Tante Heidi und Bürgermeister Marther starren erst Holm-Rüdiger Andersen, dann mich an.
»Sehen Sie, Frau Sarge-Albenbrecht?« sagt Bürgermeister Marther, ohne den Blick von mir zu wenden. Er nickt ganz langsam. »Er ist eben doch genau der Richtige.«
Mir ist ein bisschen schwindelig.
Wenn ich das Maike erzähle...
Dienstag: Der Ruf des Nestes
Gierig leere ich eine 1,5-Liter-Flache Volvic mit nur dreimal Ansetzen bis es in mir schwappt und prallt. Das Stacheln in meinem Kopf lässt ein wenig nach. Holm-Rüdiger Andersens Deodorant geistert noch schwach golden durch den Raum. Verdammt, ich kenn den Duft, aber ich komm einfach nicht drauf! Riecht auf jeden Fall nach Gewinner. Nach Tempo. Ich dämmere vor mich hin, wippte sachte im Drehstuhl, um mich die beruhigende Anonymität und nackte Zweckmäßigkeit von Klamms Büro. Abwaschbar beige und grau, praktisch, unpersönlich. Nicht ein Foto, keine Pflanze, noch nicht einmal die Schreibtischunterlage ist bekritzelt, nichts. Auch gut, muss ich wenigstens keine Sentimentalitäten wegräumen. Kann so bleiben.
Nachdem Tante Heidi und Bürgermeister Marther gegangen waren, um bei Meredith für Samstagabend das Lokal zu buchen, wischte und tippte Holm-Rüdiger Andersen mit diesen langen biegsamen Fingern auf seinem iPad herum und bat mich, sich sämtliche Dienstpläne aller Mitarbeiter der letzten Jahre von Klamms, nein, meinem Laptop darauf ziehen zu dürfen, damit er sich am Abend in seiner Pension schon einmal einen ersten Überblick über die bisherige Personalplanung verschaffen könne. Nach einigem Gefummel und dem üblichen Kompatibilitätsscheiß klappte das sogar, woraufhin er sich verabschiedete, schließlich müsse ich ja Gelegenheit bekommen, wie er meinte, mich in Ruhe zu akklimatisieren. Dann kündigte er sich zu meinem Entsetzen voller Eifer für morgen sechs Uhr zum Beginn der Frühschicht an, was natürlich bedeutet, dass ich auch da sein werde, obwohl ich eigentlich eher eine Mittelschicht für meinen ersten offiziellen Arbeitstag als Betriebsleiter eingeplant hatte, und verschwand, wie ein rauschend heißer Windstoß.
Ich klicke mich dumpf durch die Dateien auf dem Laptop, kann mich jedoch nicht konzentrieren. Meine Gedanken sind sandig mürbe vor lauter Evolution und langsam abebbendem Wodkaschmerz und gleichzeitig bin ich fahrig wie ein panisches Insekt. Fühlt sich eigentlich gar nicht schlecht an. Sollte ich vielleicht tatsächlich der Richtige sein, wie Bürgermeister Marther behauptet? Könnte dies wirklich der Moment sein, an dem ich meine Aufgabe finde? Ist das hier jetzt mein Ding, oder was? Warum nicht? Was der alte Klamm konnte krieg ich locker hin und wenn alles glatt läuft mit der Übernahme durch Holm-Rüdiger Andersens komische Firma da und ich mich bis dahin nicht zu doof anstelle, dann könnte doch noch richtig was draus werden aus dieser Geschichte.
Aus einem Impuls narzisstischen Enthusiasmus heraus, rufe ich das Email-Programm auf, richte mir unter Abgleich der Daten auf meinem iPhone mit einiger Mühe und Zeitaufwand mein Dienstkonto auf dem Laptop ein und schreibe an den Mann:
Alles gesund? Wie schön. Hier auch. Das Unglaubliche ist geschehen. Karriere. Wenn man die unverhoffte Beförderung auf den Posten als Chef vom Forstbad Schweigen so bezeichnen möchte. Wer hätte das gedacht? Ich nicht.
Gruß,
Felix
Ich prüfe noch einmal, ob Laptop und Smartphone auch den Postausgang synchronisieren, fahre dann den Computer herunter, überlege kurz, ob ich noch einmal zu Caruso in die Sauna gehe, dem Halunken, oder vielleicht ein paar Bahnen schwimmen soll. Schwimmen klingt gut. Schwimmen hilft. Hart schwimmen. Qual beruhigt. Ich rolle mich im Drehstuhl vom Schreibtisch zurück und packe meine Sachen zusammen. Doch der Ruf des Nestes zerrt an mir. An meiner Eitelkeit. Ich sehe auf die nüchterne Wanduhr. Gleich zwanzig nach fünf. Müsste passen. Ich greife zum iPhone und versuche Maike zu erreichen, lande jedoch in ihrer Mailbox.
»Ahoi, Käpt'n, hier ist Flex! Wollte dir nur kurz Bericht erstatten. Heute war nämlich so eine ad hoc Personalversammlung und meine offizielle Ernennung zum... ach, egal jetzt, kann ich dir ja am Wochenende zu Hause erzählen. Ähm, ja, pass schön auf dich auf in der großen Stadt, Käpt'n. Ich freu mich schon darauf, dich wiederzusehen. Hab dich lieb.«
Flex, du Charmeur! Wahrscheinlich sollte ich doch mal an meinem Stil arbeiten, damit ich nicht immer klinge wie ein stotternd verliebter Pubertist auf der Konfirmandenfreizeit.. Ich zögere kurz, dann wähle ich Maikes Festnetznummer in Bremen. Vielleicht lädt sie ja gerade ihr Handy auf und kann deswegen nicht drangehen.
»Hallo? Wer is'n da?«
Ach du Scheiße, der Künstler. Christian, Christoph, oder so ähnlich. Und, so wie es sich anhört, wieder zugekifft bis in die letzte Synapse.
»Äh, hi, Christoph, hier ist Flex.«
»Christoph? Wer is'n Christoph? Hier ist Bendedikt.«
Ach, genau. Benedikt! Wusste doch, dass es irgendwas Heiliges war.
»Ja, Mensch, Benedikt! Moin, hier ist Flex!«
»Hmmm?«
Ich werfe die Badelatschen ungeduldig von mir und lege meine Füße auf den Schreibtisch neben das Laptop. Nicht schlecht. Kann man so machen.
»Flex«, erkläre ich geduldig. »Hier ist Flex. Felix. Der Freund von Maike.«
»Ach Felix, du bist das!« ruft Benedikt vollkommen überrascht. »Wart mal kurz. Bleib dran!«
Ich höre ihn durch die Wohnung trampeln. Es räumt, hustet und rasselt für eine stattliche Minute im Hintergrund, mehrere männliche Stimmen röhren und lachen durcheinander, dann ist Benedikt wieder da.
»Hallo? Felix? Sorry, ich komm grad rein. Hab mit ein paar Kumpels meinen ganzen Kram aus dem Atelier hier rüber geschafft. Bin da ja rausgeflogen, Scheiße. Muss ich erstmal hier im Wintergarten was machen bis ich was Neues finde, wo ich in Ruhe arbeiten kann.«
»Oh, das tut mir leid. Hör mal ist...«
»Felix, der Glückliche.«
»Äh, wie bitte?«
»Dein Name. Heißt doch so, oder nicht? Der Glückliche.« Benedikt kichert heiser. »Aber, ach nee, warte mal, du hast doch da diesen komischen Spitznamen den Maike so bescheuert findet. Wie war der noch? Phönix?«
»Flex«, murmele ich und frage mich zum tausendsten Mal, wie Maike und ihre Mitbewohnerin Katja (Maja? Vaja?) es bloß mit diesem Knallkopp aushalten.
»Flex!« ruft Benedikt begeistert. »So war das! Flex! Cool. Cool. Cooler Name, Alter. Klingt so richtig geschmeidig. Biegsam. Wie heißt das noch... elastisch? Alter, glücklich und geschmeidig zugleich, das ist doch wohl geil.«
»Ja, danke. Sag mal ist Maike auch da? Ich hab versucht, sie auf ihrem...«
»Von wo rufst du denn an?« fragt Benedikt. »Aus'm Kindergarten?« Er kriegt einen hechelnden Lachanfall.
»Benedikt, hey, hallo, Benedikt!« werde ich lauter. »Gib mir doch mal bitte Maike, wenn sie da ist.«
»Da schon wieder!«
Ich atme zweimal tief durch. »Was denn?« frage ich verzweifelt.
»Kinder. Immer wenn du was sagst, hör ich im Hintergrund 'ne Kinderstimme. Hast du Kinder, Phönix? Da hat Maike gar nichts von erzählt.«
»Nee, hab ich auch nicht«, antworte ich leise. Kinderstimmen? Was hat der bloß geraucht? Ich denke kurz an die letzte Nacht mit Caruso im Freibad. Ist hier Woche der minderjährigen Halluzinationen oder was?
»Ist sie jetzt da oder nicht?«
»Das fragen Vaja und ich uns mittlerweile auch jeden Tag«, grunzt Benedikt. Vaja! Richtig!
»Wie meinst du denn das, Benedikt?« Ich nehme die Füße vom Tisch und setzte mich aufrecht hin.
»Boah, Phönix, sag doch mal diesem Gör da bei dir es soll nicht immer dazwischen quatschen! Man kann dich ja kaum verstehen.«
Im Bremer Hintergrund scheppert es, mehrere Stimmen brüllen durcheinander und Benedikt schreit irgendeinen Tom an, gefälligst mit der Skulptur aufzupassen.
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