»Krieg ich eigentlich auch eine Trillerpfeife, Herr Freiwaldt?« perlt er munter.
Ich grinse ihn müde durch den grau in den Raum sackenden Morgen an. Was für eine Scheiß Nacht schon wieder! Egal, wie oft ich Maike auf ihrem Handy zu erreichen versuche, sie geht einfach nicht ran. Und was war das eigentlich für ein bekloppter Traum gewesen? Den ganzen Morgen kribbelt mein Kinn so komisch.
»Nee, nee«, schüttele ich meinen Kopf. »Trillerpfeifen gibt es hier seit Ewigkeiten nicht mehr. Wir sprechen unsere Gäste lieber direkt und freundlich an. Im Dienste der Kundenbindung und so weiter.«
»Och«, macht er rundmundig. »Und ich hatte mich so darauf gefreut. Ich dachte immer, das wäre ich sag mal, Standardausrüstung. Wissen Sie, bei uns zu Hause im Freibad hatten die Bademeister, also, Schwimmmeister meine ich natürlich, die hatten jedenfalls alle diese durchdringenden Trillerpfeifen, da standen wir als Jungs aber stramm kann ich ihnen sagen. Ich dachte, ich könnte mich jetzt mal, rächen. Nein, ist nur ein Scherz.«
Ich sehe ihn kurz kraftschöpfend an, schnappe mir dann meinen Schlüsselbund, stecke das iPhone in die Tasche meiner Shorts und schlappe so dynamisch wie möglich zur Tür.
»Wie wäre es denn, wenn wir uns eben einen Kaffee aus dem Personalraum greifen und ich ihnen dann erstmal das Bad zeige? Die ersten Frühschwimmer ziehen schon ihre Bahnen und Saskia und Viktor, also, Frau Lux und unser Auszubildender, Herr von Avenhoff, haben Frühdienst im Freibad. Da können wir ein bisschen einsteigen, wenn Sie mögen.«
»Ja, ja, super, super, Herr Freiwaldt!« enthusiasmiert er, gleitet neben mir über den leeren Gang zu den verschlossen Umkleidekabinen des Hallenbadteils in den winzigen, nach frisch gebrühtem Kaffee duftenden Personalraum. Ah, Anita, gesegnet soll sie sein. Ich fülle zwei von Werbeaufdrucken unseres Chlorlieferanten verunstaltete Becher, stelle einen vor Holm-Rüdiger Andersen hin, der im Türrahmen lehnt und sinnierend die halbvolle Schale mit Schlüters Eiskonfekt betrachtet.
»Milch?« frage ich leise. »Zucker?«
Er sieht mich an, als wolle er etwas sagen, blickt für einen splittrigen Moment zurück zur Schokolade und nickt langsam. »Einen Tropfen Milch hätte ich wohl sehr gerne, Herr Freiwaldt. Herzlichen Dank.«
Ich beschäftige mich demonstrativ gastronomisch, wölke unseren Kaffee mit etwas Sahne, heut geht’s uns gut, fülle den Rest aus der Maschine in die Thermoskanne die ich neben die Konfektschale auf den Tisch stelle. Dann mache ich mich daran, einen weitere Kanne aufzusetzen. Kaffee muss immer laufen in einem Schwimmbad, das nützt sonst alles nix.
»Schlagen Sie ruhig zu«, sage ich über meine Schulter hinweg zu dem überraschend stillen Holm-Rüdiger Andersen, während ich die Küchenzeile mit einem feuchten Tuch abwische. Ich drehe mich um, trockne mir die Hände und greife mir meinen Becher. Holm-Rüdiger Andersen blinzelt mich stumm an und ich rucke mit dem Kinn Richtung Schale.
»Tun Sie sich keinen Zwang an. Ist noch jede Menge da von dem Zeug. Wir sind ja schließlich in Schweigen. Da herrscht an Schokolade wahrlich kein Mangel.«
»Nein, danke«, murmelt Holm-Rüdiger Andersen. »Nicht so früh am Morgen. Und normalerweise habe ich auch gar nicht so viel übrig für Süßigkeiten.«
Wir suchen wortlos in unseren Gesichtern herum, er mit feiner ebener Stirn, bei mir fühlt sich alles eher knitternarbig an, voller Fragen. Vor dem Fenster klappert Anita in der Freibadkasse herum und pfeift dieses eine Lied von Abba, das sie so gerne mag. Wie heißt das noch? Oder ist das irgendwas von den Pet Shop Boys? Was auch immer, es löst den plötzlichen, rätselhaft trägen Sirup um uns auf und wir marschieren mit dampfenden Bechern und von meinem Schlüsselgeklapper versilbert über den Gang, zur Verbindungstür in den Freibadteil.
»Moin, Anita«, rufe ich, während ich die Tür hinter uns verschließe. »Und tausend Dank für den Kaffee. Endlich schlägt mein Herz wieder, bin noch gar nicht richtig aus dem Quark gekommen heute morgen.«
Die Luft unter dem hohen vertäfelten Vordach duftet hölzern und nach Feuchte. Forstbadgeruch. Fast alle Gebäude sind im Außenbereich mit Holz verkleidet, selbst die Dachüberhänge und Einfassungen der gläsern schimmernden Schwimmhalle. Hat man schön zu streichen außerhalb der Freibadsaison, kriegt man die Zeit auch mit rum. Kiefern und mit gemütlich glimmender Scheibenfront duckt sich das Kassenhäuschen in den frischen Morgen, eine Brise wedelt in den Büschen am Rande der Liegewiese umher. Auf und ab wippende Kugelrümpfe wühlen sich durchs dunstige Schwimmerbecken, einige die Arme von sich werfend, prustend, plaudernd, andere zielstrebig und schnurgerade wie fleischige Lokomotiven. Im Nichtschwimmerbecken dominiert die Geselligkeit. Weiße Schädel regieren das Bad um diese Uhrzeit, alterlos zweifarbig gestreifte Badekappen, und die üblichen verbissenen Büroathleten, die sich für einen langen Tag in Schlüters Verwaltung und Führungsgremien stählen, den Anzug im Garderobenschrank.
Dunkelgelblich schwärt der blasse Himmel an den Rändern. Sieht aus, als würde das Wetter bald umschlagen. Werden wir wohl doch noch die Halle zusätzlich aufmachen müssen, diese Woche. Wenn es Regen geben sollte. Und das bei der Personalknappheit, jetzt wo eine Fachkraft wegen, wie Caruso sagen würde, akuten Arschzukneifens fehlt.
Anita verstaut ihre Wechselkasse neben den Aktenordnern für die Jahreskartenanträge im kleinen Sideboard hinter sich und blickt mich durch die Glasscheibe an. Ich stelle meinen Becher auf das Sims vor der Gelddurchreiche und lehne mich der Sprechöffnung entgegen. Mit chemischem Biss kriecht Haarspray in meine Nase. Ihre bienenkorbige rotschwarz getönte Frisur sitzt gewohnt betonsicher.
»Den hat Viktor gemacht«, sagt sie. »Den Kaffee.« Dann dreht sie Holm-Rüdiger Andersen und mir den Rücken zu und beginnt, ihr Wechselgeld nachzuzählen. »Moin, Flex«, fügt sie halbherzig hinzu.
Ich versuche, Holm-Rüdiger Andersens Reaktion auf diese Unhöflichkeit aus den Augenwinkeln abzuschätzen, doch der saugt unbeeindruckt, das Gesicht in den Kaffeedampf seines Bechers getaucht, die Tranquilität des frühmorgendlichen Bades mit strahlenden Augen in sich ein.
»Äh, ja«, knurre ich, reiße mich dann zusammen und tue vital. »Also, Herrn Andersen hast du ja gestern kennengelernt. Ich werd ihn heute mal ein bisschen rumführen, dass er sich ein Bild von unserem kleinen nassen Märchenreich hier machen kann.«
»Moin, Herr Andersen«, leiert Anita.
»Moin, Frau Bardowitsch!« jauchzt dieser fast. »Alles frisch so früh am Morgen?«
Anita wendet sich mir zu und sieht mich misstrauisch an.
»Ach, Pardon«, charmiert Holm-Rüdiger Andersen geistesgegenwärtig. »Ihren Namen kenne ich aus den Dienstplänen. Die durfte ich nämlich bereits unter die Lupe nehmen. Und außerdem«, er klopft sich mit gewölbter Hand auf die linke Brust. Anita blickt an sich herunter und hebt pikiert die Brauen.
»Namensschild«, erklärt Holm-Rüdiger Andersen in versöhnlichem Schmeichelton, Anitas sengendes Starren ungeniert genießend.
»Sag mal, Anita«, versuche ich die Duellantenstimmung zu befrieden. »Was ist das eigentlich immer für eine Melodie die du da pfeifst? Das ist doch von Abba, oder?«
»Warum?« fragt sie mich mit einem Gesicht wie eine Faust. »Darf man hier noch nicht mal mehr ein Lied pfeifen wenn man gute Laune hat?« Sie lässt ihren Donnerblick über uns wandern und setzt dann nach: »Gute Laune hatte, meine ich. Hatte...«
»Nee, Anita, nein, nein, nun hör mal auf! Ich find nur die Melodie so toll und ich weiß einfach nicht wo ich's hinstecken soll.«
»Paganini«, strahlt Holm-Rüdiger Andersen. » Concerto Nr. 4 für Violine und Orchester in d-Moll . Das ist die einleitende Melodie im Allegro Maestoso .«
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