Elizabeth Haydon - Tochter der Sonne

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An einem eisigen Wintermorgen gleitet ein Boot über das Meer, an Bord ein Wesen aus den Anfängen der Zeit. Seine tödlichen Waffen trägt es bei sich und die Namen seiner Feinde haucht es in den Meereswind. Ysk ist einer von ihnen, was in der neuen Sprache Achmed heißt. Achmed, König der Bolg … Zur selben Zeit treffen sich die Führer des cymrischen Bündnisses in Haguefort. Kaum von der schweren Geburt genesen, webt Rhapsody einen undurchdringlichen Schleier über die Versammlung, um sie geheim zu halten. Und Geheimhaltung ist unabdingbar: Zu mächtig ist der Feind, zu zahlreich die Verschwörer. Da erscheint der Patriarch von Sepulvarta mit einer schrecklichen Nachricht. Wie ihm zugetragen wurde, macht sich Sorbold bereit für den Sturm auf die heilige Stadt. Und sein Ziel heißt, das Kind der Zeit zu finden – und zu töten. Bestürzt vernimmt Rhapsody die Nachricht. Monate zuvor hat der Meeres-Magier ihr die Ankunft des Kindes der Zeit prophezeit, in der Gestalt ihres neugeborenen Sohnes Meridion. Noch in derselben Nacht verlässt sie Ashe und macht sich an Achmeds Seite mit ihrem Kind auf den Weg in die Sicherheit des Bolglandes. Doch sie ist nicht die Einzige, die unerkannt in Gefahr schwebt: Längst webt das Böse seine Netze, um das Land mit Krieg zu überziehen …

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Elizabeth Haydon

Tochter der Sonne

Für Rhiannon und Brayden

in Liebe

Karten: Erhard Ringer

Ode

Wir sind die Musikanten,
Wir leben in unseren Träumen,
Wandern entlang der Wellenkanten
Und sitzen neben Flüssen, die schäumen;
Wir Weltverlierer, Weltverbannten,
Die im bleichen Mondlicht säumen;
Doch wir sind die Gesandten,
Unter denen sich Welten aufbäumen.

Mit unsrer Lieder Unsterblichkeit
Errichten wir Städte, hoch und weit,
Und mit einer wunderbaren Weise Macht
Schaffen wir eines ganzen Reiches Pracht.
Ein Mann kann erhalten zum Lohne
Für einen einz’gen Traum eines Reiches Krone.
Und drei können mit neuer Lieder Klagen
Ein Reich rasch wieder zerschlagen.

Wir haben in vergangener Zeit,
Die sich im Grab der Erde verliert,
Ninive erbaut mit unserem Leid,
Und haben in Babylon selbst jubiliert
Und ihnen der neuen Welt Wert prophezeit,
Der nach dem Glanz der alten giert,
Denn jede Zeit ist ein Traum, den der Tod befreit,
Oder einer, der Neues gebiert.

Arthur O’Shaughnessy

Das Gedicht der Sieben

Sieben Gaben des Schöpfers,
Sieben Farben des Lichts,
Sieben Meere auf der weiten Welt,
Sieben Tagen in einer Woche,
Sieben Monate Brache,
Sieben Kontinente durchwandert, webe
Sieben Zeitalter der Geschichte
Im Auge Gottes.

Gesang des himmlischen Webstuhls

O unsre Mutter die Erde,
O unser Vater der Himmel,
Eure Kinder sind wir,
Müd und gebeugt.
Wir bringen euch die Gaben, die ihr liebt.

Daraus webt für uns ein Gewand der Helle …
Möge die Kette das weiße Licht des Morgens sein,
Möge der Schuss das rote Licht des Abends sein,
Mögen die Fransen der fallende Regen sein,
Mag die Bordüre der stehende Regenbogen sein.

So webt für uns ein Gewand der Helle,
Dass wir dort schreiten können,
Wo die Vögel singen,
Dass wir dort schreiten können,
Wo das Gras am grünsten ist.

O unsre Mutter Erde,
O unser Vater Himmel.

Volkslied, Tewa

Klagelied des Webers

Ein Teppich ist die Zeit,
Aus drei Fäden bereit’.
Man wisse Bescheid,
Es sind Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit.
Unbeständig sind Kettenfaden
Zukunft und Gegenwart,
Doch ihrer Farben Gnaden
Macht das Herz vernarrt.
Vergangenheit, der Schuss,
Ist der Geschichte Muss.
Jeder Augenblick,
Jedes Kriegsgeschick,
Findet seinen Ort
In der Zeit Gedächtnishort.
Das Schicksal, Weber dieser Fäden,
Hält sie fest in seinen Händen,
Flicht daraus ein Band,
Das Rettung sein kann, Netz – oder Tand.

I

Ein böser Wind

1

Westliche Küste Avonderre

An einem Morgen von unübertrefflicher Schönheit stieg die Sonne über dem strahlenden Meer auf, dessen Kräuselungen so grell leuchteten, dass es schon beinahe schmerzhaft war. Der Winterwind tanzte über den glitzernden Wogen und brachte aus den südlichen Landen den frischen, süßen Duft des fernen Frühlings mit – und damit auch den Geruch von Blut.

Rath fluchte, senkte den Kopf auf die Brust und zog die braune Kapuze noch weiter über die stechenden Augen. Er wartete darauf, dass das Wasser unter seinen durchscheinenden Lidern klar wurde, blinzelte dann einige Male und sah wieder hoch zur Küstenlinie. Die See war so still, dass das Ufer in der Ferne kaum schwankte. Rath packte das Ruder mit seinen sehnigen Fingern, streckte den Rücken und ruderte auf den Strand zu.

Mit jedem Ruderschlag, mit jedem Knarren des Holzes in der Riemendolle seines kleinen Bootes sang er sich die Liste seiner Ziele vor, deren Namen unauslöschlich in sein Gehirn eingebrannt waren. Hrarfa, Fraax, Sistha, Hnaf, Ricken, flüsterte er in der seltsamen, sirrenden Sprache seiner alten Rasse, der einzigen Art von Rede, die für den Wind unhörbar war. Rath achtete immer darauf, keine Nachrichten in den Wind zu sprechen, besonders nicht in den Meereswind, der sie rastlos über die ganze Welt verteilte, sodass jeder sie hören konnte, der auf die rechte Weise zu lauschen wusste. Rath war sich der losen Zunge des Windes wohl bewusst; er war aus diesem vergänglichen Element geboren.

Während er ruderte, biss er die Zähne zusammen und verfluchte schweigend die Wellen, über die er glitt. Das Wasser hatte für lange Zeit seine Schwingungen unterbrochen und ihn von seiner Beute fern gehalten. Jeder Ruderschlag brachte ihn der Befreiung näher, doch das besänftigte seinen wachsenden Zorn keineswegs. Solange er nicht fern des Meeres und der Kakophonie aus dichten Schwingungen war, die es hervorbrachte, war er unfähig zur Jagd. Also richtete er seine ganze Aufmerksamkeit wie immer auf die Namen.

Hrarfa, Fraax, Sistha, Hnaf, Ricken.

Als er seine zukünftigen Opfer aufgezählt hatte, die schon auf seiner Liste standen, solange er sich erinnern konnte, stimmte er stumm einen letzten Namen an, den er erst vor kurzem hinzugefügt hatte.

Ysk.

Das war kein Name in seiner eigenen Sprache, sondern einer, der seinem Träger von einer dummen, halbmenschlichen Rasse verliehen worden war, die nur selten Worte gebrauchte. Ysk war das Firbolg-Wort für Spucke und für das Austreten von etwas Faulem. Dass diese Ungeheuer jemandem einen solchen Namen gegeben hatten, sprach von tiefstem Abscheu und einer Verachtung, die keine Grenzen kannte.

Es war möglicherweise der schlimmste Name, den Rath je gehört hatte.

Auch war es ein toter Name, ein Name, dessen Macht vor mehr als einem Jahrtausend gebrochen worden war und dessen Geschichte tief im Meeresgrund auf der anderen Seite der Welt ruhte. Ein vollkommen vergessener Name, vollständig ausgelöscht von Wind und Erinnerung, gegenwärtig nur noch für Rath und seinesgleichen.

Es war der letzte Name auf seiner Liste, aber der erste, nach dessen Träger er suchen würde, sobald er an Land ging.

Als der Strand schließlich so nahe gekommen war, dass die Anstrengung des Ruderns in keinem Verhältnis mehr zum Fortkommen stand, kletterte Rath aus dem Boot und ließ es in der Tide treibend zurück. Er hatte die Stelle seines Landgangs sorgfältig ausgewählt und gelangte daher unbemerkt in einer kleinen, felsigen Bucht zwischen zwei Fischerdörfern ans Ufer. Sein Glück hielt an, weit und breit war niemand auf dem Strand zu sehen.

Mit einem letzten Blick über die Schulter wandte er sich vom Seewind ab. Das kleine Boot trieb in einem wenig anmutigen Tanz allmählich ins offene Meer zurück und drehte sich ziellos in der Strömung hin und her. Rath watete an Land und beachtete dabei weder das Seegras noch die Kiesel, die den Grund unter seinen Füßen bedeckten. Seine Sohlen hatten keine Nervenstränge; die Schwielen von jahrtausendelangem Wandern durch Feuer waren fast so dick wie eine Bootswand.

Als er am Strand angekommen war, eilte er weiter, bis ihn der bebende Schaum der Wellen nicht mehr erreichen konnte. Dann blieb er in dem kalten, trockenen Sand stehen, zog seine Kapuze zurück, hielt den Kopf in Richtung Südwesten geneigt und lauschte dem Wind.

Er wartete hundert Herzschläge lang, hörte aber keine Stimmen von der Art seiner eigenen. Keiner seiner Jagdgefährten hatte etwas zu berichten, so wie es die meiste Zeit hindurch üblich war.

So wie es schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden war.

Rath verweilte noch einen Augenblick und drehte dann seinen Rücken dem Westen zu, fort vom Donnern der Wellen und dem Rauschen der Gischt. Er atmete den salzigen Wind durch die vier Öffnungen seiner Luftröhre ein, biss die Zähne zusammen und ließ seinen Kirai los, die Schwingung des Seekönigs, mit der seine Rasse ihre Beute aufspürte. Der sirrende Laut drang aus der tiefsten Öffnung in seiner Kehle und war nur von ihm selbst zu vernehmen.

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