1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Nach ein paar hundert Metern hielten wir an, wendeten in einer Weideneinfahrt und fuhren zurück. Diesmal wollten wir uns alles noch einmal allein und aus der Ferne ansehen. Unsere Wolldecke auf der Wiese ausbreiten, den Picknickkorb aus dem Wagen holen, uns mit Frikadellen, Eiern, Kartoffelsalat, Tomaten, ein paar Broten und Kaffee ins Grüne hocken, essen, schauen und nachdenken.
Die Hunde tobten ausgelassen über den Acker nebenan, und Robin lag auf dem Bauch, hatte das Kinn in die Hände gestützt und sah hinüber zum Hof. "Was meinst du?", fragte er nach einer Weile.
"Ich denke, wir sollten es kaufen", sagte ich und nahm einen Schluck Kaffee. "Wir könnten von unterwegs gleich anrufen."
Zuerst wieder diese Steilfalte auf seiner Stirn. "Wir werden uns bis unter die Achseln verschulden." Dann jedoch lächelte er und griff über dem Korb nach meiner Hand. "Meinst du wirklich? Hast du diese entsetzliche Haustür bemerkt? Diesen angeklatschten Flachdach-Anbau?"
"Ja, furchtbar!"
"Aber die Gegend hier ist einfach toll. Nirgends hatte ich bisher ein so gutes Gefühl. Du etwa?"
Ich schüttelte den Kopf. "Und zu teuer ist es eigentlich auch nicht."
"Im Geiste sehe ich schon den Garten vor mir", sagte er, "und aus den Gebäuden könnte man etwas machen."
"Glaubst du, dass das Wasser wirklich in Ordnung ist?" Ein wenig von meiner Beunruhigung war offenbar noch da. Obwohl es wirklich tragisch wäre. Jetzt, da mein Herz hier schon Wurzeln geschlagen hatte.
"Denkst du, dass sie lügen? Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht. Außerdem, dann wären ja auch die anderen krank geworden", sagte Robin und wischte damit dieses eigenartige Gefühl schnell wieder fort.
"Stimmt. Am Wasser wird es wohl nicht gelegen haben."
Kein Gedanke mehr daran, uns auch das andere Haus noch anzuschauen. Das bei Osnabrück, das eigentlich für heute Nachmittag noch mit auf dem Plan stand.
Es begann zu dämmern, und wir packten unsere Sachen wieder zusammen. Fuhren noch einmal langsam am Hof vorbei, weiter geradeaus, nahmen einen anderen Weg zurück, als den, auf dem wir hergekommen waren. Ein Stück weiter südlich vom Dorf landeten wir wieder auf der Hauptstraße. Gleich an der nächsten Telefonzelle hielten wir an.
"Das ging aber schnell!", wunderte sich Horst-Junior, der bei unserer Bauernfamilie offensichtlich für den Telefondienst zuständig war.
"Ich weiß", lachte ich, "wir wundern uns über uns selbst."
"Und nun?"
"Sag deinen Eltern, sie sollen uns Bescheid geben, wenn sie einen Termin beim Notar haben."
"Klar, mach ich."
Zurück bei Robin im Wagen musste ich tief durchatmen. "Hätte nicht gedacht, dass die Entscheidung für ein Haus so aufregend sein kann." Irgendwie war mir bei aller Freude nach diesem Telefonat ein wenig unheimlich zu Mute. Ich hatte Tatsachen geschaffen.
Robin lächelte und strich mir über die Schulter. "Vielleicht muss das so sein, wenn man sein erstes eigenes Haus kauft."
Als unser Grüner den kleinen Hügel in Erkenschwick wieder hoch kroch, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob wir eine gute Entscheidung getroffen hatten. Auch dieses Häuschen in Erkenschwick leuchtete uns heimelig entgegen. Robert und Sonja hatten die Außenbeleuchtung eingeschaltet, und aus ihrem Küchenfenster floss warmes Licht über die Frühlingsblumen im Vorgarten. Weiß strahlte uns in der Dunkelheit das Fachwerk zwischen den schwarzen Balken entgegen. Das sah sehr romantisch aus. Auch hier war es schön geworden in den letzten Jahren, und es gab liebe Menschen, eine Menge Freunde in unserer Nähe.
"Wie kann man sich nur so unprofessionell für ein Haus entscheiden?", fragte Mark, und er wirkte dabei fast ärgerlich.
Er war mit Robins Kollegin Lydia und dem gemeinsamen Baby Jan im Kinderwagen zum Sonntagnachmittags-Kaffee zu uns gekommen. Wie jedes Mal nach unseren Hausbesichtigungen wollten sie wissen, was wir gesehen hatten, wie wir uns entscheiden würden. Wir hatten schon davon gesponnen, ein solches Projekt unter Umständen auch gemeinsam zu verwirklichen. Vor Monaten in der Aufregung um die Cadmium-Möhren. Als die Planung dazu jedoch konkreter wurde, begannen sie, sich vor der eigenen Courage zu fürchten und waren wieder abgesprungen.
"Habt ihr euch das Mauerwerk genauer angesehen? Gab es dort Feuchtigkeit? Was ist mit dem Dach?"
"Natürlich halsen wir uns keine absolute Bruchbude auf", entrüstete sich Robin. "Für wie blöd hältst du uns eigentlich? Die Substanz scheint nicht schlecht. Daraus kann man etwas machen. Das Dach wirkte noch relativ neu. Jedenfalls das über dem Hauptgebäude. Oder hast du bemerkt, Christine, dass dort Pfannen fehlten oder kaputt waren?"
Ich schüttelte heftig den Kopf, obwohl ich darauf nicht unbedingt hätte schwören können.
"Woher bekommt ihr das Trinkwasser?", hakte Mark nach und versetzte mir damit gleich wieder einen leichten Stich. "Und wie wird das Abwasser entsorgt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gemeinde sechs Kilometer lange Leitungen verlegt hat."
"Wir sind doch nicht die ersten Menschen, die dort leben", sagte ich. Langsam schon ein wenig ärgerlich, weil mir Marks ewige Skepsis auf die Nerven ging und meiner inneren Unruhe neue Nahrung gab. Aber so war er. Er liebte es auch sonst, Euphorien zu zerpflücken, war der nüchterne Realist, der Pragmatiker unter uns.
"So weit ich das richtig verstanden habe, kommt das Trinkwasser über eine Pumpe tief aus dem Boden, ja? Eine Hauswasseranlage also. Wer weiß, wie alt die schon ist. Vermutlich sind inzwischen alle Leitungen marode."
"Du musst immer gleich das Schlimmste annehmen", wehrte ich ab.
"Das Abwasser jedenfalls wird in der ehemaligen Güllegrube aufgefangen", ergänzte Robin. "Ein Nachbarbauer kam bisher ein oder zweimal im Jahr und pumpte sie leer. Den werden wir fragen, ob er das für uns auch macht."
"Normalerweise nimmt man zu so was einen Gutachter mit", meinte Mark weiter ganz entschieden und konnte unsere Blauäugigkeit offenbar gar nicht fassen. "Überlegt doch mal, ihr kauft euch nicht eben mal kurz ein Paar Schuhe oder irgendeinen anderen Kleinkram. Ich finde, bei solchen Summen muss das schon gut überlegt sein, die habt ihr ein Leben lang am Hals. Und wenn ihr dann noch massiv investieren müsst, na prost Mahlzeit."
"Jetzt mach ihnen bitte ihr Häuschen nicht weiter madig", mischte Lydia sich ein und tupfte ihrem Baby mit der Stoffwindel die Spucke vom Mund. "Du könntest das doch auch nicht besser beurteilen."
"Weiß ich. Will ich ja auch gar nicht", trotzte Mark sie an. "Ich sag nur, da müsste eigentlich erst einmal ein Profi ran."
Mir fiel das Gutachten wieder ein, das mir Herr Auerbach beim Abschied in die Hand gedrückt hatte. Er hatte es erstellen lassen, um seine Finanzierung damit durchzubekommen. Aber da sich das inzwischen erübrigt hatte, brauchte er es nicht mehr. Der Wert des Hauses war darin fast mit dem Doppelten des Kaufpreises angegeben. Robin und ich hatten es zwar einigermaßen skeptisch gelesen, aber auch wir würden es gut gebrauchen können. Ein überzeugendes Argument für unsere Bank.
"Der war schon dran", grinste ich Mark ironisch an und erzählte den beiden davon.
"Warum hast du das nicht gleich gesagt?" Unser Skeptiker wirkte ehrlich erleichtert.
Lydia verdrehte spöttisch die Augen und betätschelte seine Schulter.
"Siehst du? Du kannst dich wieder abregen, mein Bester! Habt ihr wenigstens Fotos gemacht?", fragte sie dann und stopfte ihrem inzwischen laut schreienden Jan den Schnuller wieder in den Mund.
Nein, an Fotos hatten wir natürlich überhaupt nicht gedacht. Aber das würden wir bei der nächsten Gelegenheit gleich nachholen.
"Wir fahren sicher in ein paar Tagen wieder hoch. Ich nehme an, dass wir irgendwann in der kommenden Woche dort unseren Termin beim Notar bekommen", sagte ich. Und zu Robin gewandt: "Dann dürfen wir auf keinen Fall den Fotoapparat vergessen."
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