»Nimm und iß,« sagte er zu ihm; »ich werde dir
auch noch Wasser bringen.«
Als nun der Mann sich geruht hatte und sein Durst
und Hunger gestillt war, nahm er Abschied von dem
Affen.
Einige Stunden später traf er einen Löwen. Sein
Schreck war anfänglich groß, doch er konnte bald
sagen, daß der Löwe ihm kein Leid tun wollte; denn
er redete den Mann an und sprach:
»Woher kommst du, Sohn eines Menschen, und
wohin willst du?«
Er antwortete:
»Ich habe mich im Walde verirrt und kann meinen
Weg nicht finden.«
»Setze dich nieder,« sagte der Löwe, »und ruhe
dich aus, daß ich dir vergelten kann, was du an mir
getan hast; denn ich bin es, den du aus der Falle befreit
hast. Jetzt will ich dir helfen.«
Da ruhte der Mann sich aus, indessen der Löwe
fortging und Wild zur Speise seines Schützlings fing.
»Iß dies,« sagte er, als er zurückkam und zeigte
dem Mann eine Stelle im Walde, wo er Feuer machen
und das Fleisch rösten konnte. »Ich bin kein Mensch,
deshalb bin ich dankbar für empfangene Guttaten.«
Der Mann aß, und dann nahm er Abschied von dem
Löwen.
Wieder war er eine weite Strecke Weges gewandert,
da kam er auf eine große Plantage. Dort traf er
ein altes Weib, die sprach ihn an:
»Wir haben bei uns einen Mann, der krank ist und
den Tod fürchtet. Kannst du Medizin bereiten, so
komm mit zu ihm.«
Er antwortete:
»Ich kann es nicht!«
Auf der Plantage fand er einen tiefen Brunnen, und
da er sah, daß Wasser darin war, wollte er trinken, in
dem Augenblick aber, als er sich niederbückte, sah er
eine große Schlange in dem Brunnen, die rief:
»Du Sohn eines Menschen, warte auf mich.«
Die Schlange kam aus der Tiefe heraufgekrochen
und sagte zu dem Manne:
»Entsinnst du dich meiner? Ich bin es, die du aus
der Falle errettet hast. Damals sagte ich zu dir: Schütze
mich vor dem Regen, so will ich dich vor der
Sonne schützen! Meine Zeit ist gekommen; denn ich
kann dir meine Dankbarkeit beweisen. Du sollst einsehen,
daß du deine Wohltat nicht an einen Menschen
verschwendet hast. Bringe mir deine Tasche, daß ich
sie dir fülle mit Dingen, die dir von Nutzen sein werden.
«
Da gab der Mann ihr seine Tasche, und sie füllte
sie mit goldenen und silbernen Ketten. Als sie gefüllt
war, sprach die Schlange: »Nimm dies und sei freigiebig
damit.«
Dann wies sie ihm den Weg, den er einzuschlagen
hatte, um nach seinem Hause zu kommen. Als er nahe
dabei war, traf er den Mann, den er aus der Falle befreit
hatte. Der nahm ihm die Tasche ab und lud ihn
zu sich in sein Haus, und seine Frau bereitete Speise
für ihn. Während er davon aß, ging der Mann, dem er
das Leben gerettet hatte, zum Sultan und sprach:
»Ein Fremder ist bei mir eingekehrt, aber er ist keines
Menschen Sohn, sondern eine Schlange, und lebt
in einem Brunnen. Er hat Macht, sich Gestalt zu
geben, welche er will. Laß ihn festnehmen und nimm
seine Tasche von ihm; die ist gefüllt mit Ketten aus
Gold und aus Silber.«
Der Sultan tat, wie ihm geraten war. Er ließ den
Mann, der sich gegen Menschen und Tiere so freundlich
gezeigt hatte, festnehmen und seine Hände binden;
dann ließ er ihn in das Gefängnis werfen. Als er
so gebunden und seiner Freiheit beraubt in dem Kerker
saß, kam die große Schlange aus dem Brunnen
und bedrohte die Stadt. Da fürchteten sich die Menschen
und sagten zu dem Gefangenen:
»Sage der Schlange, sie soll uns verlassen!« Und
sie ließen ihn frei und nahmen die Fesseln von ihm.
Er ging zur Schlange und befahl ihr, fortzugehen. Die
sprach:
»Nun du frei bist, werde ich gehen. Versprich aber,
daß du mich rufst, sobald dir jemand ein Leid zufügen
will.«
Das versprach der Mann.
Fortan wurde er hochgehalten und geehrt im ganzen
Lande. Und man fragte ihn:
»Warum hat der, dessen Gast du warst, dir Übles
getan?«
Er erwiderte:
»Die Schlange, der Löwe und der Affe haben mich
gewarnt vor den Wohltaten, die ich einem Menschen
erweisen würde. Sie haben recht gehabt und die
Wahrheit gesprochen, wenn sie sagten, daß von allen
lebenden Wesen der Mensch das undankbarste ist.
Diesem Manne tat ich Gutes, und er hat es mir mit
Bösem gelohnt.«
Der Sultan, da er diese Worte erfuhr, befahl, daß
man den Mann, der sie gesprochen hatte, zu ihm
brächte. Und er befragte ihn um die Meinung dessen,
was er gesagt hatte. Als er nun erfuhr, wie sich alles
verhielt, wurde er sehr böse und sprach:
»Dieser Undankbare verdient, daß man ihn in eine
Schlafmatte lege und er ertränkt werde; denn er hat
Gutes mit Bösem belohnt.«1
Fußnoten
1 Eine Matte, deren sich die Suahelis und die Araber
an der Küste Ostafrikas bedienen, um darin zu schlafen,
heißt Tumba. Sie hat die Form eines Sackes, der
an einer Längsseite offen ist. Um sie während der
Nacht zu benutzen und vor Kälte und Insekten geschützt
zu sein, kriecht man vollständig in sie hinein,
wickelt sie fest um den Körper und liegt schließlich
auf der offenen Seite. Tumbas werden häufig als
Särge benutzt, indem man den Leichnam in sie
einnäht.
Der träge Mahomed.1
Ein Sansibarmärchen.
Eines Tages kam zu dem Sultan Harun al Raschid ein
junger Sklave, der sprach:
»Meine Herrin Zubede sendet dir durch mich ihre
Grüße und läßt dir sagen, sie habe eine Krone gefertigt,
zu der ihr noch ein Stein fehle. Sie fragt bei dir
an, ob du ihr den fehlenden geben kannst.«
Da suchte Harun al Raschid in seinen Schatzkammern;
aber wie sehr er auch suchte, es fand sich kein
Stein, der groß genug gewesen wäre.
Endlich sagte Harun zu dem Sklaven:
»Bringe mir die Krone, damit ich selber sehe, ob
ich das Gewünschte nicht herbeischaffen kann.«
Als die Krone gebracht wurde, sah er, daß sie aus
kostbaren Steinen gefertigt war. Er zeigte sie allen
Großen des Reiches und sprach zu ihnen:
»Sucht in euren Schätzen, bis ihr einen Stein findet,
der groß genug ist, um das Mittelstück dieser Krone
zu bilden.«
Sie taten, wie ihnen befohlen war; aber vergebens.
Da berief Harun al Raschid alle Kaufleute seines
Reiches, versprach ihnen viel Gold und Silber, konnte
aber auch von ihnen keinen Stein bekommen, der
groß genug gewesen wäre.
Fast verzweifelte er daran, je zu erlangen, was er so
eifrig suchte, als ein Mann zu ihm kam, der sprach:
»In der Nähe von Bagdad wirst du nicht finden,
was du suchst. Aber sende nach Bassara; dort lebt ein
Jüngling Namens Mohamed, mit Beinamen der Träge,
der kann dir einen Stein geben, welcher groß genug
ist, um die Mitte der Krone zu zieren.«
Da berief der Sultan seinen Vertrauten Mesruri
Sayafi. Zu dem sprach er:
»Nimm diesen Brief und reise nach Bassara; dort
gehe zu meinem Minister Mohamed Zabidi.«
Mesruri Sayafi machte sich alsbald auf den Weg
und nahm ein großes Gefolge mit sich. Sein Weg
führte ihn durch eine weite Wüste; als er die durch-
reist hatte, kam er nach Bassara. Da begab er sich sofort
in das Haus Mahomed Zabidis; dem gab er den
Brief, und er las ihn. Sobald er gelesen hatte, bat er
Mesruri Sayafi in sein Haus zu kommen und sein
Gast zu sein; er befahl, daß man ein großes Mahl bereite
und setzte sich mit ihm hin und aß.
Als das Mahl beendet war, sprach Mesruri Sayafi
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