1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Pia suchte passende Kleidung für den kommenden Arbeitstag heraus, hängte alles an die Garderobe und ging kurz darauf unter die Dusche. Mit Sven zu reden machte heute Abend keinen Sinn mehr. Zudem war sie total müde, da sie das Fahren im Dunkeln sehr angestrengt hatte. Sie sagte Sven kurz und knapp »Gute Nacht« und ging zu Bett. Sie sorgte sich um Sven. Es war ihm nicht zu wünschen, dass er durch diesen unliebsamen Zwischenfall wieder in sein altes Trinkverhalten zurückfiel. Pia hatte noch nie Probleme mit Alkohol. Sie trank meistens nur bei Feierlichkeiten. Bevor Sven zu ihr zog, hatte sie keinerlei alkoholische Getränke im Haus, sei denn Freunde kamen zu Besuch, dann kaufte sie welche ein. Sie dachte noch lange Zeit über das missglückte Wochenende in Recklinghausen nach, bis ihr schließlich vor Erschöpfung die Augen zufielen.
Am nächsten Morgen, als der Wecker sie aus dem Tiefschlaf riss, sah sie sich irritiert im Schlafzimmer um. Erstaunt stellte sie fest, dass das Bett neben ihr unberührt geblieben war. Pia war sichtlich verärgert, schließlich hatte sie sich nicht volllaufen lassen am Vortag, sondern Sven. Wieso bestrafte er sie jetzt mit Missachtung? Ihre Stimmung war nicht die allerbeste, als sie ins Bad ging und dabei einen Blick in die Küche warf. Zu ihrer Überraschung kam ihr Kaffeeduft entgegen. Sven hatte bereits den Frühstückstisch gedeckt, Brötchen beim Bäcker besorgt und frischen Orangensaft ausgepresst. Das heiterte ihre Stimmung schlagartig auf. Sie ging zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Pia, es tut mir leid, was ich getan habe. Ich schäme mich entsetzlich! Entschuldige bitte, es wird nicht mehr vorkommen. Versprochen!«, sagte Sven reumütig und schaute ihr dabei tief in die Augen.
Pia wurde es unter seinen Blicken, die Bände sprachen, ganz heiß. Aber so einfach wollte sie ihm es auch nicht machen. Zudem hatte sie nur noch dreißig Minuten zur Verfügung, dann musste sie zu ihrer Arbeitsstelle fahren. Sie befreite sich sachte aus seinen Armen und nahm ihm gegenüber am Frühstückstisch Platz.
»Sei mir nicht böse, aber ich muss gleich zur Arbeit. Die Zeit reicht noch aus, um gemütlich mit dir zu frühstücken. Wir reden heute Abend«, sagte Pia versöhnend.
»Kein Problem, ich muss auch in Kürze weg.«
Gemeinsam verließen sie nach der ersten Mahlzeit des Tages das Haus und verabschiedeten sich voneinander. Sven wartete auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf den Bus. Pia stieg in ihr Auto und winkte ihm noch einmal zu, bevor sie um die nächste Straßenecke bog.
Als sie nach einem anstrengenden und stressigen Arbeitstag nach Hause kam, fand sie Sven schlafend im Wohnzimmer auf dem Sofa vor. Sie beugte sich über ihn und glaubte Alkohol zu riechen war sich aber nicht vollkommen sicher. Warum war er um diese Uhrzeit schon zu Hause? Für gewöhnlich kam er erst zwei Stunden später als sie von der Arbeit.
Behutsam rüttelte sie ihn wach. Er sah sie aus geröteten Augen an und setzte sich mühsam auf.
»Pia, du bist schon da!«, sagte er verschlafen.
»Wieso bist so früh zu Hause?
»Mir war übel und da habe ich zeitiger aufgehört«, erwiderte er.
»Was hast du denn?«
»Mir ist den ganzen Tag schon unwohl und ich musste mich mehrmals übergeben. Wenn es mir morgen immer noch so schlecht ist, gehe ich zum Arzt und lasse mich krankschreiben.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, dich arbeitsunfähig schreiben zu lassen! Du hast gerade erst deine Probezeit hinter dir!«, sagte Pia besorgt.
»Mach dir keine Sorgen. Womöglich ist es nur eine harmlose Magenverstimmung. Bestimmt geht es mir morgen früh besser!«
Pia schenkte seinen Worten keinen Glauben, da sie nicht ausschließen konnte, dass er erneut Alkohol getrunken hatte. In der Wohnung fand sie jedoch keinerlei Spirituosen oder sonstige Hinweise, die auf einen Rückfall schließen ließen. Sie ließ Sven in Ruhe. Pia verbrachte den Abend vor dem Fernseher, aber ihre Gedanken waren nicht bei dem Spielfilm, den sie sich soeben ansah. Sie sorgte sich immens um Sven. Hoffentlich hatte er am Wochenende keinen Rückfall erlitten. Für Pia war das Thema Alkoholismus absolutes Neuland. Sie hatte sich noch nie mit Alkoholmissbrauch auseinandersetzen müssen, da es in der Vergangenheit keinen Grund dafür gab. All ihre Freunde und Bekannten hatten bislang kein auffälliges Trinkverhalten an den Tag gelegt. Es wurde stets nur bei Festen oder anderen Anlässen gelegentlich Mal etwas über den Durst getrunken, was die meisten am nächsten Tag bereits bitter bereuten. Höllische Kopfschmerzen und Übelkeit gehörten in keiner Weise zu ihrer Tagesordnung. Deshalb vermied sie es grundsätzlich mehrere hochprozentige Getränke durcheinanderzutrinken und spätestens dann aufzuhören, wenn es genug war. Wie sagt man: »Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist!«
Pia ging ohne ihn zu Bett. Sven bestand darauf auf der Couch zu nächtigen, da der Weg zur Toilette näher wäre als vom Schlafzimmer aus, falls ihn die Übelkeit nochmals heimsuchen sollte. Außerdem gab er vor, sie nicht in ihrer Nachtruhe stören zu wollen.
Besonders erbaut war sie von dieser Situation keineswegs, nahm es aber vorerst hin. Am nächsten Morgen machte Sven keinerlei Anstalten, das Haus zu verlassen. Er gab vor, dass ihn immer noch ein Brechreizgefühl plagt und er sich angeblich mehrere Male während der Nacht übergeben musste. Pia zweifelte an der Aufrichtigkeit seiner Worte, da sie in der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugetan hatte. Er hatte ein einziges Mal die Toilettenspülung betätigt und keinesfalls mehrmals. Da war sie sich vollkommen sicher, weil sie das Geräusch auch im Schlafzimmer mühelos hören konnte.
Mit einem unbehaglichen Gefühl verließ sie das Haus und fuhr zur Arbeit. Es fiel ihr ausgesprochen schwer sich während der Dienstzeit zu konzentrieren.
Wie erwartet fand sie Sven am Abend zu Hause vor. Erneut beschlich sie das seltsame Gefühl er habe getrunken, denn seine Augen hatten einen merkwürdigen Glanz und waren leicht gerötet. Seine Artikulierung war ebenfalls nicht klar und deutlich. Vielleicht kam das durch sein Unwohlsein. Sven erklärte ihr, dass der Arzt einen Magen-, und Darmvirus diagnostiziert habe. Das bedeutete für ihn als freiberuflicher Mitarbeiter, dass er keinen Lohn für die Fehltage bekam. Pia war äußerst besorgt, dass er nicht in sein altes Verhaltensmuster abrutschte. Sven war in den kommenden Tagen kaum ansprechbar. Er war deprimiert und starrte Löcher in die Luft. Wenn sie sich zu ihm gesellte, wurde er nervös und fahrig. Er rastete sofort aus, wenn sie ihn ansprach. Sie versuchte ihn links liegen zu lassen und hoffte inständig, dass er bald wieder auf der Höhe ist.
In den kommenden Wochen bestätigte sich Pias Verdacht, dass Sven trank. Als sie von der Arbeit nach Haus kam, erwischte sie ihn mit einer bis zur Hälfte geleerten Flasche Metaxa in der Hand in der Küche. Seine Augen waren glasig und er nahm ihre Anwesenheit gar nicht wahr. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich leider bestätigt. Sie versuchte mit Engelszungen auf ihn einzureden, aber all ihre Bemühungen blieben erfolglos. Ob Sven überhaupt ein Wort von dem Gesagtem wahrnahm, wagte sie zu bezweifeln. Er schien weit ab von der Realität zu sein und nahm sein Umfeld kaum noch wahr.
Die Lage spitzte sich von Tag zu Tag mehr zu. Sven trank hochprozentigen Alkohol und das flaschenweise. Als sie ihm wutentbrannt das Getränk wegnahm und den Inhalt in die Toilette kippte, sprang er auf und wurde fuchsteufelswild. Er fuchtelte mit den Armen herum, als wäre er nicht mehr bei Sinnen. Außer sich vor Wut griff er nach seiner Lederjacke und verließ laut tobend mit torkelnden Schritten die Wohnung. Er blieb stundenlang von zu Hause fern und Pia war äußerst beunruhigt. Sie hatte stets Angst, dass ihm in diesem Zustand etwas Schreckliches zustoßen könnte. Wenn er dann endlich spät in der Nacht nach Hause, war er dermaßen abgefüllt, dass sie es vorzog, einen großen Bogen um ihn zu machen. Er verkroch sich nach den Sauftouren stets im Wohnzimmer und nächtigte auf dem Sofa. Pia hielt jede Nacht die Luft an, dass er beim Rauchen nicht die Bude in Brand steckte. Paradoxerweise passierte gottlob nichts.
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