Erst später wurde es zum Brandmal von Ehebrecherinnen, Verrätern und Sträflingen, die damit als „Unberührbare“ gekennzeichnet und teilweise deportiert wurden. Somit findet sich dieses Zeichen in den damaligen französischen Kolonien wieder und eroberte den amerikanischen Kontinent, wie zum Beispiel in New Orleans.
Auch in der Neuzeit fordert das Zeichen der Schwertlilie Hochachtung ein und steht für Edles und Adeliges. Es symbolisiert Perfektion, Reinheit und Leben. Die römisch-katholische Kirche adaptierte dieses Symbol daher für die Jungfrau Maria und aufgrund ihrer dreiblättrigen Basis für die Dreieinigkeit. In zahlreichen Kirchen findet sich daher dieses Symbol wieder.
Das Militär der Vereinigten Staaten verwendete es schließlich, um Macht und Stärke zu demonstrieren, denn es erinnert in seiner Form an eine Speerspitze.
Die Lilie soll sogar das Symbol einer Geheimorganisation gewesen sein, der berühmte Persönlichkeiten wie Da Vinci, Isaac Newton und Victor Hugo angehörten. So muss sie ihren Weg in die heutige Esoterik gefunden haben.
Mittlerweile ist die so genannte Ritter– oder Bourbonenlilie auch in der Gothic-Szene nicht mehr weg zu denken. Gerade bei den Vampiranhängern symbolisiert sie immer noch Herrschaft und Macht, Eigenschaften, die ohne Zweifel diesen Kreaturen zugeschrieben werden. Sie sind genauso unsterblich wie diese Lilie, tragen wie sie gute und schlechte Eigenschaften in sich und überdauern die Jahrhunderte wie sie – unbeschadet.«
»Vampire, so ein Schmarrn. Steht auch etwas über eine weiße Lilie darin?«
»Ja, hier. Die weiße Lilie steht nicht nur für Schönheit und Reinheit, sondern auch für den Tod. Sie gilt als Blume der Lilith. Das war die erste Frau Adams. Viele Mythen und Legenden ranken sich nicht nur im christlichen Glauben um diese faszinierende Blume. So heißt es, sie blüht besonders auf den Gräbern unglücklich Liebender oder unschuldig Hingerichteter, hier symbolisiert sie die Entsagung. Und sie soll als „Blume der Maria“ auch gegen Hexerei und schwarze Magie wirken, wenn man sie vor dem Haus pflanzt.«
»Danke für diese vielen Informationen. Warum lässt sich nun eine junge Frau eine schwarze Lilie auf den Hintern stechen und eine andere eine weiße?«
»Aha, Herr Kommissar, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Sie suchen nach zwei Frauen mit diesen Blumen als Tattoo?«
»Ja. Und ich frage mich erstens, wer hat diese Arbeit getan und zweitens warum gerade diese Symbolik. Was bedeutet sie?«
»Muss sie denn etwas bedeuten?«
»Ich habe bei der Polizei auch erst lernen müssen, dass nichts dem Zufall überlassen ist und das alles einen Sinn hat und ergibt. Also warum zwei solche eigenartige Blumen auf dem Gesäß zweier hübscher junger Frauen?«
»Hübsch sind sie auch noch. Wir kommen der Sache näher.«
»Wie sind denn Ihre Kontakte zu anderen Tattoo Studios?«
»Sehr gut. Wir sehen uns immer wieder mal auf einer Erotikmesse oder auf der Tattoo Convention in München.«
»Könnten Sie für mich ein wenig rumhorchen, ob einer ihrer Kollegen diese Tattoos kennt oder sie sogar eigenhändig gestochen hat.«
»Herr Kommissar, ich soll für dich den Spitzel spielen?«
»Nur etwas rumhorchen, das können Sie besser als ich.«
»Sie sind mir einer, Herr Kommissar. Ich mache es, ich finde das für dich raus, unter einer Bedingung ...«
»Und die wäre?«
»Du lässt dich von mir stechen, ein kleines Tattoo, ganz nach deinem Wunsch, einen Kriminalkommissar hatte ich noch nie unter der Nadel.«
»Niemals. Das tut ja weh. Und ich bin kein Knacki oder Asozialer.«
»Jetzt mal halb lang. Tattoos sind längst gesellschaftsfähig. Selbst die First Lady, Frau Wulff hat eins. Ein Schlüsselloch, aus dem Flammen auflodern, ziert ihren rechten Oberarm.«
»Sie war die First Lady.«
»Wie bitte?«
»Bundespräsident Christian Wulff ist zurück getreten.«
»Auch egal. Dann die Ex First Lady. Also abgemacht. Du darfst den Platz und das Symbol aussuchen. Das Tätowieren mache ich.«
Sven schaute ihn herausfordernd an und hielt ihm die offene Hand hin. Kreithmeier zierte sich noch etwas, doch dann schlug er ein und wiederholte den Deal noch einmal: »Platz und Symbol suche ich aus. Und Sie erkundigen sich nach der Lilie. Und sagen Sie bitte nicht, dass Sie für die Polizei Fragen stellen.«
»Sehe ich aus wie ein Volltrottel? Natürlich nicht. Ich nehme dich beim Wort, Herr Kommissar. Wo treffen wir uns?«
»Ich komme. Keine Angst, ich komme schon.«
»Wer soll denn Angst haben, ich vielleicht?«
Kreithmeier kehrte mit seinen vorläufigen Informationen zurück ins Revier. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude stand ein Audi A 5. Das musste der Wagen des toten Markus Backhaus sein. Und ganz in schwarz. Passend, dachte Kreithmeier. Eine andere Farbe wie schwarz gab es nicht mehr. Schwarze Lilie. Schwarze Haare. Schwarzer Wagen. Schwarzes Ledersofa. Schwarzer Bucheinband. Schwarze Lippen. Schwarze Augen. In der Welt von Black Beth, der schwarzen Elisabeth, regierte die Farbe SCHWARZ. Dabei war Weiß gerade eben erst zur neuen Trendfarbe kreiert geworden.
Melanie und Rainer erwarteten ihn bereits. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Spiegelreflex Digitalkamera mit Objektiv, ein Fernglas und rechts daneben ein Notizbuch. Es mussten die Sachen aus dem Wagen sein, dachte Kreithmeier, der sie beim Reinkommen auf dem Tisch liegend entdeckt hatte
»Schön, dass du pünktlich bist«, begrüßte ihn Melanie überfreundlich. »Wir wollten gerade anfangen. Die Ausbeute aus dem Wagen von Backhaus ist eher mager: ein Fotoapparat mit Objektiv, ein Feldstecher und ein Notizbuch. Aber berichte lieber du, Rainer. Schließlich habt ihr die Sachen ja gefunden.«
»Das gibt es nicht viel zu erzählen. Die Fingerabdrücke sind nur vom Opfer. Der Wagen wurde nicht gewaltsam geöffnet. Es kann höchstens jemand mit dem Schlüssel des Toten gemacht haben und den Schlüssel wieder zu seinen Sachen gelegt haben.«
»Wo wurden die Autoschlüssel gefunden?«, fragte Kreithmeier.
»In seinem Spind.«
»Und der Schlüssel zum Spind?«
»Lag unter dem Handtuch auf der Liege.«
»Er hatte ihn also nicht am Handgelenk?«
»Nein! Auf der Liege.«
»Danke, Erzähl bitte weiter!«
»Im Fahrzeug fanden wir diese Nikon Digitalkamera mit einem sehr lichtstarken Objektiv. Das kostet ein paar Tausend Euro.«
»Ein paar Tausend?«, fragte Kreithmeier ungläubig.
»Ja. Ich schätze so 6 bis 7000 Euro. Das hat eine extrem hohe Lichtstärke von 1:2. Damit kannst du nachts Aufnahmen ohne Blitzlicht machen. Das ist erste Sahne. Ein 200 mm Objektiv mit Festbrennweite. Der Traum eines jeden Hobbyfotografen ...«
»Mit großem Geldbeutel.«
»Klar! So etwas hat seinen Preis. Dann ein Nachtfernglas, was normalerweise nur von Jägern benutzt wird. Auch nicht ganz billig. Marke Steiner. Und ein Notizbuch 2012. Keine Eintragungen. Es wurden Seiten herausgerissen.«
»Und sein Mobiltelefon, wo ist das?«
»Nichts!«
»Nichts, nichts, nichts! Ich kann das Wort bald nicht mehr hören«, fauchte Alois.
»Was ist auf den Bildern in der Kamera?«, fragte er.
Rainer Zeidler nahm die Nikon in die Hand. »Ni..«, er stockte, überlegte und fuhr fort, »Leider keine Speicherkarte.«
»Du wolltest schon wieder nichts sagen. Scheiße. Das heißt wirklich, wir wissen nichts. Wir wissen nicht, was der gute Mann fotografiert hat, was er mit seinem Feldstecher beobachtet hat und welche Termine er in der letzten Zeit hatte?«
Zeidler schaute betroffen auf den Boden und sagte nichts. In den Händen hielt er immer noch die schwere Kamera, die er verlegen hin und her schwenkte.
»Richtig? Wir haben nichts?«, wiederholte Kreithmeier seine Frage.
»Da bin ich doch nicht dran schuld.«
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