»Stopp Rainer, du musst sie mir jetzt nicht hier nackt vor machen, es reicht. Ich weiß es. Du kannst es.«
»Meine fünf Tibeter sind spezielle Übungen aus dem Yoga, die eine ganzheitliche Wirkung haben. Die Übungen sind sanft genug, dass sie in jeder Alters- und Leistungsstufe durchgeführt werden können. Selbst du könntest sie machen. Und das würde dir sicher nicht schaden: Aktivierung deines Körpers, Verbesserung der Durchblutung, Kräftigung deiner Rumpfmuskulatur, Dehnung bestimmter Muskelgruppen und vor allem auch die Verbesserung deiner Verdauung. Bei dem Mist, den du immer so isst.«
»Super. Klingt richtig toll.«
»Verarsch mich nicht. Es steckt eine sehr interessante Philosophie dahinter: Alles was sich schnell dreht ist stabil. Dreht es sich zu schnell, dann ist es nicht mehr zu kontrollieren bzw. zu steuern. Dreht es sich zu langsam, wird alles instabil. Dreht es sich nicht mehr, fällt es um.“
»Jetzt dreht es sich mir gleich. Zurück zu deinen Tattoos. Was bedeuten die Blumenkränze auf deiner Hüfte?«, fragte er.
Rainer drehte sich um die Achse. »Das sind indische Juwelen.«
»Und was bedeutet das? Etwas Religiöses?«
»Wohl Eher Glück und Wohlstand.«
»Und dieses Schriftzeichen auf deiner Wade?«
»Das heißt Om mani padme hum , das ist der Juwelen-Lotus. Ein Mantra.«
»Ich verstehe gar nichts. Bist du Buddhist oder Hindu, weil du dich so gut mit diesen Sachen auskennst.«
»Nein, das eher nicht. Mich interessieren die Kultur und vor allem die Weisheiten, die dahinterstecken. Om mani padme hum heißt wörtlich übersetzt letztendlich gar nichts, es ist nicht wichtig, was es bedeutet, sondern nur wie es klingt. Ein Mantra ist ein Lied, eine Hymne oder auch nur ein Vers, der beim Yoga gesummt oder gesungen wird. Die einzelnen Töne zwingen dich zu bestimmten Atemübungen, die dann deinen Körper schwingen lassen.«
»Puuh, was du alles so weißt. Und das Tattoo auf deinem Oberarm?«
»Im Yoga ist das Rezitieren von Mantren während der Meditation sowie im Gebet üblich«, klärte ihn Rainer auf. »Und die Tätowierung auf meinem Oberarm ist ein Elefant. Ganesha . Gemäß einer hinduistischen Legende hat Ganesha einen menschlichen Körper und einen Elefantenkopf. Jedes seiner Körperteile symbolisiert ein spirituelles Prinzip. Unter anderem sollen Ganeshas große Ohren und sein Kopf für Weisheit stehen, die durch sravana – das Hören – und manana – das Denken – erworben wurde. Ein Elefantenkopf auf einem menschlichen Körper soll höchste Weisheit repräsentieren. Warum interessierst du dich eigentlich für meine Tattoos? Möchtest du dich auch mal stechen lassen?«
»Ohhhh, ich weiß noch nicht. In meinem Alter? Dafür ist es zu spät. Und es tut auch richtig weh.«
»Es geht. Ich habe mir mein erstes Tattoo erst mit Vierzig stechen lassen. Und dann kam alle zwei Jahre eins dazu. Die kleinen gehen, wenn man vom Preis und von den Schmerzen ausgeht.«
»Dragon Lady?«
»Wie bitte?«
»Du hast sie alle vom Sven in der Dragon Lady stechen lassen?«
»Ja, woher weiß du das?«
»Der Typ hat was angedeutet.«
»Der Mann ist wirklich gut, den kann ich dir nur empfehlen, wenn du dir auch mal etwas tätowieren lassen willst.«
»So weit bin ich noch nicht. Ich habe nur deine Tattoos bewundert und vor allem nicht gewusst, dass du so was hast.«
»Gut. Lassen wir das einstweilen. Wie gehen wir jetzt weiter vor?«, wechselte Rainer Zeidler das Thema. »Wir sind ja nicht zum Spaß in der Therme. Hast du einen Plan?«
»Wir sollten unsere Sachen hier bei den beiden Liegen lassen, und immer wieder unauffällig durch den Saunabereich laufen und nach der Schwarzhaarigen mit dem Lilien-Tattoo Ausschau halten«, schlug Alois vor.
»Und was sollen wir dann machen, wenn wir sie entdeckt haben? Verhaften kann ich sie ja nicht, nur mit einem Lendenschurz bekleidet.«
»Natürlich nicht. Wer sie entdeckt hat, darf sie nicht mehr aus den Augen lassen, muss an ihr dran bleiben. Ich habe mein Handy dabei. Zur Not müssen wir uns per Mobilfunk verständigen.«
»Das ist dumm. Ich kann es doch nicht mitnehmen, schon gar nicht ins Wasser oder in eine Sauna. Ich bin doch dann nackt«, bemerkte Rainer.
»Du hast Recht Rainer. Außerdem sollen Handys im Saunatrakt verboten sein. Dann müssen wir Kontakt über den Martin Wildgruber aufbauen, der ist am Information Point am China Imbiss. Wie auch immer, der, der sie entdeckt, darf sie nicht aus den Augen verlieren, muss sie sogar eventuell nach draußen verfolgen. Und da haben wir dann wieder die Möglichkeit zu telefonieren.«
»Und wie machen wir es mit dem Auto. Soll ich sie zur Not mit einem Taxi verfolgen?«
»Nein, das wäre zu auffällig.« Kreithmeier überlegte. »Nein das wohl nicht. Ich gebe dir meinen Zweitschlüssel für den BMW. Wer die Dame zuerst gefunden, bleibt an ihr dran, sogar, wenn er seinen Partner nicht mehr benachrichtigen kann. Ich habe sonst keine andere Idee. Du vielleicht?«
»Nein. Aber so kann es gehen. Ich denke, wenn wir sie gefunden haben, wird sie nicht sofort die Sauna verlassen. Was ist mit dem Wildgruber? Sucht der mit?«
»Ja. Aber er hat auch Dienst. Er muss immer wieder zwischendurch einen Aufguss durchführen.«
»Hoffentlich nicht einen erneuten Aufguss des Todes.«
»Rainer!«, ermahnte Kreithmeier seinen Kollegen.
»Entschuldige. Schon gut.«
»Wir sollten den Bereich in zwei Sektionen aufteilen.«
»Das ist eine gute Idee«, bestätigte Rainer. »Du observierst alles vom Canale Grande bis zum Eingang plus Keltenthron. Und ich kümmere mich hier um den Neubau. Quasi von der Bar bis zur Rosensauna. Und den Schwimmbadbereich.«
»Was ist mit dem Rutschenbereich Galaxy und dem Thermenparadies?«, fragte Alois.
»Ich denke, da wird sie sich nicht sehen lassen«, sagte Rainer.
»Da hast du denke ich Recht. So wie mir der Wildgruber erzählt hat, wollen die Tätowierten sich wie auf einer Tattoo-Messe betrachten und bestaunen lassen. In den anderen Bereichen ist Textilzwang und sie sind voll mit Kindern und Jugendlichen.«
»Das glaube ich auch«, bestätigte Rainer seinem Kollegen. »Der Catwalk findet hier drinnen statt. Also gut, packen wir es an. Ich werde auf jeden Fall immer wieder mal zwischendurch die eine oder andere Sauna besuchen und einen Aufguss über mich ergehen lassen.«
»Dann sei aber vorsichtig«, mahnte Alois, »lass dich nicht von fremden Frauen anquatschen und lass niemand an deinen Rücken.«
»Werde ich mir merken. Also bis später.«
Rainer Zeidler schulterte sein Handtuch und schlürfte in seinen Badeschlappen davon. Nackt wie Gott ihn geschaffen hatte, mit einer Handvoll Tattoos auf der Haut, und seinen langen Haaren, die er jetzt wie eine Frau offen trug und die ihm das Aussehen des ewig jung gebliebenen Hippies gaben, einem Relikt aus der Flower-Power-Bewegung.
Der Letzte, der Woodstock live erlebt hatte.
Kreithmeier schmunzelte. Erstaunlich, was in diesem Mann so alles steckte. Im Dienst der beflissene Beamte der Spurensicherung, genau und exakt, einen leichten makabren Humor, immer etwas zynisch und provozierend. Und jetzt dieser Sonnenanbeter, der eigentlich in einer falschen Zeit und an einem falschen Ort lebte.
Rainer würde seiner Meinung eher nach Kalifornien passen, eher zu einer Hippie Kommune, mit dem Motto Make Love Not War ; und nicht in die Domstadt Freising, katholisch und erzkonservativ. Aber irgendwie mochte er ihn. Er war ein Individuum und auf ihn war Verlass, das hatte er schon oft bewiesen. Und er war ein wenig selbstverliebt. Deswegen auch die langen Haare, diese außergewöhnlichen Tattoos, diesen alten VW Käfer und wahrscheinlich hörte er zu Hause auch noch den guten alten California Sound. Grateful Dead und Jefferson Airplane. Egal. Jetzt war er hier. Und sie waren hinter ihrem einzigen Anhaltspunkt her, der sie auf die Spur des Mörders in der Therme führen könnte, wenn die Theorie Dr. Wahlmeiers richtig war.
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