Heinz Boemer - Eine kurze Geschichte des Atheismus

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Es gibt zahllose Veröffentlichungen mit geschichtlichenThemen, für Fachleute ebenso wie für Laien. Dabei stehen allermeist die Mächtigen und die «Helden» im Vordergrund, in Europa dazu noch die christliche Religion und insbesondere die katholische Kirche mit einer eigenen sehr blutigen Geschichte. Sehr versteckt nur spielen religionskritische und atheistische Strömungen in den üblichen Geschichtswerken eine Rolle. Es gibt auch nur wenige und dann sehr umfangreiche Werke zum Thema Geschichte und Atheismus. Hier nun soll diese «Kurze Geschichte des Atheismus» einen raschen Überblick gewähren über ein ganz spannendes Thema, das auch heute noch gar zu gern unterdrückt wird. Und man lernt dabei eines: Im Namen des Atheismus wurden noch nie Kriege geführt! Aber allzu oft gegen ihn!

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Somit wäre die Ablehnung der Götter eine Art Auflehnung, eine Revolte gegen sie, die dem Menschen die eigene Gestaltung ihres Lebens verbieten und sie in Angst und Sklaverei halten. Diese Einstellung wird bei dem großen Nachfolger Epikurs, dem römischen Dichter Lukrez(99/94 – ca. 54 v. u. Z.), sehr deutlich. Die Religion mache den Menschen unglücklich, sagt er, da sie ihm einrede, Elend, Leid und Katastrophen würden von den Göttern wissentlich herbeigeführt. Für Lukrez hat Epikur die Menschen vor der Religion gerettet, er hat die Götter gestürzt und dem Menschen seine Würde wiedergegeben. Lukrez verfasste ein großes Lehrgedicht, das wunderbarerweise das christliche Mittelalter überlebte. (Siehe Abschnitt Renaissance.)

Der Epikureismus, so schreibt Georges Minois, ist tatsächlich der erste große Versuch einer atheistischen Moral, einer Moral, die auf dem einzig möglichen authentischen Wert einer menschlichen Welt ohne Gott beruht: dem Streben nach individuellem irdischem Glück. Das klingt in unseren Ohren recht modern! Dieses Glück besteht in der Abwesenheit von körperlichem Leiden und seelischer Unruhe, in der Ataraxie, d. h. dem Zustand ausgeglichener Weisheit. Das Streben nach Lust – wohlgemerkt nichtnach Wollust – soll den Weisen motivieren. Ein Leben der Leichtfertigkeit und Ausschweifung ist dabei ausgeschlossen, da ein solches mehr Übel als Vergnügen hervorbringt. Und man kann der Meinung sein wie z. B. Minois, die Lust, wie Epikur sie versteht, gleiche mehr der Askese als der Ergötzung. Diese epikureische Lust ist das Ergebnis einer klugen und feinen Dosierung, die, von allen praktiziert, zu einer vollkommenen, gerechten und ausgeglichenen Gesellschaft führe. So schreibt Epikur an einen gewissen Menoikeus u. a.:

Und eben weil die Lust das erste und angeborene Gut ist, entscheiden wir uns nicht schlechtweg für jede Lust, sondern es gibt Fälle, wo wir auf viele Annehmlichkeiten verzichten, sofern sich aus ihnen ein Übermaß von Unannehmlichkeiten ergibt, und andererseits geben wir vielen Schmerzen vor Annehmlichkeiten den Vorzug, wenn uns aus dem längeren Ertragen von Schmerzen so viel größere Lust erwächst. (…) Denn eine bescheidene Mahlzeit bietet den gleichen Genuss wie eine prunkvolle Tafel, wenn nur erst das schmerzhafte Hungergefühl beseitigt ist. (…) Wenn wir also die Lust als das Endziel hinstellen, so meinen wir damit nicht die Lüste der Schlemmer und solche, die in nichts als dem Genusse selbst bestehen, wie manche Unkundige und manche Gegner oder auch manche absichtlich Missverstehende meinen, sondern das Freisein von körperlichem Schmerz und von Störung der Seelenruhe. 8

Damit widerlegt Epikur klar Platons Formel: Gottlosigkeit gleich Unmoral! Aber: So anziehend Epikurs Lehre auch ist, so wird sie durch die Jahrhunderte paradoxerweise in völliger Verkennung ihrer positiven moralischen Einstellung als Gallionsfigur der Unmoral verschrien und beschimpft werden. Schon die Stoiker verleumden die konkurrierende Lehre, obwohl sie manches gemeinsam haben wie das Streben nach Übereinstimmung mit der Natur. Krass dagegen ist die Ablehnung der Christen, obschon die epikureische Lebensweise dem christlichen Asketentum gar nicht so fern steht. Das Christentum kann dem Epikureismus wohl nicht verzeihen, dass die Unsterblichkeit der Seele mit allen daraus sich ergebenden Folgerungen negiert wird. Die Abneigung geht schließlich soweit, dass von epikureischen Schweinen die Rede sein wird, wenn man eine nur etwas abweichende Strömung diffamieren will.

In den beiden letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende entwickelt sich eine Situation, die der heutigen, so meint Minois, in mancherlei ähnelt. Es kommt zu einer Zersplitterung der geistigen und religiösen Strömungen. Das römische Reich mit seinen vielen verschiedenen Völkern und Kulturen bringt es mit sich, dass die verschiedensten Glaubensrichtungen auf den Markt des Glaubens einströmen. Es gibt hunderte von Sekten, Religionen, spiritualistische und materialistische Denkschulen, neben dem wachsenden Atheismus der Intellektuellen wächst der Aberglaube des Volkes. Mitra, Isis, Osiris, Serapis, Kybele, Jupiter und viele weitere Gottheiten teilen sich mit astrologischen und magischen Vorstellungen den Markt ebenso wie mit dem jüdischen Monotheismus, den epikureischen, stoischen, platonischen wie neuplatonischen, kynischen und weiteren skeptischen Strömungen. In dieser Kakophonie, schreibt Minois, ist die offizielle griechisch-römische Religion nur noch ein formaler staatsbürgerlicher Rahmen, dessen Tempel und Zeremonien weiterhin die Landschaft prägen, jedoch eher als Dekor denn als anerkannte Wahrheit. Zwar spielen Priester, Auguren, Vestalinnen noch eine gewisse Rolle, aber sie ist stark verweltlicht.

Religionen ändern sich, kommen und gehen schon in der Antike, wie wir sehen, und wie sich Religion ändert, ändert sich auch der Atheismus. Es gibt eine unwandelbare und universelle Religion ebenso wenig wie einen universellen und unwandelbaren Atheismus. Der antike Atheismus lebt in den kosmologischen und philosophischen Vorstellungen des Altertums, er kann noch keine plausible Gesamterklärung der Welt ohne Gott geben. Der antike Atheismus wird eher als eine negierende, negative Variante von Religion empfunden und behält damit über die Jahrhunderte, ja bis heute den Anschein einer eher unwerten Lebenshaltung.

Ehe wir an dieser Stelle die griechisch-römische Antike verlassen, wollen wir doch noch einen kurzen Blick auf Indien werfen, wo vermutlich zwischen 320 und 180 v. u. Z. eine atheistisch-materialistische philosophische Schule mit hedonistischen Zügen entstand, die im 7. Jahrhundert u. Z. sich unter dem Namen Charvaka hervortat. Der Philosoph Dharmakirtinannte in einer seiner Schriften 5 irrationale Handlungsweisen:

Glaube an die Heiligkeit der Veden (heilige Schriften des Hinduismus)

Glaube an einen Schöpfergott

Baden in heiligen Gewässern als Verdienst

Kastenstolz

Buße für Sünden

Diese philosophische Schule legte Wert auf die Freiheit des Denkens, auf Wahrheit und Logik. Ein Leben nach dem Tod wird abgelehnt. Der Name dieser Schule ist untergegangen, aber auch heute gibt es in Indien noch viele Atheisten.

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