Axel Birkmann
Blutiges Freibier
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Inhaltsverzeichnis
Titel Axel Birkmann Blutiges Freibier Dieses ebook wurde erstellt bei
Dirndl und Lederhose
Der Tote im Bierlager
Die Villa in Attenkirchen
Lukas Wirth
Olga Bogdanow
Familie Sandholzner
Peter Stöckl
Die Mitarbeiter
Der Bierberg
Der Diebstahl
Gefährliches Bier
Das Testament
Amigoaffären
Das Labyrinth im Wald
Die gute alte Überwachung
Hausdurchsuchung
Lob und Anerkennung, Zweifel und Beweise
Unter der Hand
Verhöre
Ein schönes Wochenende
Schurigs großer Auftritt
??????
Einsatz in der Schanzer Stadt
Lieferantenpoker
Epilog
Nachwort und Quellenverzeichnis
Impressum neobooks
Dolce Vita, dachte er. Dolce Vita!
Warum tat er sich das bloß an? Warum hatte er sich überhaupt darauf eingelassen? Wo er doch Ansammlungen von Menschen in solchen Größenanordnungen hasste. Warum nur?
Alois Kreithmeier stand in seinem Schlafzimmer vor seinem Kleiderschrank und betrachtete sich im Spiegel. Missmutig schaute er an sich herunter. Was er sah, begeisterte ihn nicht im Geringsten. Für ihn war das alles Kasperltheater oder dummer Mummenschanz. Fasching. Fasnet. Karneval. Oder wie auch immer. Er fühlte sich in seiner Haut nicht wohl. Sollten doch die Preußen so etwas anziehen. Die brauchten es, um nicht aufzufallen. Obwohl, wenn sie dann den Mund aufmachten und etwas sagten.
Er blickte in den Spiegel und sah sich genauestens an. Er erblickte sein Spiegelbild, das Spiegelbild eines Mannes in der Blüte seines Lebens. Er hatte ein paar Kilogramm abgenommen, dank der Überredungskünste seiner Kollegin Melanie Schütz. Und das stand ihm gut. Sein Bierbauch war verschwunden. Er musterte diesen Mann im Spiegel, der in kurzer Lederhose, graugrünen Wollwadenwärmern, so genannten Loiferl, schwarzen Haferlschuhen, einem rotweiß karierten Trachtenhemd und einem grauen Janker in seinem Schlafzimmer stand, ziemlich griesgrämig drein schaute, vor allem, weil ihm seine Kollegin, die zudem auch noch aus Thüringen kam, ihn ohne die richtige Verkleidung nicht mit aufs alljährliche Freisinger Volksfest mitnehmen würde. Denn sie würde, so hatte sie ihn mit Engelszungen überredet, oder besser gesagt, weich gekocht, ja sie würde auch in Tracht, in einem feschen Dirndl erscheinen. Und sie beide sollten doch zusammen passen. Ein Paar abgeben. Wenn man sie denn zusammen sehen würde. Wer auch immer das sein sollte.
»Melanie, meine fesche Kollegin, eine Preußin aus Thüringen, in einem Dirndl?«, knurrte Kreithmeier sein Spiegelbild an. Auch wenn er noch so verärgert und mürrisch drein schaute, er fand, er sah gut aus in seinem Gewand. Die paar Kilogramm weniger standen ihm. Und seine Wadeln waren zum herzeigen. Und auf die Freisinger Wiesn passte er in diesem Staat besser als in einem seiner blauen Adler- oder K+L-Ruppert-Anzüge, geschweige denn schwarzer Lederjacke mit Jeans. Aber es ging ihm ganz einfach ums Prinzip.
Da fast jeder mittlerweile, ob deutscher, japanischer, neuseeländischer oder italienischer Preuße sich für das Oktoberfest in irgendeine billige Tracht warf, musste er als gebürtiger Oberpfälzer diesen Verkleidungswahnsinn nicht mitmachen und schon gar nicht unterstützen. Doch er hatte keine echte Chance gegen Melanie. Ihre Drohung, dass sie, falls er nicht in Tracht mit ihr auf die Freisinger Wiesn gehe, ihn nie wieder ein Wort privater Natur mit ihr sprechen ließ, hatte ihn motiviert und schließlich widerwillig überzeugt, in den untersten Fächern seines Kleiderschranks nach den entsprechenden Kleidungsstücken zu suchen.
Und er wurde fündig. Und er war überrascht, wie alles noch passte. Vor allem seine Krachlederne aus echtem Hirsch.
Jetzt war es sowieso rum, Melanie würde bald klingeln, ein Zurück gab es nicht mehr. Und dann würde sie mit ihm Arm in Arm auf die Luitpoldanlage schlendern, zum Gespött aller Leute und mit 6.000 verrückten Fans Dolce Vita im Festzelt anhören: »Bier, Hendl, Brezn und die Krüge hoch. Oans, Zwoa, Gsuffa.«
Wie er das hasste.
Seine Gefühlsregungen wurden mit dem lauten Schellen der Hausglocke gestört. Es klingelte an der Wohnungstür. Melanie, durchzuckte es ihn. War es denn schon so spät?
Ein letzter Blick in den Spiegel, dann drehte er auf dem Absatz um, eilte zur Tür und öffnete. Ihm blieb die Begrüßung im Hals stecken. Vor ihm stand eine bildhübsche Frau mit langen blonden Haaren, die in alter Tradition zu einem Kranz hochgesteckt waren. Die junge Frau selbst steckte in einem hellblauen, klassischen Dirndl, mit weißer Schürze und Bluse und lächelte ihn verlegen an. Sie sah einfach hinreißend aus. Wie sie ihn so ansah und sein Outfit musterte, hatte er fast seine Schmähtiraden von vorhin über Trachten und Verkleidung vergessen. Melanie sah zum Anknabbern aus. Sie beugte sich vor, gab ihm einen zaghaften Kuss auf die Wange und sagte: »Können wir, Kreiti? Es wird sicher voll heute.«
Kreithmeier fand seine Stimme wieder und murmelte nur ein knappes Ja. Dann zog er hinter sich die Türe zu, Melanie hängte sich an ihm ein und sie schlugen zu Fuß den Weg in die Isarauen ein, eigentlich direkt zur Luitpoldanlage, zum Festplatz, auf dem anlässlich des diesjährigen Freisinger Volksfestes das Bierzelt, die Fahrgeschäfte und die diversen Wurf-, Schieß- und Fressbuden aufgebaut waren.
Es war Dienstag, der 11. September 2012. Und wie jedes Jahr am Dienstag während des Volksfestes würde heute im Festzelt die Stimmungsband Dolce Vita auftreten, die seit 1984 immer noch in der gleichen Besetzung die Bierzelte von Freising bis nach Straubing zum Kochen brachte. Sogar in Wernigerode im Harz traten sie auf. Und genau zu diesem Spektakel hatte Melanie ihn überredet, sie zu begleiten.
Mit ihrem Freund Richard Kramer, der emsigen Laborratte, wie Alois ihn immer genannt hatte, war seit kurzem Schluss, und so musste Alois wohl oder übel dran glauben. Dolce Vita.
Sie schlenderten über den Damm Richtung Festplatz. Es war warm, die Sonne schien: Kaiserwetter. Sie waren früh dran, das Konzert würde erst um halb Acht beginnen, aber man sollte früh genug vorher dort sein, denn sonst bekam man keinen Platz. Jedes Jahr feierten fast 6.000 Volksfestbesucher den Auftritt der Showband. Und Melanie wollte sie auf keinen Fall versäumen.
Sie hatte sich bei ihrem Kommissar an seiner rechten Seite untergehakt und genoss die warme Septembersonne auf ihren nackten Schultern. Sie war hart im Nehmen und hatte für den Abend keine Stola mitgenommen. Zur Not konnte Alois ihr ja seinen Trachtenjanker über die Schulter legen. Sie riss sich von ihm los, tänzelte mit ihren flachen Schuhen ein paar Meter vor ihm her, drehte sich im Gehen um und sagte: »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass du umwerfend gut aussiehst? Vor allem für Jemanden, der so ein Geschiss ums Anziehen macht wie du.«
Sie warf ihm eine Kusshand zu.
Kreithmeier schüttelte verlegen den Kopf und stammelte nur ein kurzes »Nein«.
»Ja, du siehst richtig geil aus, zum Verlieben. Knackige Wadeln, breite Schultern, keinen Bauch, beim Friseur warst du auch noch, frisch rasiert, geil, einfach geil.«
Kreithmeier sagte nichts. Diese Worte aus dem Mund seiner Kollegin zu hören waren wie der Lobgesang der Sirenen. Und das dies gerade von ihr kommen musste, von einer Frau, die ihn immer wieder gefoppt hatte, mit seinem Übergewicht, seinem nervigen Rauchen und seinen üblen Essgewohnheiten. Obwohl eine Frau aus den neuen Bundesländern sicher nicht die nötige Kompetenz aufweisen konnte, einen waschechten Bayern in Lederhose und Trachtengewand richtig zu beurteilen. Aber es tat ihm gut.
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