Die anderen Teilnehmer klatschten Sven Beifall. Es wurde noch weiteren Gruppenteilnehmer die gleiche Frage gestellt.
Pia sah auf die Uhr und stellte fest, dass die Therapiestunde bereits zu Ende war, denn einige Personen erhoben sich von ihren Plätzen und stürmten ins Freie, um eine Zigarette zu rauchen. Diese Sucht wurde stillschweigend akzeptiert.
Jetzt verstand Pia, warum Sven so sehr darauf drängte, dass sie zu den Therapiestunden mitkam. Heute Abend hatte sie wertvolle Informationen erhalten, die sie im Internet nicht bekommen hätte, und konnte nunmehr mit seinem Suchtproblem besser umgehen, so dachte sie.
Sie hatte Sven versprochen, im Turnus von zwei Wochen mit zur Selbsthilfegruppe zu kommen. Sven freute sich sehr über diese Entscheidung.
Mittlerweile war Sven sechs Monate trocken und er suchte nach wie vor regelmäßig die Selbsthilfegruppe auf. Auf der Arbeitsstelle gab es auch keine Probleme. Ganz im Gegenteil, sein Chef war mit ihm und seinen Leistungen vollkommen zufrieden.
Das Verhältnis zwischen Pia und Sven hatte sich ebenfalls gefestigt und das Vertrauen war wieder hergestellt.
Eines Abends kam er bestens gelaunt von der Arbeit nach Hause und verkündete freudestrahlend, dass er mehr Gehalt zum nächsten Ersten bekommen würde.
Pia freute sich für Sven und umarmte ihm stürmisch.
Nach der Gehaltsaufbesserung begann Sven, eifrig Zukunftspläne zu schmieden. Er äußerte den Wunsch, mit ihr in eine größere Wohnung zu ziehen, da er es sich nunmehr finanziell leisten könnte. Mit dem, was sie beide verdienten, sollte das kein Problem darstellen. Pia war begeistert von seinem Entschluss, denn die Wohngegend in Frankfurt, in der sie im Moment wohnten, ließ etwas zu wünschen übrig. Das Wohnhaus befand sich an einer sehr lebhaft befahrenen Straßenkreuzung, dadurch war sie gezwungen, tagsüber die Fenster wegen des Lärms geschlossen zu halten. Die Raumaufteilung der Wohnung war hervorragend und ließ im Grunde genommen keine Wünsche offen, aber auf Dauer würde die Bleibe für sie beide zu klein werden. Sven plante, sich demnächst ein Zeichenbrett zu kaufen, um etwaige Arbeiten von zu Hause aus erledigen zu können. Dafür fehlte es aber jetzt und hier an dem nötigen Platz. Zudem war es Sven äußerst wichtig, ein zusätzliches Kinderzimmer für seine Töchter zu haben, falls er sie an den Wochenenden zu sich holen durfte. Dies wurde allerdings bisher noch nicht vom Jugendamt befürwortet. Die Chancen die Kinder zukünftig sehen zu dürfen, waren heute bedeutend besser, als zu der Zeit, in der sie Sven kennengelernt hatte. Er konnte mittlerweile vorweisen, dass er regelmäßig eine Selbsthilfegruppe besuchte, seit einem halben Jahr trocken war und einen festen Arbeitsplatz hatte. Eine geräumigere Wohnung mit einem Kinderzimmer würden die Chancen, die Kinder jetzt häufiger und ohne Aufsicht zu sehen, um einiges erhöhen.
Glücklich über den Entschluss sich eine größere Wohnung zu suchen, recherchierten sie eifrig im Internet nach einer für sie geeigneten Vierzimmerwohnung. Sie wollten aber nichts überstürzen und sich in Ruhe die Mietobjekte ansehen, die sie in die engere Auswahl gezogen hatten und die auch für sie erschwinglich waren.
Im Laufe der Woche sahen sie sich nach Feierabend mehrere Wohnungen an, aber leider sagte ihnen keine so recht zu. Entweder war die Lage indiskutabel oder die Wohnräume waren schlecht geschnitten. Enttäuscht machten sie sich dann auf den Nachhauseweg und setzten ihre Suche fort.
Am darauffolgenden Wochenende überraschte sie Sven mit einem gigantischen Rosenstrauß. Fragend und völlig erstaunt sah sie ihn an.
»Ich habe doch gar keinen Geburtstag!«
»Das weiß ich mein Schatz«, antwortete Sven, und sah ihr dabei tief in die Augen. Er kniete plötzlich vor ihr nieder und umfasste ihre Hand, holte aus seiner Jackentasche ein kleines Etui hervor, öffnete es und nahm einen goldenen Verlobungsring heraus.
Mein Schatz, du warst die ganze Zeit für mich da, als ich große Probleme hatte, und hast an mich geglaubt, dass ich mein Alkoholproblem in den Griff bekommen werde. Dafür möchte ich dir von Herzen danken. Du hast mir neue Stärke und Kraft verliehen. Die starke Zuneigung zu dir hat mein Leben wieder in positive Bahnen gelenkt. Ich möchte keinen Tag mehr ohne dich sein und frage dich:« möchtest du diesen Ring als Zeichen meiner Liebe annehmen und dich mit mir verloben?»
»Ja, Sven das will ich, weil ich dich liebe, aber bitte stehe auf, du machst mich verlegen und gleichzeitig zur glücklichsten Frau der Welt. Natürlich nehme ich den Ring an«, sagte Pia mit belegter Stimme und total gerührt von seinen liebevollen Worten.
Sie fiel ihm um den Hals und bedeckte sein Gesicht mit unzähligen Küssen, bis er sie händeringend um Gnade flehend behutsam von sich schob. Er griff nach ihrer Hand und steckte den Ring an ihren Finger. Pia war überglücklich und Freudentränen rollten über ihre Wange, die sie verstohlen wegwischte.
»Wann willst du es deinen Eltern sagen?«, fragte Sven unsicher.
»Ich werde sie in den nächsten Tagen anrufen. Ich lade sie für das kommende Wochenende zur Verlobungsfeier ein, wenn dir der Zeitpunkt zusagt!«
»Du weißt, dass sie nicht besonders gut auf mich zu sprechen sind, weil ich getrunken habe«, entgegnete er unsicher.
»Mach dir keine Gedanken darüber. Sie wissen mittlerweile von mir, dass du jetzt »trocken« bist, einen Job gefunden und dein Leben wieder im Griff hast«, sagte Pia beschwichtigend.
Sie nahm ihn in den Arm, weil sie merkte, dass Sven sehr unsicher wurde, wenn es um ihre Eltern ging.
Als sie ihren Eltern vor einiger Zeit Sven Alkoholproblem gebeichtet hatte, waren sie alles andere als erbaut von dieser Beziehung. Sie rieten ihr, sich von Sven zu trennen, mit der Begründung, dass es die wenigsten Alkoholiker schaffen würden, einen Weg aus der Sucht zu finden und die Rückfallwahrscheinlichkeit sehr hoch sei. Die Enttäuschung wollten sie ihrer Tochter ersparen.
Deshalb erfüllte es Pia mit Stolz, ihren Eltern über jeden kleinen Fortschritt von Sven berichten zu können. Sicher, es gab keinerlei Garantie dafür, dass er keinen erneuten Rückfall erlitt. Aber für was im Leben gab es schon eine hundertprozentige Gewährleistung?
Die Krankheit »Krebs« konnte auch jederzeit wieder ausbrechen! Pia war sich bewusst, dass jeder Tag für Sven eine erneute Herausforderung darstellte, dem Alkohol zu widerstehen. An jeder Straßenecke, in allen Geschäften, Lokalen, einfach überall, gab es alkoholische Getränke zu kaufen, die dem Süchtigen in Hülle und Fülle angeboten wurde. Die Versuchung war riesengroß. Pia war zuversichtlich, dass Sven den Kampf gegen den Alkohol gewinnen würde.
Tapfer griff Pia zum Handy, nachdem sie dreimal tief Luft geholt hatte, und rief ihre Eltern mit einem unbehaglichen Gefühl in der Magengegend an. Sie fielen aus allen Wolken, als sie die Einladung zur Verlobungsfeier aussprach. Sie dachte grimmig, »ein wenig mehr Freude hätten sie schon an den Tag legen können«. Aber was hatte sie erwartet?
Ihren Eltern konnte sie noch nie etwas recht machen. Egal was sie machte, es war immer alles verkehrt. Aber was andere taten, wurde stets honoriert. Aber sie konnte sich die Beine ausreißen, ohne jegliche Anerkennung zu finden. Pia hatte es im Laufe der Zeit aufgegeben, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie sie ihre Eltern beeindrucken konnte, um etwas Lob für ihr Handeln zu bekommen. Eher fielen Weihnachten und Ostern auf einen Tag.
Trotzdem versuchte sie, stets ihr Bestes zu geben. Deshalb legte sie sich auch diesmal schwer ins Zeug, dass am kommenden Wochenende alles perfekt für die Feier vorbereitet war. Pia und Sven waren übereingekommen, den Kaffee zu Hause einzunehmen und später zum Abendessen ein Restaurant aufzusuchen. Das war auch für alle Beteiligten unverfänglicher, wie in den eigenen vier Wänden. Ein Tisch für den Abend war bereits reserviert. Demzufolge hatte sich Pia lediglich um Kaffee und Kuchen zu kümmern. Die Torte bestellte sie bei der Konditorei im Haus. Problem gelöst! Pia backte nicht gerne selbst. Kochen ja, aber backen war nicht ihr Ding.
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