleicht hat es nicht gereicht«, überlegte ich grübelnd.
»Wenn du das noch einmal machst, dann kannst du sterben. Grünkraut ist eine sehr starke Droge. Du darfst nicht zu viel davon essen. Dein Körper wird dir das übelnehmen«, warnte mich Fiona und hielt mich davon ab, Lady Drun die Hand wieder auf die Stirn zu legen.
Die Frau hustete und würgte, es kam aber nichts. Karan Drun sah mich immer noch entsetzt an. Wenn ich nichts tat, dann war alles umsonst gewesen.
»Vielleicht reicht ein kurzer Schub«, warf ich ein. »Können Sie mich trennen?«, fragte ich Fiona.
Sie nickte zwar, war aber nicht einverstanden. »Du bist zu wichtig, Gezeichnete. Ich darf das nicht zulassen. Du könntest sterben.«
»Das werde ich nicht«, sagte ich zuversichtlich. Keine Ahnung, woher ich das wusste. »Nicht, wenn Sie mir helfen.« Ich hatte eine Idee. Zumindest war das in den Fantasyromanen immer so gewesen. Zauberinnen konnten sich doch verbinden, oder etwa nicht? Vielleicht konnte ich ein wenig von Fionas Energie haben. Sie strahlte sie ja förmlich aus, so stark, dass meine Haut sogar ein wenig kribbelte.
Fiona verstand mich sofort, aber ihr Gesicht hatte einen zweifelnden Ausdruck. Es war offenbar möglich, aber schwierig. Trotzdem streckte sie mir ihre Hand entgegen. Ich berührte sie mit meinem Zeichen. Es war fast so gut wie das Grünkraut. Mein Körper leuchtete hellweiß auf. Rasch zog ich die Hand weg. Fiona war ganz weiß im Gesicht geworden und musste sich setzen.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte ich bestürzt. Jetzt war ich der Vampir, jedenfalls kam ich mir wie einer vor.
Sie nickte schwach. »Ja, das wird wieder. Du bist sehr stark. Ich hätte nicht gedacht, dass du dazu in der Lage bist.«
»Entschuldigen Sie bitte. Ich habe das noch nie gemacht«, sagte ich verlegen und kam mir wie ein Dieb von Lebensenergie vor. Aber immerhin wollten sie ja, dass ich Lady Drun half.
»Sie hätten mich töten können.« Es war kein Vorwurf, nur eine Feststellung.
»Ja, ich weiß.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging ich wieder zum Bett und legte Lady Drun die Hand auf. Dieses Mal war es nicht ganz so schlimm, trotzdem fand ich mich auf dem Boden sitzend wieder. Ich war wohl kurz ohnmächtig geworden. Fiona reichte mir einen Teller mit Kuchen. Ich schlang ein Stück hinunter.
»Hat es geholfen?«, fragte ich kauend und schämte mich nicht einmal wegen meiner schlechten Manieren, sondern nahm noch ein Kuchenstück.
»Wir werden sehen.« Sie half mir hoch und zusammen wankten wir zum Bett hinüber. Das hatte uns ganz schön mitgenommen. Wenn das hier vorbei war, dann würde ich drei Tage schlafen, nahm ich mir vor.
Lady Elyn Drun saß jetzt mit weit aufgerissenen Augen im Bett, den Mund geöffnet wie zu einem lautlosen Schrei. Es war ein grauenvoller Anblick. Karan Drun kniete daneben und beobachtete angespannt vor Sorge seine Mutter. Dann ging alles sehr schnell. Die Elbenfürstin würgte. Ein erneuter Blutschwall schoss heraus, gefolgt von drei großen grauen Lappen. Ich wich entsetzt zurück. Das war Einhornhaut und so viel.
Fiona blickte ebenfalls bestürzt auf die Hautlappen. »Das ist nicht möglich. Wie hat das passieren können?«, stammelte sie verdattert.
Lady Drun würgte noch ein paarmal, doch es kam nichts mehr. Ihr Kopf fiel ihr auf die Brust herab. Ihr Sohn fing sie auf und half ihr sich zurückzulehnen.
»Das Zeug verwenden die Hexen in Mhenegart um Leute zu verzaubern«, sagte ich angewidert.
»Unsere Lady ist eine mächtige Elbenfürstin und Windmagierin. Sie würde so etwas niemals freiwillig zu sich nehmen und wer sollte sie zwingen?« Fiona starrte panisch auf die Hautstücke.
»Tja, offenbar ist es jemandem gelungen. Wir müssen das Zeug verbrennen. Wrehs hat es jedenfalls getan«, sagte ich nachdenklich. Es gab offenbar Leute, die über mehr Magie verfügten, als die Elbenfürstin. Ich konnte nicht einschätzen, was das bedeutete.
»Wrehs Zer an Dagda?«, Karan Drun hob den Kopf und sah mich verwirrt an.
»Eine lange Geschichte. Ich fürchte dafür haben wir jetzt nicht die Zeit«, antwortete ich seufzend.
Lady Drun hatte die Augen aufgeschlagen und betrachtete mich. Ihre Augen waren grasgrün und leuchteten jetzt aus ihrem blassen Gesicht heraus wie zwei Peridotedelsteine. Ein Lächeln huschte über ihren eingefallenen Mund, über dessen Lippen die Zahnreihen durch die Haut zu erkennen waren. »Hast du mich befreit?«, hauchte sie.
»Mutter! Mutter!«, Tränen liefen erneut über Karans Gesicht. Er nahm ihre Hand. »Du bist wach!«
Lady Drun streichelte seine Wange. »Mein Sohn! Mein treuer Sohn!« Sie wandte sich zu mir um und betrachtete mich. «Sie sieht ihm so ähnlich.« Lady Druns Blick hing sehnsüchtig an mir.
Ich sah sie nur verwirrt an. Was meinte sie denn damit?
Karan Drun sagte, weil er meine Verwirrung bemerkte, »du siehst meinem älteren Bruder sehr ähnlich, als er noch jünger war. Natürlich nicht männlich, sondern weiblich.«
»Ich fürchte wir haben jetzt keine Zeit mehr Blutsverwandtschaften zu erörtern«, Fiona war aufgestanden und zur Tür hinübergegangen. »Lord Conen ist zurückgekommen.«
Sie ging zum Bett und zog die blutige Bettwäsche ab und warf sie auf den Fußboden. Dann griff sie zu einem glühenden Holzscheit und zündete sie an. Das Bettzeug, die Einhornhaut und der Teppich darunter gingen in Flammen auf. Ich wollte zur Karaffe Wasser greifen, um den Brand zu löschen, aber Fiona machte nur eine sachte Handbewegung und zurück blieben etwas Rauch, der Geruch nach Weihrauch und verbrannte Asche. Ich stellte die Karaffe zurück. Fiona hingegen ging zum Kamin und nahm eine Urne herunter.
»Was hast du vor?«, fragte Karan Drun scharf.
»Ich streue die Asche und die Knochen deines Vaters darüber.«
»Das kannst du nicht tun«, sagte Karan Drun aufgebracht.
»In ein paar Minuten wird er hier sein. Sarah muss gehen. Sofort! Wir werden sagen, wir haben die Hexe verbrannt, weil sie deine Mutter töten wollte. Holt bitte Bettzeug aus dem Schrank, mein Lord. Lady Drun! Bitte legt euch hin und tut so, als wärt ihr apathisch.«
Karan Drun sah die Seherin entgeistert an. »Aber wie soll das gehen? Wo soll Sarah denn hin? Wir können sie nicht wegschicken.«
Fiona griff nach einem dicken Mantel und nach einer Stofftasche, in die sie rasch Essen von einem Tablett, das auf einem kleinen Tisch stand, und noch ein paar andere Dinge hineinpackte. »Hier ist Proviant für mehrere Tage und Verbandszeug. Geh zum Baum. Es ist deine einzige Chance. Lord Conen wird dich sofort töten, wenn er dich sieht und nicht auf die schnelle Art.«
Entsetzt griff ich nach dem Mantel und dem Proviantsack. Mir blieben die Worte im Hals stecken, aber ich wusste, dass sie recht hatte. Lady Drun war noch zu schwach sich gegen ihren Bruder zur Wehr zu setzten. Und irgendjemand musste sie schließlich mit der Einhornhaut gefüttert haben. Mein Hauptverdächtiger war ihr Bruder.
»Das kann sie nicht schaffen, Seherin. Nach Dagda sind es über dreitausend Kilometer unwegsames Land voller gefährlicher Kreaturen. Du schickst sie in den sicheren Tod«, Karan Drun war aufgesprungen um mich zurückzuhalten, doch draußen wurde es lauter. Schwere Schritte näherten sich unaufhaltsam.
Читать дальше