»Sorry, da bin ich wieder«, nuschelt er. »Ja, also, wie gesagt, wir haben uns auch schon gewundert, wofür Maike eigentlich noch ihren Mietanteil ablatzt wo sie ja seit ein paar Wochen oder so kaum noch hier ist. Also, vor allem nachts jetzt, so wie ich das mitkriege.«
»Wie bitte? Was soll das denn heißen? Nachts? Wo ist sie denn?«
Benedikt prustet schwer geplagt.
»Das geht mich doch nichts an, Mann! Privatsphäre und so. Muss man respektieren.«
Das hat doch alles keinen Sinn mit dem Typen. Am Besten, ich versuche später noch einmal, Maike zu erreichen.
»Äh, ja wenn du sie heute noch sehen solltest, bestell ihr mal einen schönen Gruß von mir und sag ihr doch bitte, dass ich angerufen habe. Ich probier's sonst auch einfach noch mal auf dem Handy.«
»Wann bist du denn mal wieder in Bremen, Phönix? Du wolltest mir doch mal beibringen, wie man richtig krault.«
»Klar, kriegen wir hin, Benedikt«, wimmele ich ihn ab. »Aber jetzt muss ich dringend los, sorry, mach's gut.«
Das wird ja immer seltsamer. Wo bist du, Maike? Und vor allem, wo bist du nachts? Ich drehe mich langsam im Stuhl um die eigene Achse. War das bloß dusseliges Gerede von diesem Wirrkopf Benedikt oder verheimlicht Maike mir etwas? Ist doch alles gut zwischen uns. Alles wie immer, oder? Außer, dass wir uns seltener als sonst gesehen haben in der letzten Zeit, weil sie so oft Wochenenddienst in der Wohngruppe hat. Aber das kommt ihr ja auch zugute in ihrer Ausbildung. Das Furzgeräusch meines iPhones reißt mich aus meinem Gedankengenage. Eine Email. Vom Mann. Immer noch Frühaufsteher, selbst in den Tropen.
Wenn ich deine kryptische Botschaft richtig deute, darf man wohl gratulieren. Sollte dies allerdings bedeuten, dass du entgegen all meiner (zugegeben äußert schmalen) Hoffnung in diesem Job hängen bleibst, spare ich mir die Glückwünsche lieber bis zu einem ausführlichen, klärenden Gespräch zum stets spannenden Thema deines Lebensentwurfes. Morgen Abend 23.00 Uhr Skype. Deine Zeit, wohlgemerkt! Nicht wieder verwechseln, wie letztes Mal!
Und danke der herzlichen Nachfrage, mein Sohn. Es geht mir in der Tat gut.
Keine Floskel zum Abschied, noch nicht einmal eines dieser blöden Kürzel. Nur die Signatur darunter:
Alexander Freiwaldt
Head of PR and Communication
Tyler & Tyler Creative Solutions
Singapore
So ist er, der Mann. Und fast fühle ich mich wieder wie damals, als ich mit einem Aufsatz nach Hause kam, der meiner Lehrerin eine glatte Eins wert war, an dem ihm jedoch die naive Erzählperspektive und die zu wenig stringente Tonalität nicht gefiel. Die Frau lebte da, glaube ich, schon gar nicht mehr.
Mein Bart juckt. Ich habe in meinem Leben noch keinen Bart gehabt. Schon gar nicht so ein übles ZZ Top Monstrum. Und dann noch rot. Oder schwarz oder was das sein soll. Selbst wenn ich wollte, ich könnte mir keinen Bart wachsen lassen. So was gibt meine spärlich milchig-braune Gesichtsbehaarung gar nicht her und die Hormone, manchmal weiß ich auch nicht... Und doch liebe ich meinen Bart, bin ich mein Bart. Ich will wohl so sein, gut soll es sein. Das Forstbad duckt sich unterm silberschweren Spätherbsthimmel. Nass und schlapp von zaghaft tauendem Reif liegt die Wiese im Mittag, die Luft droht mit Schnee oder mindestens Graupel, kahl und skelettiert schweigen die Bäume im Kreis umher. Warm und verheißungsvoll glüht es durch die Fenster des Hallenbades am Rande der Liegewiese. Ich schwitze in meinem dicken Pullover und dem schlotterigen Blaumann, meiner Arbeitskleidung für einen Tag im Freibadteil außerhalb der Saison, harke das Laub auf der Wiese zu Wällen und Haufen bis der Rasen glänzt und die Hände leise schmerzen. Allein. Wie ich das liebe! Ich werfe den Laubkratzer in meine Schubkarre und steige den Wall hinauf, um zwischen den Eichen einen Platz zum Pinkeln zu suchen. Die Lautsprecheranlage bratzt und Klamms Stimme brüllt durchs menschenleere Bad: »Nie den Rücken zum Becken, Felix! Am Gefährlichsten ist es immer wenn kein Betrieb ist im Bad und alle sich sicher fühlen!« Ich wirble herum, und stehe plötzlich am Sprungturm. Vom Aufgang zum Dreier und weiter hoch zum Fünfer tropft mir Wasser ins Gesicht. Tiefgrün von Algen schwappt das um zwei Fliesen breit abgesenkte Beckenwasser, die L-förmig eingehängten Eisdruckpolster klopfen kanonisch an den Kanten, noch ist alles eisfrei um diese Jahreszeit aber sicher ist sicher und überhaupt kann sich das nächtlich ändern. Caruso zerrt mich am Bart und wirbelt mich sachte schmerzhaft an sich, dreht mein Gesicht zum Wasser. »Ist ja irre, Flex!« lacht er und umfasst mich. »So was Abgefahrenes gibt’s nur hier in Schweigen!« Auf dem Wasser treiben Topfdeckel, hunderte, und Dinge, die aussehen wie Schilde aus einem Ritterfilm, Töpfe und Klingen. Wieso schwimmt der ganze Mist denn oben? So ein Quatsch! Ich reiße mich von Caruso los und sehe, dass die Treppen zum Sprungturm sich vor Menschen fast durchbiegen. Beide Einer, beide Dreier und der Fünfer, alles wimmelt von triefenden Badegästen. In dieser Kälte? Wer hat die Durchgänge vom Hallenbad nach hier draußen aufgelassen? Ich reiße mich von Caruso los und renne an den Beckenrand, schreie gleichzeitig vom Aufsichtsturm durch die Lautsprecheranlage: »Achtung, eine Durchsage, der Freibadteil ist geschlossen, bitte verlassen sie unverzüglich die Becken und suchen das Hallenbad auf.« Körper prasseln juchzend von den Sprungbrettern und Plattformen, wälzen sich träge zwischen dem auf dem Wasser treibenden Metall, es scheppert, es klatscht fleischig, während ich hilflos am Sprungbecken auf und ab renne und versuche, die illegalen Besucher zur Ordnung zu rufen. Ich suche Caruso, gerade eben stand er doch noch hier, dann sehe ich, wie er mit einer Gruppe weißhaariger Frauen seelenruhig plaudernd seine Bahnen im Schwimmerbecken zieht. Könnten auch Schwäne sein oder Papierreste. »Achtung, eine Durchsage«, lautsprechert eine Stimme aus der Ferne, es ist natürlich meine. »Die Freibadsaison ist zu Ende, bitte verlassen sie die Schwimmbecken, ansonsten sehen wir uns gezwungen ein allgemeines Hausverbot auszusprechen.« Ich kauere über dem nicht angeschlossenen Mikrofon im Aufsichtsturm während ich auf der Wiese mit meinem Laubrechen angewidert einen stetig wachsenden Berg Haare zusammenkratze und mit einem Käscher versuche, die Metallteile aus dem Sprungbecken zu fischen, zum Schutz der Springer. Klamm brüllt: »So wird das nie was, Felix!« Ich suche die Schilder, um die Sprungtürme abzusperren und rufe nach Caruso. Zwei dicke Jungen springen zwischen auf dem Wasser treibende Messer, Kirchenglocken und Schneebesen. Caruso sagt: »So ist das richtig. Wir, für uns.« Mein Laubrechen verfängt sich in meinem Bart. Ich rupfe und reiße tanzend, dann stürze ich ins feuchte Gras, platsche zwischen die Topfdeckel im Sprungbecken und falle völlig schmerzfrei aber umso schwindeliger die Treppe zum Aufsichtsturm hinunter. Auf dem Rücken liegend blicke ich in den Schneehimmel. Klamm türmt über mir, meinen amputierten Bart in der Faust, zischt verächtlich und schwimmt in den Wald.
Mittwoch: Aufsicht und besondere Aufgaben
Wie kann man morgens um sechs bloß schon so gute Laune haben? Das ist doch wider die Natur. Das kann doch nicht echt sein. Holm-Rüdiger Andersen rattert unaufhörlich auf mich ein während er mit fabrikfrisch knarrenden Badelatschen in meinem Büro hin und her rennt und sich sein Namensschild ans T-Shirt friemelt. Holm-Rüdiger Andersen – Aufsicht und besondere Aufgaben hat Tante Heidi ihm da allen Ernstes drauf gedruckt und der Kerl kriegt sich vor Begeisterung darüber kaum ein. Kommt sich wohl ein bisschen vor wie ein Geheimagent oder so. Vielleicht ist er auch nur ein begnadeter Selbstironiker wer weiß? So ganz schlau werde ich aus dem jedenfalls noch nicht. Er sieht ein wenig karnevalesk aus in der Dienstkleidung aber das böse grün steht ihm überraschend gut. Seine langen Tennisplatzhaften Beine sind haarlos glatt und dezent gebräunt, die Shorts sitzen souverän leger ohne irgendwo zu schlabbern oder zu kneifen und das ganze Ensemble passt hervorragend zu seiner goldenen Lockenfrisur. Hat der sich das maßschneidern lassen? Wieso sieht der in den Klamotten nicht aus wie ein Trottel, so wie der Rest von uns? Außer Saskia, vielleicht. Na gut, und Viktor.
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