Kreithmeier wickelte sich sein Handtuch um die Hüfte und stolzierte mit eingezogenem Bauch Richtung Saunenbereich. Er blickte von seinem Platz in die große Halle. Vor ihm breitete sich der Champagnerpool mit Bar, Sprudelliegen und Jacuzzi aus. Die Bar war schon reichlich besetzt. Obwohl am heutigen Tag der inoffizielle Treff der Tätowierten Szene sein sollte, schien es für ihn nicht viel anders zu sein wie am Dienstag als er das erste Mal, mit seiner Kollegin Melanie Schütz, das Sauna-Paradies betreten hatte. Sicher, es waren seiner Meinung wesentlich jüngere Gäste da, und er konnte wesentlich mehr Tattoos entdecken.
Die meisten Männer hatten sich Schultern, Bizeps und Waden stechen lassen. Keltische Symbole, Totenköpfe, Indianer und Wikinger beherrschten hier das Bild. Auf den Frauenkörper prangten dagegen Sterne in allen möglichen Größen, japanische Schriftzeichen, Blumen und Schmetterlinge. Die schönsten Tätowierungen waren seiner Meinung farbige Drachen, die sich auf dem weiblichen Körper um die Hüfte herum vom Bauch direkt auf den Rücken schlängelten. Piercings konnte er dagegen keine entdecken. Martin Wildgruber muss so etwas gesagt haben wie, dass seit kurzem Intimschmuck in der Therme wegen der Hygiene nicht mehr erwünscht sei. Die Metallteilchen konnte man ja entfernen, bei einer Tätowierung war das nicht mehr möglich.
Unter anderem konnte er auch einige Frauen mit einem Arschgeweih sehen, so wurden die geschwungenen, verzweigten Fantasie-Ornamente genannt, die sich hauptsächlich Frauen auf dem Rücken oberhalb des Hinterns stechen ließen. Doch eine schwarze Lilie konnte er auf keinem der weiblichen Rücken entdecken.
Kreithmeier ließ das Badetuch an einem Metallständer zurück und glitt langsam ins warme Wasser des Pools. Es war obwohl lauwarm doch recht erfrischend. Er legte sich aufs Wasser und ließ sich treiben. In den seitlichen Vital- und Massageliegen tummelten sich junge Paare im sprudelnden Wasser. Sie schmusten und küssten sich und Kreithmeier wollte gar nicht wissen, was sie sonst noch alles taten. In der Hausordnung der Anlage hieß es, der Austausch von Zärtlichkeiten sei auf ein Minimum zu reduzieren; in den Badeanlagen – Saunakabinen, Dampfbädern, Whirlpools, Thermalwasserbecken und Liegebereichen – sei dies ganz zu unterlassen. Intime Handlungen würden mit Hausverbot und Strafanzeige geahndet. Kreithmeier schmunzelte und ließ sich ins Freie treiben.
Der junge Wildgruber hatte ihm bei seinem ersten Gespräch mitgeteilt, dass an solchen Tagen wie heute, die Angestellten mehr damit zu tun hatten, junge Pärchen auseinander zu bringen, als sich um die Sicherheit der Anlage zu kümmern.
Im Wasser planschen auf Kosten des Steuerzahlers, das war doch mal was, dachte er, als er sich in den Strudel gleiten ließ, eine Art Wasser-Karussell, das ihn durch einen Strömungskanal in einem weiten Oval um ein Dutzend Massageliegen gleiten ließ. Auch hier amüsierten sich junge Pärchen. Und ihre Hände waren nicht immer züchtig über der Wasseroberfläche zusehen. Die jungen tätowierten weiblichen Körper, die an ihm vorbei glitten oder in einer der Liegestätten lagen, hatten etwas Erotisches, etwas Prickelndes, etwas Sinnliches an sich. Es war das erste Mal für ihn, dass er sich mit Tattoos, ihrer Symbolik und den vielen unterschiedlichen Motiven geistig auseinander setzte. Bisher waren Tätowierungen für ihn nur Zeichen gelangweilter Knackis gewesen, die sich im Gefängnis von ihren Mitinsassen stechen ließen. Auf der Polizeischule hatte er das erste Mal von der Bedeutung der einzelnen Zeichen gehört.
Drei Punkte meistens in einem Dreieck zwischen Daumen und Zeigefinger tätowiert, bedeuteten einerseits, dass der Träger in Haft war, andererseits ein Symbol für die drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Das bedeutete, der Tätowierte ist ein Häftling, der keine Aussagen macht und seine Mitgefangenen nicht verrät. Dann gab es noch sogenannte Knasttränen: eine tränenförmige Tätowierung unter einem Auge. Die Träne stand für eine bestimmte Zeit in Haft. Alle zehn Jahre würde eine weitere Träne dazu kommen. Und schließlich noch das Spinnennetz, ein an offen sichtbarer Stelle tätowiertes, meist sehr einfach gestaltetes Spinnennetz. Es bedeutete, dass der Träger in Haft war.
Zusätzlich zu den Knast-Tattoos hatte er noch von den Tätowierungen innerhalb des organisierten Verbrechens gehört, aber leider noch keine zu Gesicht bekommen. Mitglieder der russischen Mafia ließen sich Sterne auf die Knie tätowieren, das heißt so viel, wie gehen vor niemandem auf die Knie. Die japanischen Yakuza ließen ihren kompletten Körper mit Drachen, Geishas und Phönixen bemalen.
Aus einer anfänglichen Verzierung für Asoziale und Kriminelle war mittlerweile eine neue Modeerscheinung geworden. Und die Technik war weit fortgeschritten. Kreithmeier konnte einige mehrfarbige Tattoos bewundern, wenn die Haut eines Saunagastes für kurze Zeit außerhalb des Wassers zu sehen war. Trotz aller Bewunderung für die individuellen Muster und Symbole – keines war doppelt – konnte er keine Lilie entdecken, sei es in Schwarz oder Weiß. Die geheimnisvolle Frau war anscheinend nicht da. Es wäre auch zu schön gewesen, dachte er.
Gut, mit der Zeichnung nach den Angaben Martin Wildgrubers könnte man eine Ringfahndung einleiten. Nur aus welchem Grund? Nur unter dem spekulativen Verdacht, dass sie möglicherweise etwas mit dem Tod des Schriftstellers zu tun hätte. Alles sehr wage. Und wo war der Zusammenhang?
Kreithmeier ließ sich aus dem Strudel heraus treiben und kämpfte sich zurück ins Halleninnere. Ein kurzer Blick hoch auf den Paradise-Point: Wildgruber stand an der Rezeption und überblickte konzentriert den Saunenbereich. Als er Kreithmeier im Wasser erblickte, winkte er ihm zu und schüttelte dabei nur kurz den Kopf.
Es wäre ja auch zu schön gewesen, diese Frau heute hier anzutreffen. Verdeckte Ermittlung in einem Sauna-Paradies. Wer war nur auf diese Idee gekommen? Rainer Zeidler genoss sicher diesen außergewöhnlichen Ausflug. Wellness und Entspannung während der Dienstzeit. Vielleicht sollte er es auch genießen und nicht so verbissen durchs Wasser pflügen?
Er stieg aus dem Wasser, wickelte sich wieder sein Handtuch um die Hüfte und schritt durch eine Glastür zu den Calla-Kaskaden, überdimensionale Blütenkelche der Calla-Blumen, aus denen pro Sekunde 300 Liter frisches Wasser zu Boden fallen sollten. Einige junge Frauen ließen das kühle Nass über ihre Körper gleiten, nur war leider keine von ihnen schwarzhaarig und hatte eine dunkle Lilie auf dem Rücken.
Auf dem Weg zur Alhambra kam er an der Wolpertinger Stube vorbei. Eine Sauna eingerichtet wie eine bayerische Zirbelstube: Holz, Kaminofen und voll – aber nur mit Männern. Es fand gerade ein Weißbieraufguss statt. In der Stube saßen etwa dreißig nackte Männer dicht nebeneinander auf Holzbänken und prosteten sich mit Erdinger Weißbier zu. Und unter den Weißbierfans entdeckte Kreithmeier einen bekannten Gast mit langen graubraunen Haaren: Rainer Zeidler. Er starrte durch das kleine Fenster in der Tür.
»Der Mistkerl«, fluchte er leise vor sich hin. Eine reine Männersauna war sicher kein potentielles Versteck für eine junge Frau. Und der Zeidler amüsierte sich köstlich. Der nahm den Job nicht für Ernst, ärgerte sich Kreithmeier, als Zeidler gutgelaunt den anderen Gästen mit einem Weißbierglas in der Hand zuprostete.
Nach ein paar Minuten, nachdem die Gäste in der Wolpertinger Stube ihr Bier leer getrunken hatten, öffnete sich die Tür und sie strömten schweißgebadet nach draußen. Kreithmeier passte Rainer Zeidler ab.
»So nimmt sich der Herr Zeidler also der verdeckten Ermittlung an. Eine reine Männersauna. Da wird unsere Gesuchte nicht dabei sein, oder?«
»Alois, ja wo kommst du denn her?«
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