Und diese Erkenntnis versteifte plötzlich alles in ihm, sodass er sich nicht weiter bewegen konnte.
Anders dagegen Cynthia. Mit Tränen in den Augen schob sie sich an ihm vorbei in den Raum hinein und umrundete die Kommode. Dabei musste sie zwangsläufig auf Silvias Bild schauen. Und jetzt, da sie keinen halben Meter mehr davon entfernt stand, schien es ihr plötzlich, als würde ihre Freundin lebendig vor ihr stehen, so plastisch und so real wirkte sie auf dem Foto. Unwillkürlich blieb sie stehen, starrte sie an, hob ihre linke Hand und streichelte einmal sanft über ihre rechte Wange, während ihr eine eiskalte Gänsehaut über den Rücken kroch.
Dann aber hörte sie ein weiteres Schluchzen hinter sich und sie trennte sich von Silvias Anblick.
Jedoch nur, um sofort die nächste Gänsehaut zu spüren.
Denn so strahlend, so schön, so wundervoll wie Silvia auf dem Bild zu sehen war, so unfassbar erbärmlich, schmerzvoll und erschütternd war der Anblick des Mannes, der sie so sehr liebte.
In der Tat lehnte er an der Wand, seine Arme hatte er über die Knie gelegt, seine Hände lagen nebeneinander, seine Finger spielten miteinander, während sie deutlich sichtbar zitterten.
Cynthia spürte einen furchtbaren Kloß im Hals und musste gegen ihre Tränen ankämpfen. Dennoch wurden ihre Knie weich und sie hockte sich neben ihren Freund.
Dabei konnte sie ihren Blick nicht von seinem Gesicht lassen. Es war fleckig und aufgedunsen von unzähligen Tränen, die noch immer hemmungslos über seine Wangen hinab rannen. Seine Augen, blicklos auf Silvias Foto gerichtet, waren schwer gerötet und glänzten ob der Tränen. Doch das Schlimmste von allem – und es war letztlich das, was Cynthias Versuche, sich zusammen zu reißen, scheitern ließen – war sein Mund. Seine Lippen bebten, während sie so unendlich hilflos versuchten, Worte zu formen, die seinen Schmerz, seine Sehnsucht, seine Liebe und seine Trauer auszudrücken vermochten – und es doch niemals auch nur im Ansatz schafften.
Cynthia war für Sekunden wie gelähmt. Sie hockte auf ihren Knien neben Christopher, der doch so unendlich weit von ihr entfernt war, konnte ihre eigenen Tränen nicht mehr verhindern und weinte stumm, aber tiefempfunden, um das gebrochene Herz dieses Mannes.
Plötzlich aber wurde ihr bewusst, was sie sah und ihr wurde auch bewusst, weshalb sie alle hier waren.
Mit einem tiefen Atemzug brachte sich Cynthia zurück in die Wirklichkeit. Langsam schob sie ihre rechte Hand zu Christophers Händen, legte sie auf sie und drückte leicht zu. „Chris?“ Ihre Stimme klang leise und brüchig. Und eine Reaktion auf sie blieb aus. „Christopher?“ Cynthia sprach lauter, bestimmter. Sie musste sich jetzt zusammenreißen. Zusätzlich drückte sie seine Hände für einen Moment noch kräftiger.
Und plötzlich erfolgte eine Reaktion. Christophers Augenlider flackerten, seine Lippen verstummten, sein Kopf drehte sich langsam in ihre Richtung. Er schaute sie einen Moment stumm und vollkommen reglos an. Cynthia verharrte ganz ruhig in ihrer Position, versuchte ein sanftes Lächeln, erwiderte seinen Blick, obwohl es ihr sichtlich schwerfiel.
Dann schoben sich plötzlich Christophers Augenbrauen etwas in die Tiefe und in seinen Augen erschien Erkenntnis. „Cynthia?“
Sie nickte sofort und hätte fast laut aufgelacht. „Ja!“ stieß sie aber nur hervor. „Ich bin es!“
Christophers Augenbrauen hoben sich. „Aber...warum?“
„Ich...bin mit Douglas gekommen. Ich...!“
„Das ist schön!“ unterbrach er sie sanft. Dann hob er plötzlich seine rechte Hand, legte sie an ihre linke Wange und strich mit seinem Daumen sanft über ihre Tränen. „Und du hast dich nicht verändert!“ Er lächelte offen. „Du bist noch immer wunderschön! So wie…!“ Er drehte seinen Kopf wieder zu Silvias Bild. „...sie!“ Im nächsten Moment verschwand sein Lächeln, tiefer Schmerz breitete sich auf seinem Antlitz aus und sofort schossen wieder Tränen aus seinen Augen.
„Oh Gott, Chris!” Cynthia musste wieder gegen ihre eigenen Tränen ankämpfen. Sie atmete tief durch, beugte sich nach vorn, legte ihre rechte Hand jetzt auf seine linke Wange.
„Sie...fehlt mir so!“ stieß Christopher gequält hervor und ein erneuter Tränenschauer ließ ihn zusammenzucken.
„Ja!“ erwiderte Cynthia und nickte. „Oh ich weiß, dass sie dir fehlt. Du liebst sie ja auch!“
„Ja…!“ Christopher nickte und weinte bitterlich. „...das tue ich. Das tue ich!“ Er senkte seinen Blick.
„Und sie fehlt uns Chris. Mir und Doug!“ Cynthia hielt ihren Blick weiterhin auf ihm. „Denn wir lieben sie auch!“
„Ich...weiß!“ schluchzte er. „Aber...!“ Sein Kopf zuckte in die Höhe und seine Augen waren wieder starr auf ihr Foto gerichtet. „...ich habe ihr das niemals wirklich gezeigt. Und jetzt...ist es zu spät!“
„Ich verstehe deinen Schmerz, Chris!“ Cynthia beugte sich noch ein wenig näher zu ihm. „Aber...du irrst!“
„Nein, nein!“ stammelte er. „Ich kann nicht...es ist zu spät, ich...!“
„Nein, ist es nicht!“ Cynthias Stimme klang jetzt sehr bestimmt und klar. Mit ihrer Hand drückte sie seinen Kopf so, dass er sie anschauen musste.
Und wirklich schien Christopher die Entschlossenheit in ihrem Blick zu erkennen, denn er weinte nicht mehr. Doch schon eine Sekunde später wollte er seinen Blick entmutigt schon wieder senken.
„Nein!“ Cynthia übte sanften Gegendruck aus und ließ ihn nicht entkommen. „Sieh mich an!“ Sie wusste, ihre Worte klangen zu hart, doch auch wenn Douglas jetzt doch einen Schritt in den Raum hineintrat und damit fast neben ihnen stand und dabei einmal brummte, gab ihr der Erfolg recht, denn Christopher schaute sie wieder direkt an.
„Was ihr erlebt habt, war unbeschreiblich und absolut furchtbar – aber es war... nicht ...endgültig!“
Christophers Blick veränderte sich schlagartig, dann jedoch schien er wieder zu zweifeln, forschte in Cynthias Augen, die wusste, dass sie jetzt nicht nachlassen durfte. Dann schien er nicht mehr zu zweifeln, doch die Erkenntnis, die Möglichkeiten und die Konsequenzen dessen, was Cynthia gerade gesagt hatte, brachte seinen Körper zum Erzittern und Angst machte sich in seinem Gesicht breit. Doch Cynthia sagte nichts, schaute ihn nur voller Wissen und Zuversicht geradeheraus an. Christophers Gefühle und Gedanken rissen an ihm. Plötzlich wandte er seinen Blick ab, doch nicht, um wieder zu verzweifeln, sondern um Douglas anzusehen.
Und sein Freund war dieses Mal darauf vorbereitet. Voller Ruhe und Kraft erwiderte er seinen Blick, obwohl er innerlich hätte schreien können, geradewegs, ohne Furcht, ohne Zweifel, nur voller Zuversicht. Zusätzlich nickte er noch.
Und da schien es Christopher wirklich begreifen zu wollen, was Cynthia gerade erklärt hatte. Aber...!“ Er wandte sich wieder an sie, schaute ihr direkt in die Augen, fragend, forschend, aber ohne Schmerz und so voller Hoffnung. „...wie?“
Cynthia verkniff sich ein breites Grinsen über die Freude, ihn zurückgeholt zu haben, denn sie wusste, dass ein furchtbar langer, steiniger und unsicherer Weg vor ihnen lag und sie ihn jetzt darüber nicht anlügen durfte. „In dem du bereit bist, dein Leben dafür aufs Spiel zu setzen...!“
Christopher nickte. „Natürlich, sofort!“
„...und dich noch einmal den Mächten stellst, denen du schon einmal getrotzt hast!“
Christophers Gesicht wurde schlagartig todernst. Man konnte seine Erinnerungen förmlich spüren...und seinen Hass auf sie. „Liebend gern!“ zischte er verbittert.
„Gut!“ Jetzt gestattete sich Cynthia doch ein kurzes erfreutes Lächeln und sie erhob sich neben Christopher. „Dann lass uns ins Wohnzimmer gehen. Es gibt da ein paar Leute, die du unbedingt kennen lernen und denen du zuhören solltest!“
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