ersichtlich ist, was durchaus nicht bei vielen Negermärchen
der Fall ist, wird für alle diejenigen, welche
englische Sagen kennen, eine große Ähnlichkeit mit
»The House that Jack built« an den Tag treten.
Der Hase, die Hyäne und der Löwe.
Märchen aus Mombassa.
Ein Hase1, ein Löwe und eine Hyäne hatten sich
einen Garten angelegt. Eines Tages berieten sie miteinander,
daß sie hingehen wollten, um zu sehen, wie
alles in dem Garten gediehen wäre; denn es war die
Jahreszeit, von der sie reiche Ernte erhofften. Da der
Weg, den sie zurückzulegen hatten, weit war, so
schlug der Hase vor, man solle unterwegs nicht stehen
bleiben, sondern rüstig vorwärts wandern.
»Wer stehen bleibt,« fügte er hinzu, »den sollen die
anderen auffressen.«
»Gut,« sagte der Löwe und die Hyäne, »wir stimmen
dir bei.«
So schritten sie voran und hatten bereits eine gute
Strecke hinter sich, als der Hase plötzlich stehen
blieb.
Da rief die Hyäne:
»Seht, seht! Der Hase bleibt stehen! Er hat sein
Leben verwirkt.«
»Ich denke nach!« sagte der Hase.
»Worüber?« fragten seine Kameraden.
»Ich denke nach über jene beiden Steine. Der eine
ist groß, der andere klein; warum wächst der kleine
nicht, daß er ebenso groß wird, wie sein Nachbar?«
»Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte
der Löwe, und die Hyäne stimmte bei.
Dann schritten sie weiter.
Wieder blieb der Hase stehen.
»Seht, seht,« sagte der Löwe, »der Hase ist stehen
geblieben! Er hat sein Leben verwirkt!«
»Ich denke nach,« sagte der Hase.
»Worüber?« fragten seine Kameraden.
»Wenn die Menschen sich neue Kleider antun, was
wird aus den alten?« sagte der Hase.
»Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte
die Hyäne, und der Löwe gab ihr recht.
Wieder gingen sie weiter.
Da blieb die Hyäne stehen.
»Sie ist stehen geblieben! Sie darf nicht weiterleben!
« rief der Hase.
»Ich denke nach!« sagte die Hyäne.
»Worüber?« fragten ihre Genossen.
»Über nichts!« antwortete sie.
Da fraßen der Löwe und der Hase die Hyäne auf.
Der Löwe und der Hase wanderten weiter. Da blieb
abermals der Hase stehen.
»Du mußt sterben!« sagte der Löwe.
»Ich denke nach!« entgegnete der Hase.
»Worüber?« fragte der Löwe.
Der Hase wies auf eine Felsenspalte und sagte:
»Siehst du jene Spalte? Unsere Vorfahren pflegten
dort ein- und auszugehen; denn das Innere des Felsens
ist eine geräumige Halle. Ich werde hineingehen, und
wenn ich wiederkomme, sage ich dir, ob es ratsam ist
für dich, und ob die Halle groß genug ist, daß du auch
hineingehen kannst.«
Der Hase ging hinein, und als er wiederkam,
sprach er zum Löwen: »Gehe du auch hinein.«
Da ging der Löwe; aber die Spalte war so eng, daß
er stecken blieb und weder vor- noch rückwärts gehen
konnte.
»Du bist stehen geblieben, Löwe!« rief der Hase.
»Du hast dein Leben verwirkt; aber ich schenke es
dir!«
Damit verließ er den Löwen und ging weiter bis zu
dem Garten, der ihm nun allein gehörte.
Fußnoten
1 Die Persönlichkeit des Fuchses ist in den Suahelimärchen
durch den Hasen vertreten, dem von den ostafrikanischen
Negern dieselben Attribute beigelegt
werden, wie im deutschen Märchen dem Fuchs. Der
Grund hierfür liegt in der Gewohnheit des Hasen, wie
seines Vetters, des Kaninchens, fortwährend die Lippen
zu bewegen. »Er weiß überall Bescheid und
möchte gern sprechen,« sagen die Eingeborenen. So
wie im Deutschen die Redensart »du Fuchs du« ihre
besondere Meinung hat, so braucht der Suahele die
Worte: »Ee Sungura wee, du Hase oder Kaninchen
du«. So erzählt eine Suaheligeschichte, deren Inhalt
mir teilweise entfallen ist, von der Schlauheit des Kaninchens
bei dem Bau eines tiefen Brunnens. Alle
Tiere beteiligten sich an der Arbeit, nur das Kaninchen
nicht. Als der Brunnen fertig war, paßten die
Tiere genau auf, daß das träge Kaninchen nun auch
kein Wasser daraus bekommen sollte. Das Kaninchen
aber wußte alle, außer der Spinne, zu hintergehen.
Tiere und Menschen.
Eine Suahelisage.
Es war einmal ein Mann, der für sich und die Seinen
die Tiere des Waldes und Feldes fing in Fallen, damit
sie Fleisch zu essen hatten. Er war sehr geschickt im
Erfinden neuer Fallen; daher konnte er täglich Fleisch
essen; denn sobald er eine Falle gestellt hatte, fing
sich ein Tier darin.
Eines Tages, als er wieder hinging, um zu sehen,
was sich in seiner Falle gefangen hatte, fand er einen
Affen darin. Er wollte ihn töten; aber der Affe sprach:
»Schone meiner, du Kind des Menschen; laß mir das
Leben. Rette du mich vor dem Regen, so kann ich
dich vielleicht vor der Sonne erretten.«
Da nahm der Mann ihn aus der Falle und ließ ihn
laufen. Ehe er aber in dem Dickicht der Bäume verschwand,
sprach der Affe zu dem, der ihm das Leben
geschenkt hatte:
»Höre meinen Rat! Tue keinem Menschen Gutes;
denn unter den Menschen gibt es keine Dankbarkeit.
Tust du einem heute Gutes, so erweist er dir morgen
Böses.«
Am folgenden Tage saß eine Schlange in der Falle.
Da wollte der Mann hinlaufen und seine Freunde
rufen, daß sie ihm helfen sollten, die Schlange zu
töten.
Sie rief ihn aber zurück und sprach:
»Komm zurück, du Kind der Menschen, rufe sie
nicht, die mich töten würden. Schenke mir heute das
Leben; du weißt nicht, welchen Dienst ich dir vielleicht
schon morgen erweisen kann. Nur Menschen
vergelten Gutes mit Bösem.«
Da ließ er ihr die Freiheit und das Leben.
Als der Mann am folgenden Tage zu seiner Falle
kam, war ein alter Löwe darin. Den wollte er töten.
Da sagte der Löwe:
»Errette mich vor der Sonne, so will ich dich vor
dem Regen schützen.« Der Mann gab ihm die Freiheit.
Ehe der Löwe fortlief, sagte er:
»Du hast mir Gutes erwiesen und sollst es nicht bereuen;
denn ich bin kein Mensch. Menschen sind nie
dankbar.«
Am anderen Tage war ein Mensch in die Falle geraten,
den befreite der Mann.
Kurze Zeit darauf brach im Lande eine Hungersnot
aus. Als der Mann, welcher so gut verstand, Fallen zu
stellen, sah, daß er und die Seinen bald arg würden
hungern müssen, sprach er zu seiner Mutter:
»Backe mir sieben Kuchen. Dann will ich fortgehen
und sehen, wo ich etwas Speise finden kann.
Vielleicht kann ich etwas Wild erlegen oder in der
Falle fangen; vielleicht finde ich Früchte.«
Sie tat, wie er gebeten hatte, und er ging fort. Im
Walde aber verirrte er sich, und es verging Tag um
Tag und Nacht um Nacht, ohne daß er seinen Weg
wiederfand. Von seinem Vorrat hatte der Mann schon
sechs Kuchen verzehrt, und nur einer war ihm noch
geblieben. Um ihn herum wurde der Wald immer dikker,
die Wildnis immer undurchdringlicher. Was sollte
daraus werden? Da begegnete ihm ein Affe.
»Wo gehst du hin, du Sohn der Menschen?« redete
der den Verirrten an.
»Ich kann meinen Weg nicht finden; ich weiß nicht
ein, noch aus!« antwortete der Mann.
»Ruhe dich hier aus,« sagte der Affe. »Jetzt will ich
dir das Gute lohnen, was du mir tatest; denn ich bin
es, den du aus der Falle ließest.«
Da ging der Affe in die Gärten und Plantagen der
Menschen und stahl reife Bananen und brachte sie
dem Manne.
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