Heinz Boemer - Eine kurze Geschichte des Atheismus

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Es gibt zahllose Veröffentlichungen mit geschichtlichenThemen, für Fachleute ebenso wie für Laien. Dabei stehen allermeist die Mächtigen und die «Helden» im Vordergrund, in Europa dazu noch die christliche Religion und insbesondere die katholische Kirche mit einer eigenen sehr blutigen Geschichte. Sehr versteckt nur spielen religionskritische und atheistische Strömungen in den üblichen Geschichtswerken eine Rolle. Es gibt auch nur wenige und dann sehr umfangreiche Werke zum Thema Geschichte und Atheismus. Hier nun soll diese «Kurze Geschichte des Atheismus» einen raschen Überblick gewähren über ein ganz spannendes Thema, das auch heute noch gar zu gern unterdrückt wird. Und man lernt dabei eines: Im Namen des Atheismus wurden noch nie Kriege geführt! Aber allzu oft gegen ihn!

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Es gäbe noch mehr berichtenswerte Prozesse aus jener Zeit im alten Griechenland zu melden. Die Zahl der Atheisten in allen Gesellschaftsschichten ist beträchtlich, man macht sich darüber Sorgen. Auch Platon(428/427 – 348/347 v. u. Z.), der bis in unsere Zeit stark wirksame Philosoph. Er war ein entschiedener Gegner der Atheisten, er wird von Georges Minois der Vater der Intoleranz und der Unterdrückung des Atheismus genannt. Dieser für groß angesehene Philosoph, was er in Teilen seiner Philosophie auch wirklich ist, versetzt dem Atheismus einen bösen Schlag, der den Atheisten über die Jahrtausende hin einen Makel verleihen sollte, wenn auch ganz und gar zu Unrecht. Platon schwingt, zu allen Zeiten seither allseits recht beliebt, die Keule der Moral, indem er behauptet, Atheismus und Unmoral seien gleichzusetzen. Platons bekanntester Beitrag zur Philosophie des Abendlands ist wohl seine Ideenlehre. Mit ihr setzte er einen bis in unsere Zeit wirksamen Spaltpilz frei. Denn er verleiht seinen Ideen den Status einer realen Existenz in einer eigenen Welt, der jenseitigen Welt der Götter. Die bis dahin so sehr menschlichen griechischen Götter, die in der gleichen Welt angesiedelt waren wie die Menschen selbst, werden also in eine eigene Welt entrückt und gleichzeitig idealisiert. Die Götter sind vollkommen und gut, so Platons Lehre. Es gibt nun also eine ideale Welt der Götter und Ideen und eine im Unterschied dazu höchst unvollkommene Welt der Menschen. Die Gottlosen, lehrt der große Philosoph, sind nicht nur unmoralisch, sondern verbrecherisch und als Staatsfeinde anzusehen. Ja gar alle Menschen, die nicht der Linie der offiziellen Staatsreligion folgen, müssen nach seiner Ansicht bekämpft werden. Für die Atheisten, die er im Wesentlichen in zwei Lager einteilt, sieht er drakonische Strafen vor: diejenigen, die zwar einen untadeligen Lebenswandel führen, aber aus intellektuellen Gründen die Existenz der Götter leugnen, sind zu 5 Jahren Gefängnis zu verurteilen inklusive intensiver Belehrung in offenbar nächtlichen Sitzungen. Es ist also eine ordentliche Gehirnwäsche der Einsitzenden vorgesehen. Wer danach eventuell rückfällig wird, ist zum Tode zu verurteilen! Jene Ungläubigen, die über ihren Unglauben hinaus auch noch ein lasterhaftes Leben führen, sind in Lager inmitten des Landes zu verbannen. Wer im Zustand des Atheismus stirbt, dessen Leichnam soll unbestattet über die Grenzen des Landes geworfen werden! Das erinnert verblüffend an spätere Praktiken im Christentum! All dies kann man nachlesen in Platons Nomoi, den Gesetzen, im Buch X. Platon erweist sich hier als Erfinder der religiösen Intoleranz, der Inquisition und der Konzentrationslager!

In seinem Kampf gegen den zu seiner Zeit so verbreiteten Atheismus, durch den er Staat und Gesellschaft bedroht sieht, steht Platon vor einem unlösbaren Problem: die von ihm so gehassten Physiker forderten einen Gottesbeweis. Der Verweis auf die angebliche Unmöglichkeit einer Welterklärung aus Natur und Zufall, wie die Wissenschaftler seiner Zeit sie lehren, allen voran Demokrit mit seinem Atomismus, war da wenig hilfreich. Auch der Hinweis auf den Götterglauben aller Völker zu allen Zeiten hat natürlich keinerlei Beweiskraft. So wird seit Platons Zeiten der Tiger des Gottesbeweises erfolglos geritten. In tausenden von Jahren zeigt sich keinerlei Evidenz eines Gottes oder ähnlichen Wesens. Ein zweifelhaftes, durch die Jahrtausende wirkendes Verdienst Platons besteht darin, dass er dem Atheismus den Makel des Unmoralischen, Niedrigen und Verachtenswerten angeheftet hat. Sich hiervon entschieden zu distanzieren, ist es allerhöchste Zeit!

Platons Warnungen vor den Skeptikern und Atheisten konnten in den kommenden Krisenzeiten den Niedergang der traditionellen Religion nicht aufhalten. Die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen förderten den allgemein sich ausbreitenden Skeptizismus. Dichter wie Euripides (ca. 484 – 406 v. u. Z.) und Aristophanes mokierten sich über die Götter mit Sätzen wie

die Götter, was immer die Götter sein mögen oder Zeus, wer immer Zeus sein mag.

Die Sophisten gehen noch viel weiter und negieren den göttlichen Ursprung der Götter. So sagen einige, die Idee der Götter könnte im menschlichen Geist entstanden sein. So sieht es z. B. Prodikosaus Keos (ca.465 – nach 399 v. u. Z.). Kritias (ca. 460 – 403 v. u. Z.) lässt Sysiphos sagen, die Götter seien von einem sehr geschickten Mann erfunden worden, um die Menschen durch die Furcht vor Strafe zur Tugend anzuhalten. Andere sagen, die Götter seien vergöttlichte Menschen von einst, die ersten Wohltäter der Menschen. Der Sophist Euhemeros(ca. 340 – ca. 260v. u. Z.) ist für diese Ansicht ein gutes Beispiel, wie Georges Minois schreibt: Für Euhemeros seien die Götter bedeutende Menschen vergangener Zeiten gewesen, die nach ihrem Tod vergöttlicht wurden. Zeus sei einst ein weiser und wohltätiger Herrscher gewesen.

Diodoros, ein Vertreter dieses sogenannten Euhemerismus, fasst die Theorie wie folgt zusammen:

Die Götter haben auf der Erde gelebt, und wegen der Wohltaten, die sie den Menschen erwiesen haben, wurde ihnen die Ehre der Unsterblichkeit zuteil. Herakles, Dionysos, Aristaios sind Beispiele dafür. 7

Ende des 4. Jahrhunderts verschwinden die Prozesse wegen Gottlosigkeit und Atheismus. Die Stadtstaaten gehen zunächst im hellenistischen Reich auf, diesem folgt die Herrschaft des römischen Reiches. Aus der Vielfalt der damaligen Strömungen von Glauben, Aberglauben, Agnostizismus und Atheismus wollen wir zwei besonders hervorheben: den stoizistischen Materialismus zum einen und den moralischen Atheismus in Form des Epikureismus zum anderen.

Der Stoizismus knüpft insofern an die traditionelle griechische Religion an, als er den althergebrachten Monismus wiederherstellt und damit den platonischen Dualismus überwindet. Es wird eineWelt postuliert. Dabei handelt es sich um einen materialistischen Pantheismus ohne Götter. Die große Gottheit ist die weise und gütige Natur, von der der Mensch ein Teil ist. Außer dem erkennbaren Weltall besteht nichts. Es gibt keine Transzendenz. Man könnte den Stoizismus als Religiosität ohne Gott bezeichnen oder auch umgekehrt als religiösen Atheismus. So sieht es die französische Autorin Maria Daraki. Das gute Leben wird erreicht durch eine weitgehende Anpassung an die Natur. Selbstbeherrschung und Gelassenheit führen zur Weisheit. Daher die Redensart von der „stoischen Ruhe“. Der stoische Weise sieht sein Heil ganz und gar in der Hingabe an die Natur, wodurch er sich geradezu in einem göttlichen Zustand fühlt. Diese Einstellung entspricht überhaupt nicht mehr der traditionellen Anschauung von den Göttern. Bei den Christen wird der Stoizismus strikt abgelehnt werden, die Sakralisierung der Natur und damit quasi auch der Menschen ist ihnen ein Gräuel. Die Stoa wurde begründet von Zenonvon Kition (333 – 264 v. u. Z.). Sie hat viele Denker und Politiker fasziniert, wie z. B. den römischen Philosophen und zeitweisen Erzieher von Kaiser Nero, Seneca(1 – 65 n. u. Z.). Auch der römische Kaiser Marc Aurel(121 – 180 n. u. Z.) sei noch als Vertreter der Stoa erwähnt.

Ist es beim Stoizismus noch eine Frage, inwieweit er dem Atheismus zuzurechnen ist – vom traditionellen Götterglauben ist er jedenfalls denkbar weit entfernt – so ist der Epikureismus eine entschieden atheistische Strömung, wenn auch Epikur(ca. 341 – ca. 271 v. u. Z.) selbst noch an den Göttern festhält. Sie führen aber nur noch eine formale Existenz, denn diese Götter haben weder die Welt erschaffen noch greifen sie in das Leben der Menschen ein. Mit dem Tod der Menschen endet auch deren Seele, lehrt Epikur, von einer Bestrafung oder Belohnung in einem irgendwie beschaffenen Jenseits kann somit keine Rede sein. Der Ursprung des Epikureismus kann in einer Reaktion auf die Angst vor den Göttern gesehen werden, in Göttern, die das Leben der Menschen geradezu vergiften! Der Glaube an die Götter ist durchaus mit Ängsten verbunden, lassen sich die göttlichen Reaktionen doch nicht vorhersehen. Die Götter sind mit ihren willkürlichen Eingriffen in das Leben der Menschen, ja ihrer Rachsucht unberechenbar und keineswegs gerecht.

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