Ulrike Linnenbrink - Herbstliebe

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Carla Berger hat sich nach zwei Scheidungen mit dem Single-Dasein arrangiert, einzig ihre Hündin Shira darf Lebensraum und Bett mit ihr teilen. Sie genießt ihre Autonomie und ist auch finanziell auf niemanden angewiesen. Doch dann begegnet sie Paul, sechzehn Jahre jünger als sie. Zunächst zögert sie, sich auf eine Beziehung mit ihm einzulassen, zu groß sind ihre Bedenken wegen des Altersunterschiedes, doch Paul bleibt hartnäckig, und so gibt sie seinem Werben schließlich nach. Eine Zeit lang scheinen Carla und Paul in ihrer neuen Symbiose zu verschmelzen. Carla ist glücklich wie nie. Doch plötzlich gibt es bei Paul immer häufiger diese nachdenklichen Momente und Verabredungen, über die er mit ihr nicht sprechen will. Carla spioniert ihm nach und stößt dabei auf ein bedrückendes Geheimnis in Pauls Leben.

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Ulrike Linnenbrink

Herbstliebe

Roman

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Herbstliebe Herbstliebe

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Impressum neobooks

Herbstliebe

HERBSTLIEBE

Roman

Ulrike Linnenbrink

1

Zu dumm, es regnet nicht mehr. Der Wind hat sich gelegt, und einige späte Sonnenstrahlen tauchen die Wipfel der Bäume im Garten in goldgelbes Licht. Eigentlich ein wunderschöner Anblick, und ich könnte mich sicher ausgiebiger daran erfreuen, hätte ich nicht den ganzen Nachmittag lang darum gebetet, dass es weiter schüttet wie aus Eimern - so wie am Vormittag, denn bei Regen könnte ich die Sache einfach ausfallen lassen. Jetzt aber regnet es nicht mehr, und nun fehlt mir die passende Ausrede für Iris.

"Wieso machst du das, Carla?", frage ich mich selbst, und mir ist noch immer nicht klar, weshalb ich mich auf diesen Abend mit Iris überhaupt eingelassen habe. Ärgerlich - auch über mich selbst - schlage ich mit der Bürste durch meine widerspenstigen Naturlocken. Der graue Anteil in meinen dunklen Haaren wird immer auffälliger, und in letzter Zeit helfe ich ab und zu mit einer Intensiv-Tönung nach. Es wäre wieder einmal nötig, aber dazu bleibt nun keine Zeit. Ich lege die Bürste zurück an ihren Platz.

Lustlos verteile ich das MakeUp auf meinem Gesicht, streiche es am Hals entlang bis hinunter ins Dekolleté. Meine Fingerspitzen ziehen die Augenfalten glatt. Ich starre mein Spiegelbild an und strecke mir selbst die Zunge entgegen. Eigentlich sehe ich für mein Alter noch immer recht gut aus, und es passiert zuweilen, dass man mich für Mitte Dreißig hält.

Nun ja ...

Ich wasche mir die Hände, gehe dann hinüber in mein Schlafzimmer. Dort lasse ich mich aufs Bett fallen und verschränke die Arme hinter dem Kopf. Noch ein paar Minuten ausruhen, bevor ich mich anziehen werde.

Eigentlich würde ich mich jetzt sehr viel lieber in mollig warme Leggings und einen meiner lässigen Übergrößen-Pullover verkriechen, mir die Kamelhaardecke um den Bauch und um die Beine wickeln und - in die Sofaecke gekuschelt - umringt von Knuspergebäck, Schokolade und trockenem Wein, ein wenig auf der Fernbedienung herum klicken und an irgendeinem netten TV-Programm hängen bleiben. Oder ich würde meinen Laptop heraus kramen, für den Unterricht recherchieren, vielleicht aber auch einfach nur ein wenig im Internet herumschauen. Trotz meiner Vorbehalte hat Iris es jedoch mal wieder geschafft, mit Engelszungen und dieser einzigen Bitte im Blick. Das kann sie meisterhaft - mit ihren wunderschönen Bernstein-Augen und diesem unschuldigen Püppchen-Gesicht. Ich dummes Huhn habe eingewilligt, obwohl ich im Grunde keinerlei Drang verspüre, mich in vollgepfropfte und verräucherte Kneipen zu zwängen, um gemeinsam mit ihr nach oberflächlicher Zerstreuung zu suchen. Volksfeste jeder Art und Gedränge mit aufgezwungenem Körperkontakt finde ich einfach nur schlimm. Aber genau das steht mir nun bevor.

Sie müsse unbedingt heraus, hat sie mich angefleht, raus aus den eigenen vier Wänden und weg von ihren Problemen. "Versteh doch, mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich glaub noch immer, ich muss ersticken. Es ist ja auch alles so neu - ohne ihn. Und allein mag ich nicht gehen."

Da ich froh bin, dass sie ihren Thomas endlich in die Wüste geschickt und auf dem richtigen Weg zu sein scheint, weil ich sie dabei auch unterstützen will, habe ich zugesagt. Außerdem konnte ich schon immer nur schlecht nein sagen.

Beinahe wäre ich auf meinem Bett fest eingeschlafen. Jedenfalls weckt mich erst ein kräftiges Rucken meines Körpers endgültig wieder auf, und ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich beeilen muss.

Ich entscheide mich für die verwaschenen Jeans und den sandfarbenen Baumwollpullover, der lang genug ist, auch den Po zu bedecken.

Verflucht, die Hose ist schon wieder enger geworden, ich muss beim Zumachen den Bauch einziehen und die Luft anhalten. Kritisch betrachte ich mich im mannshohen Spiegel neben dem Kleiderschrank. Wenn ich nicht ganz aus den Fugen geraten will, muss ich langsam wirklich etwas mehr auf meine Figur achten! Doch Diäten haben es bisher nicht gebracht. Im Gegenteil, selbst wenn ich tatsächlich ein paar Tage durchgehalten habe, sind anschließend die Pfunde ganz schnell wieder drauf - mehr sogar als zuvor. Ich weiß zwar, dass nur Bewegung etwas ändern kann, doch zu regelmäßigem Sport bin ich einfach zu faul, auch wenn schlanke Hüften, ein Busen, der keinen Bleistift unter sich begraben könnte, und eine Taille, die nicht lächerlich wirkte, wenn man sie mit einem Gürtel betont, doch schon noch zu meinen Träumen gehören würde. Aber meine Realität sieht im Moment einfach anders aus, und ich habe mich bis auf wenige Augenblicke damit abgefunden. Shira jedenfalls liebt mich so wie ich bin, und ich bin eben nicht mehr zwanzig.

Die Zeit drängt. Ich schlüpfe in meine beigen Lederpumps, stelze die Treppe hinunter, beklopfe Shira, die unten in der Diele zusammengerollt in ihrem Korb liegt, sperre ihr die Terrassentür auf und schaltete die Gartenbeleuchtung ein. "Komm, altes Mädchen, du darfst noch einmal ..."

Widerwillig quält sie sich aus ihrem Hundeschlaf, trottet mir entgegen, gähnt, streckt sich ausgiebig und wartet auf eine zweite Aufforderung. Dann läuft sie hinaus in den Garten.

Shira, meine Süße, sie ist das Produkt der Liebelei zwischen einer Schäferhündin und einem sicher großen, langhaarigen, blonden Unbekannten. Ihre bloße Anwesenheit tut mir gut. Die Geduld, mit der sie auch meine Launen erträgt, hat für mich bisher noch kein Mensch aufgebracht. Ich kann mich jedenfalls nicht entsinnen, von einem meiner Ex-Männer jemals so akzeptiert worden zu sein. Das Leben mit dieser Hündin ist einfach unkompliziert und positiv. Wir teilen alles miteinander, unsere Freude, unsere Sorgen, den Inhalt meines Kühlschrankes, ab und zu sogar das Bett, worüber meine Freundin Lydia gern die Nase rümpft und spöttische Bemerkungen machte. Ihr fehlt jegliches Verständnis für eine derart enge Beziehung zwischen Mensch und Tier. Doch da lasse ich mir nicht hereinreden - auf gar keinen Fall.

Die Trennung von Konrad hat Shiras Bedeutung für mich noch weiter erhöht und sie - neben meiner Arbeit - zum Mittelpunkt meines Lebens gemacht. Ich spüre gern ihren warmen Körper an meiner Seite, und ich bin dankbar dafür, dass eine solche Nähe für mich ohne das Beiwerk kraftzehrender Diskussionen und Machtkämpfe möglich ist. Sicher ist Shiras Existenz einer der Gründe dafür, dass ich kein Problem damit habe, allein zu leben.

Aber das ist ein Thema für sich.

Während ich am Türrahmen lehne und ihr nachschaue, läutet das Telefon. Rasch gehe ich über den grauen Teppich-Belag und nehme den Hörer vom Apparat. "Ja?"

Seit mir vor ein paar Monaten einer dieser unangenehmen Typen, die offenbar keine reale Frau ins Bett bekommen, fast täglich die Ohren vollgekeucht hat, melde ich mich grundsätzlich nicht mehr mit meinem Namen. Ich konnte ihn mittlerweile zwar allem Anschein nach mit der Hilfe von Lydias Sportpfeife erfolgreich verscheuchen, denn er hat damit aufgehört, aber man kann ja nie wissen.

"Hast du ein paar Minuten Zeit?", fragt Charlotte. "Ich würde gern zu dir kommen. Hatte heute wieder einen Riesentanz mit Papa, und Mutti ist, wie du weißt, ja noch zur Kur. Ich muss unbedingt mit einem vernünftigen Menschen reden, Tante Carla."

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