»Sehr schön!« Fast sieht es aus als wolle Bürgermeister Marther in die Hände klatschen. Dann richtet er seinen makellosen Krawattenknoten, blickt erneut auf die Uhr und wendet sich von Tante Heidi zu Holm-Rüdiger Andersen zu mir und schiebt seine leere Kaffeetasse Richtung Tischmitte. »Ja, das wäre soweit das, vielen herzlichen Dank zusammen und trotz allem frohes Schaffen noch. Dann können wir ja eigentlich eben noch mal kurz ins Büro gehen, Herr Freiwaldt.«
»Hmmm«, bärt es hinter mir ins scharrende Stühlerücken und Caruso bläst einen warmen Wind durch den Raum, über meinen Nacken, mein Haar, verrührt den schwülen Geruchsorkus mit seinem Tabakatem und lässt alle innehalten und langsam wie an Schanieren in ihre Sitze zurücksacken.
»Ja, Herr Balthasar?« gibt sich Bürgermeister Marther nahezu überzeugend interessiert. Er mustert kurz Carusos Namensschild, auf dem natürlich, entgegen aller Vorschriften, sein Spitzname steht, hübsch ordentlich in Gemeinde Schweigen Typographie gesetzt, wie es sich gehört. Caruso – Saunameister . Keine Ahnung, wie viele Abmahnungen er schon deswegen kassiert hat aber jedes Mal, wenn er ein neues, korrektes Schild von der Verwaltung erhält, schmeißt er es in den Müll und ersetzt es durch seine ihm so wichtige Eigenkreation. Und was soll's denn auch? Alle nennen ihn schließlich nur Caruso. Die Badegäste, Tante Heidi, seine Mutter, ja, sogar Maike. Ich weiß noch, einmal hat Meredith ihn in einem strengen Moment bei seinem vollen Namen getadelt. »Carsten Balthasar, hör gefälligst auf, in der Sauna zu furzen!« oder so was in der Art. Der Ärmste taumelte tagelang durch die Gegend wie ein klaffend wund geschlagenes Nashorn.
Bürgermeister Marther zerklüftet die Stirn und hebt sein Kinn in Carusos Richtung, der sich von hinten über mich beugt, sich mit einer Hand malmend auf meine Schulter stützt, über den Tisch in die Schale langt und eine Familienportion Schlüters Eiskonfekt herausbaggert. Alle wenden sich ihm zu. Ich winde mich auf meinem Platz so gut es geht herum und hole mir fast ein blaues Auge an Saskias Knie, das in mein Gesicht winkelt. Caruso wickelt mit buddhistischer Gelassenheit ein Stück Konfekt aus, kaut es von links nach rechts und knüllt nachdenklich die Aluminiumpelle zusammen.
»Entschuldigen Sie bitte, Bürgermeister Marther«, sagt er höflich, mit einem Unterton, der mich ein wenig nervös macht. »Ist es in Ordnung, wenn man noch ein paar Fragen stellt? Bei so viel unverhofften Neuerungen?«
Hektisch stummes Kopfrucken zwischen Bürgermeister Marther und Tante Heidi. Holm-Rüdiger Andersen lächelt einladend.
»Äh, ja, aber ja, natürlich, Herr Balthasar!« Bürgermeister Marther kriegt etwas dezent donnriges um die Augen. »Was liegt Ihnen denn auf dem Herzen?«
»Na ja«, sagt Caruso und lutscht das nächste Stück Konfekt. »Erstmal finde ich es doch einigermaßen befremdlich, dass eine solche Maßnahme wie diese... Situationsanalyse?«
Bürgermeister Marther, Tante Heidi und Holm-Rüdiger Andersen nicken um die Wette.
»...diese Situationsanalyse so von heute auf morgen durchgeführt wird. Zumindest wirkt das auf mich so, da offensichtlich keiner hier im Bad vorher davon informiert wurde. Es sei denn natürlich Herr Klamm wusste Bescheid. Dann hat er allerdings sein Wissen nicht mit seinem Team geteilt, aber das nur am Rande.«
»Nein, nein, nein, Herr Balthasar! Ich kann Ihnen versichern, dass wir, wie ich ja bereits erwähnte, das Ganze selbstverständlich schon länger planen. So was schüttelt man ja nicht mal eben aus dem Ärmel, also, so was Komplexes.«
»Und Hans-Herrmann wusste auch noch nichts davon«, säbelt Tante Heidi brillenfaltend dazwischen.
Caruso nimmt diese unfreiwillige Anfeuerung nur zu gern auf. Bürgermeister Marther knetet seinen Nasenrücken, die Augen verkniffenen schwarze Spalten in seinem bleichen, runden Gesicht. Natürlich wusste der alte Klamm nichts davon. So läuft die Kommunikation in der Gemeindeverwaltung Schweigen nun mal. Tatsachenorientiert, irreversibel und im vollsten Vertrauen auf die telepathischen Fähigkeiten derer die es betrifft oder, im günstigsten Fall, deren Fügsamkeit. Alles normal.
»Gut, gut«, nickt Caruso mit Gönnermiene und wickelt ein weiteres Stück Konfekt aus. »Dann frage ich mich noch, unter welchen Vorzeichen diese Situationsanalyse überhaupt durchgeführt wird. Ich bin ja nur ein einfacher Knecht, aber ich stelle mir vor, dass so ein Projekt nicht nur unheimlich komplex und anspruchsvoll ist..«, Holm-Rüdiger Andersen legt geschmeichelt den Kopf schief. Caruso prostet ihm verspielt mit der Schokolade zu und kaut meditativ bevor er fortfährt: »...also nicht nur komplex ist, sondern auch noch einigermaßen kostspielig. Nichts für ungut, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Andersen, beziehungsweise sein Arbeitgeber, ehrenamtlich für die Gemeinde Schweigen tätig wird.«
Das Team schnarcht ein kollektives verächtliches Grunzen. Bürgermeister Marther und Tante Heidi öffnen und schließen abwechselnd Münder und Augen sagen jedoch nichts. Holm-Rüdiger Andersen rückt ein wenig an den Tisch heran und sieht Caruso fasziniert forschend in Gesicht.
»Und da frage ich mich wiederum, ohne dass ich jetzt die betreffende Summe kenne, geht mich ja auch nichts an, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Unternehmensberatung ganz schön stattliche Sätze aufruft. Ich hatte da mal flüchtigen Einblick, damals in Berlin. Da hatten wir für ein paar Wochen zu, glaub ich, ganz ähnlichen Zwecken einen Unternehmensberater im Haus und der hat sich laut meinem Chef, Entschuldigung, den Arsch vergolden lassen.«
Bürgermeister Marther fuchtelt ungeduldig durchs Gelächter.
»Herr Balthasar, ich weiß ehrlich gesagt im Moment nicht, worauf sie eigentlich hinauswollen und was das alles überhaupt zur Sache tut.«
»Och, ich frage mich einfach nur, wie die Gemeinde Schweigen die Kosten dieser... Beratung wieder einspielen will. Aber vor allem frage ich mich, inwiefern das Ergebnis, wie auch immer das aussehen mag, Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse hier im Forstbad haben wird. Oder vielmehr auf die Existenz des Bades an sich. Angesichts der Gerüchte, die in Schweigen so kursieren.«
Das Gemurmel wird zur Brandung die Bürgermeister Marther um Ruhe bittend mit biblisch weiten Handkantenschlägen zu teilen versucht, wie Moses einst das Rote Meer oder wie die Geschichte ging.
»Welche Gerüchte meinen Sie denn bitte, Herr Balthasar?« Der Kerbenrahmen um sein Kinn nimmt schärfere Konturen an.
Mein Herz wird zu warmem Sirup, läuft mir in den Bauch, kriecht meine Kehle hinauf, pulst und pocht durch meinen ganzen Körper, in meinen Ohren, reißender Schrecken. Caruso sieht von einem zum nächsten, saugt die Luft aus dem Raum, schnauft sie in einem heißen Hieb zurück unter die Decke, wendet sich dann mir zu und drückt mir todernst ein faustgeschmolzenes Stück Konfekt in die Hand. Ich fühle mich gesegnet und auf irrational erregende Art verdammt. Das Forstbad kreischt und rauscht durchs Fenster.
»Na ja, es ist so, dass ich aus, wie heißt das noch immer in der Presse? Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen davon gehört habe, dass die Gemeinde vorhat, das Forstbad in naher Zukunft zu schließen. Wenn das stimmt, was soll dann eine solche Situationsanalyse? Oder sollte ich sagen, Insolvenzvorbereitung? Denn so sieht das Ganze für mich aus!«
Der daraufhin auftosende Stimmensturm wirft Bürgermeister Marther und Tante Heidi in ihren Plätzen zurück. Ein wildes Kochen erfasst den Raum und schließt alle ein, versiegelt die Versammlung in Raserei, entkoppelt sie vom Außen. Vor dem Fenster gerinnt die Sonne, die Zeit. Sommergestalten waten durch zähe Sekunden. Die Buchen und Kiefern hinter dem Sprungbecken verharren in ihrem gezeitenhaften Wogen und rahmen die Silhouette eines Springers, der träge vom Fünfmeterturm sickert. Was, wenn die Welt um uns niederstürzte und nur wir in unserem stickigen, zu kleinen Personalraum übrig blieben wie eine Insel in gleichgültiger Leere? Wer würde zuerst wahnsinnig werden? Wer würde wen verschlingen? Ich ducke mich unter der um mich tobenden Hysterie und versuche, zu atmen.
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