Die Frage lautet: Wer hat hier das Kommando?
Die Antwort lautet: Niemand hat hier das Kommando,
entgegnet der Techniker und tritt durch die sich öffnende Tür auf Charing Cross, wo gerade der Bus wegfahren will; der Techniker nimmt die Beine in die Hand und, siehe da, erwischt ihn noch rechtzeitig. Während der Bus von Charing Cross über Latimer Road über Pudding Mill Lane über Mile End und Old Street nach Burnt Oak fährt, sinniert der Techniker, wie sinnlos das Frage-Antwort-Spiel aufgrund der ewig gleichen Losung doch eigentlich sei. Doch so seien halt Institutionen. Der Techniker schaut auf die Uhr und sieht, wie spät es ist: 15 Uhr 28! Das werde sehr knapp werden, wenn er den Bus nach Leonding noch erwischen wolle. Immer dieses Zeitgedränge! Bei Burnt Oak steht er schließlich an der Verbindungshaltestelle Spillheide, wo der 192er über den Schießplatz und das Zaubertal zu Turm 13 fährt. Eine Anhöhe, eine Straße und eine uralte Bushaltestelle, von der die Busse alle vierzig Minuten weg fahren, wobei sich das Zeitgefüge ständig verschiebt, einmal hat man den Bus gerade verpasst, obwohl man ihn hätte erwischen sollen, dann wartet man nicht vierzig Minuten, sondern eine unbegrenzte Verspätung noch dazu; wenn man in den Bus einsteigt, so nur um festzustellen, dass man den in die falsche Richtung genommen hat. Der Techniker ärgert sich, dass es ihm unmöglich ist, seinen Termin einzuhalten, weiß dabei aber, dass der Termin völlig unwichtig ist. Also offen gesagt, ich drehte mich da ganz einfach um und zog in die Spillheide. Da nicht weit weg ein ganzes Bündel von Zen-Mönchen beim Freiluftessen saß, dachte ich mir, geselle ich mich halt dazu.
Scheiß mit Reis!
Erdbeeren mit Scheiß!
Iiiiieeh! Erdbeeren!
Keine Erdbeeren, nur Scheiß!
Und was ist in diesen Gläsern da wohl?
Urinproben!
HA! Hahahahahahaha! lachten da alle bis auf die beiden Meister, Ming Li Foo hat das Zeug zum Klassenkasperl!
Solcherart war die Unterhaltung, dabei fraßen die Zen-Mönche wie die Schweine, rülpsten übertrieben und ließen alle Tischmanieren außer Acht, so wie Mao Tse Tung es ihnen beigebracht hatte. Ich fand das beschämend. Ihr Sucher des Dao, donnerte Meister Li da endlich , das Denken erstreckt sich in alle zehn Himmelsrichtungen, der Sinne habt ihr fünf, doch was nutzen sie euch, wenn ihr nicht versteht mit den Ohren zu sehen, den Augen zu hören? Möget ihr also wissen, dass das Dao nicht Ausdehnung noch Form hat, dass das Dao keine Lampe ist noch der Buchstabe E, sondern gleichzusetzen ist mit dem reinen Geist, doch was nutzen euch alle eure angelernten Kenntnisse, wenn ihr nicht versteht, die Leere zu ergreifen? Mösen konnte Leonardo nur groteske zeichnen, Rosetten aber sehr wohl. Wenn das Denken in den Kategorien von Selbst und Nicht-Selbst, Richtig und Falsch, Bejahung und Verneinung auch nur den zehntausendsten Teil ausmacht, wie sollt ihr lernen, was es heißt, zu empfangen? Transzendentes Wissen lässt solche Dichotomien hinter sich, Pimmel und Möse vereinigen sich zum Arsch. Meine Wohnung ist so klein, dass sie mir die Dusche ins Klo montiert haben. Als der Welt-Geehrte das der zehntausendköpfigen Menge dargetan hatte, war sie fassungslos, nur der ehrwürdige Kashyapa erwiderte die Geste des Welt-Geehrten mit einem Lächeln. Warum tat er das? Sprecht schnell, sprecht schnell! Zen-Meister Pi sprang auf den Tisch, hockte sich hin und versprühte eine ganze Menge von Scheiße, die die Mönche zuerst mit Entsetzen, dann unter belustigtem, eingeweihtem Lachen versuchten mit beiden Händen aufzufangen. Der Scheißestrom war nicht endenwollend, umso komischer fanden das die Mönche. Herrschaftzeiten, dachte ich mir, Zen-Mönch-Trottel, die sich an Paradoxien und an nonkonformistischem Verhalten ergötzen und denken, das wäre die Essenz des Ganzen! Angewidert machte ich mich fort und verließ schließlich bald die Spillheide, kam durch die Ebene der blauen Bäume, dann durch das Tal der roten Sträucher und den Berg der depperten Edelweiß, zählte die Sterne entlang der Milchstraße und wanderte schließlich unter dem Kreuz des Südens. In der Gegend der suspendierten Animation lief vom Horizont her ein Löwe auf mich zu. Das machte mir eine gewisse Angst, doch als mich der Löwe erreicht hatte, drehte sich nur ein paar Mal um mich und hob dann an um zu sprechen:
Meine Lage, meine Erde. Nicht geboren. Verfaultes Obst, in der Neunten, Ach, oh. Die Schwere der Zeit, unnütz für immer. Wäre ich doch eine Spur meiner Ausscheidungen: Ausdrucksformen, Kompositionsprinzip. Ich lasse sie hinter mir liegen in der ab der Fünften Sinfonie. Erde, wo alles schießt, doch in der endlosen Modulation. Besiegend, eine Geschichte über sich selbst. Zu erzählen, es aufzuspüren, endlos zu modulieren und einzufangen, es zu machen, wie diese selbst und dann vervollkommnet, schließlich zersetzt. Besser ist`s. Zur Erde wie eine Spur, keine Gebundenheit. Sobald etwas meinem Gehirn entfleucht, dann fallen sie. Unter sich ihre Schwere, kein Prinzip nach dem wonach alles in mir strebt, das ist es. Ach doch, Mahlers Wörter warten plötzlich schon in der Luft, die Kuben von konventionellen Ausdrucksformen ziehe ich so hinter mir. Und sich wie die werden zu sein sich also auch. Ist frei, wird frei, immer für als das der wo es gibt die lässt, verlässt.
Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir würden ihn nicht verstehen, philosophierte Wittgenstein einst, erinnerte ich mich. Da traf den Löwen ein Pfeil und er verschwand. Amazonen-Lilli, auch Lilli F-65 genannt, stand hinter mir auf einer Anhöhe, den Bogen locker um sich geschwungen, sie grenzte sich majestätisch gegen das Abendrot ab.
Ach, oh wäre ich doch in der Lage, meine Wörter, meine Ausdrucksformen endlos zu modulieren, nach dem Kompositionsprinzip Mahlers ab der Fünften Sinfonie und dann vervollkommnet in der Neunten, kein Prinzip als das der endlosen Modulation, wo es keine Gebundenheit gibt, wo alles schießt, die Erde verlässt, ihre Schwere unter sich lässt, frei ist, frei wird, für immer, also auch die Schwere der Zeit besiegend: Das ist es, wonach alles in mir strebt, doch ach, sobald etwas meinem Gehirn entfleucht, sich eine Geschichte über sich selbst zu erzählen, warten plötzlich schon die Kuben in der Luft, es aufzuspüren und einzufangen, es zu machen, wie diese selbst. Dann fallen sie zur Erde wie verfaultes Obst, unnütz für immer. Ich lasse sie hinter mir liegen, und so ziehe ich eine Spur von konventionellen Ausdrucksformen hinter mir, wie eine Spur meiner Ausscheidungen, die schließlich zersetzt werden. Besser ist`s nicht geboren zu sein, war Amazonen-Lilli so lässig mir zu übersetzen.
Yorick, nichts fällt dem Menschen so schwer wie angestrengtes Nachdenken! Hier in dieser Gegend, die einst blühend war, haben sie den asiatischen Marienkäfer eingeführt, unter der Überlegung, dass der gegenüber den eingesessenen Arten ein Vielfaches an Blattläusen vertilgt. Der asiatische Marienkäfer jedoch hat alles vertilgt, nur die Löwen sind übrig geblieben, die ihre eigenen Jungen fressen, um überleben zu können, hier in dieser Gegend, die jetzt eine Einöde ist. Solche Fehler begeht der Mensch immer wieder. Die Kosten für die Bekämpfung neu eingeführter Arten in bestehende Ökosysteme und für die Begradigung der Flurschäden belaufen sich weltweit jährlich auf über fünfhundert Milliarden Dollar. Zwei Fehler des menschlichen Denkens möchte ich dir heute herausheben und zum Nachdenken aufgeben: Das Beharren auf ursprünglichen Hypothesen und die Pfadabhängigkeit des Denkens von seinen eigenen Regelmäßigkeiten und Mustern . Und allgemein, wie ich immer wieder daran erinnere, die Unterschätzung von Komplexität .
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