Betont lässige Haltung, dachte Jan. Ich habe mit dem Tod meines Kunden absolut nichts zu tun , sollte sie wohl ausdrücken. „Ob der Ehrgeiz, den Mathias Bauer Ihrer Meinung nach entwickelt hatte, ungesund war. Diese Frage haben Sie mit ‚Wie man’s nimmt‘ beantwortet.“
Eismann drückte die Handflächen aneinander und stützte sein Kinn auf die Fingerkuppen. Er blickte Jan mit glitzernden Augen an.
„Die meisten sind froh, nur das tun zu müssen, was ich ihnen vorgebe. Mathias wollte sich abheben, immer ein bisschen besser sein. Solche Leute gibt es in jeder Gruppe. Er war auch der Einzige, der meine Anweisungen immer mit einem blöden Witz kommentierte. Wirklich blöde Witze waren das, er glaubte, dass er witzig war, aber er war nur blöde.“
Permanent blöde Witze? Hatte Mathias Bauer mit seinen Sprüchen seinen Trainer zur Weißglut bringen können? War Eismann irgendwann der Kragen geplatzt? War er Bauer gefolgt und hatte ihn den Hang hinuntergestoßen?
„Kein einfacher Mensch und sehr unruhig“, fuhr Eismann fort. „Aber ohne Geduld kann man keine Erfolge erzielen, und ich habe mir in den letzten Jahren einen guten Ruf erarbeitet. Die Rückfallquote meiner Schäfchen ist sehr gering, jedenfalls geringer als bei anderen Gruppen. Sogar die Weight Watchers haben schon bei mir reingeschaut.“
Er lachte laut. Zu laut, fand Jan.
„Mathias Bauer hat sich also nicht einfach Ihrem Kommando gebeugt. Was machen Sie, wenn der Respekt fehlt?“
„Mein Mathelehrer in der Oberstufe, wissen Sie, was der mit jedem Schüler mit schlechten Noten gemacht hat? Ihm vor allen Leuten gesagt, dass er zu doof sei für das Gymnasium. Dass er in die Wirtschaft gehen soll.“ Er beugte sich vor. „Ich habe viel von ihm gelernt. Nicht nur Mathe. Kompromisslose Härte, das ist mein Motto. Wenn er nicht einverstanden ist mit meinem Stil, kann er ja gehen, sagte ich ihm. Ich zwinge niemanden.“
Eismann drückte wieder die Handflächen aneinander und drehte sie. Jan hörte ein unanständiges Geräusch, wie ein lauter Furz. Seine Hände müssen schweißnass sein, dachte er. Fragt sich nur, warum.
„Wie oft findet dieses Training zum Abnehmen statt?“
„Jeden Tag von achtzehn bis zwanzig Uhr.“
„Und Sie können davon leben?“
„Ich mache nicht nur diese ‚Lass deine Pfunde purzeln‘-Kurse. Auch Cardio Fit, Rückengymnastik, sogar das gute alte Konditionstraining ist wieder beliebt. Selbst wenn die eine oder andere Gruppe sich auflöst, weil sie aus lauter Schlappschwänzen besteht, komme ich über die Runden.“
„Sie waren also nicht davon abhängig, Bauer als Kunden zu behalten?“, fragte Jan.
Eismann runzelte die Stirn.
„Gab es Streit?“
Eismann strich sich über das Gesicht, dann hob er beide Hände, als wolle er sich ergeben. „Sie werden es eh erfahren“, sagte er leise. „Ich habe Mathias rausgeschmissen. Ein blöder Witz zu viel. Er kam wieder. Ich forderte ihn auf zu gehen. Er sagte, ich solle den Ball flach halten. Ich drängte ihn aus der Tür. Er sagte, er habe bezahlt und würde einen Anwalt einschalten. Da der Kurs nur noch zwei Wochen dauerte, durfte er bleiben. Er war erstaunlich still. Kein Spruch kam mehr über seine Lippen.“
„Sie haben ihn gewinnen lassen?“
Eismann seufzte. „Wie gesagt: Er hatte bezahlt.“ Er blickte auf den Boden.
Also ja, dachte Jan. Und das hat dir gar nicht gefallen, nehme ich an. Er zog einen der Flyer heran, die wahllos auf dem Tisch verstreut lagen. Es war der gleiche, den sie bei Bauer in der Wohnung gefunden hatten, nur ohne Kritzeleien. Er wies auf die Kontaktdaten. „Sie sind selbständig?“
Eismann sah ihn wieder an und nickte.
„Eine schwierige Branche?“
„Jede Selbständigkeit birgt ihre Risiken.“
Jan lehnte sich zurück. „Mathias Bauer war mit Ihrem Stil nicht einverstanden, sagten Sie. Sie sind mit ihm aneinander gerasselt. Mal angenommen, er hätte sich rächen wollen. Hätte versucht, Ihren Ruf zu schädigen. Ihre Qualifikation anzuzweifeln.“
Eismann schwieg. Seine Miene war versteinert.
Jan frohlockte. Er hatte einen Nerv getroffen. „Hat er es versucht?“
Eismann nickte. „Im Internet. Da kursierten gewisse Gerüchte über mich.“ Seine Augen glitzerten. „Haltlose Gerüchte.“
„Was für Gerüchte?“
„Mathias hat behauptet, dass ich die Bilder gefälscht habe.“
„Welche Bilder?“
„Diese Vorher-Nachher-Bilder. Es sei Betrug. Ich würde mit einer Lüge ein Vermögen machen.“
„Ist da was dran?“
Eismann nahm seine Füße vom Stuhl und setzte sich auf. Sein Gesicht hatte sich gerötet, mit den Händen umklammerte er die Lehnen. „Natürlich nicht. Ich kann alles vorlegen. Die Operationen, die Krankenakte von meinem Arzt. Alles.“
Es sah aus, als warte er nur auf ein Kommando, um davon zu stürmen und die Unterlagen zu holen. Und das wirst du auch müssen, Iron Dirk. Aber Jan hatte auch Verständnis. Cybermobbing war zum Volkssport geworden. Die meisten Rufmörder waren jedoch zu feige, ihren eignen Namen zu benutzen.
„Er trat wirklich offen auf?“
„Natürlich nicht.“
„Aber Sie wissen, dass es Bauer war?“
„Wer sonst?“
„Wie haben Sie reagiert?“
„Ich habe die Beiträge gelöscht, ansonsten habe ich dazu geschwiegen. Wenn ich keine Selbstachtung mehr habe, kann ich einpacken.“
„Kein Streit darüber mit Mathias Bauer?“
„Kein Streit mit Mathias.“
„Wann haben Sie das Mobbing entdeckt?“
Eismann schwieg.
Kurz vor Bauers Tod, schätzte Jan. Alte Netzeinträge verschwanden nicht spurlos, nur weil man sie löschte. Im Cache einer Suchmaschine würde er sicher noch fündig werden.
„Ich weiß es nicht mehr so genau“, sagte Eismann. „Ist schon eine Weile her.“
Das werden wir herausfinden, dachte Jan. Und wenn der Abstand zwischen dem letzten Mobbingvorfall und dem Todesdatum von Bauer gering ist, werden wir uns wieder darüber unterhalten.
„Wann haben die neuen Kurse denn begonnen?“
„Anfang Oktober. Genauer gesagt, der Kurs, in den Mathias rein wollte, begann am 4. Oktober.“
„Sie haben sich nicht gewundert, dass er nicht erschienen ist?“
„Doch, er hat sich ja angemeldet. Hat für das ganze Halbjahr im Voraus bezahlt. Ich habe mich schon auf eine stressige Stunde vorbereitet. Ihm sagen zu müssen, dass das nichts wird mit uns beiden. Dass er seinen fetten Arsch aus meiner Halle bewegen soll.“ Eismann machte mit der rechten Hand eine winkende Bewegung. „Aber er kam nicht mehr.“
Zu deiner unsäglichen Freude, fügte Jan in Gedanken hinzu.
„Ich dachte, er hätte endlich aufgegeben“, sagte Eismann. „Dabei war er einfach tot.“
„Wussten Sie, dass Mathias Bauer zum Winterstein hochgehen wollte?“
Eismann kniff die Augen zusammen. „Er sprach davon. In der Gruppe.“
Jan schaute ihn nur an. Manchmal war Schweigen der effektivste Weg zur Information.
„Ich habe ihm davon abgeraten, den Weg alleine zu machen, aber er wollte ja nicht auf mich hören.“ Eismann stand auf.
„Was haben Sie am vergangenen Montag nachmittags gemacht?“
Eismann drehte sich abrupt um. „Wie meinen Sie das jetzt?“
„Sie haben ein starkes Motiv und sind in der Lage, einen Mann von Bauers Statur einen Hang hinunter zu stoßen.“
„Was ich aber nicht getan habe.“
„Sondern?“
Eine leichte Röte überzog Eismanns Gesicht, kleine Schweißperlen liefen ihm über die Stirn. Er wischte sie hastig mit dem Handrücken weg. Gleich lügt er, dachte Jan.
„Ich habe meine Kurse vorbereitet.“
„Kann das jemand bezeugen?“
Eismann zuckte mit den Schultern. „Es gibt sicher den einen oder anderen, der ...“ Er stoppte. „Vielleicht.“
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