1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Er hielt mich fest in seinem Arm, streichelte mich weiter und sagte eine Weile gar nichts. Ich weinte mich aus. Brauchte ein paar Minuten, um einigermaßen zur Ruhe zu kommen.
"Das mit dem Haus ist ja auch eine wichtige Entscheidung, Schatz. Natürlich macht so etwas zunächst Angst", versuchte er weiter, mich zu beruhigen. "Aber du wirst sehen, wenn es morgen früh wieder hell ist, sieht die Sache ganz anders aus."
Ich ließ die letzten Schluchzer aus mir heraus, realisierte mehr und mehr, dass alles nur ein Traum war, und sah ihn an. "Macht dir das alles überhaupt keine Angst?"
"Im Augenblick wahrscheinlich nicht so sehr wie dir. Was diese Sache betrifft, hab ich im Grunde ein gutes Gefühl. Eigenartig. Sonst ist es immer umgekehrt bei uns. Außerdem, was soll schon Schlimmes passieren? Zur Not kann man so was auch wieder verkaufen."
Ich spürte einen Moment vor mich hin und fühlte, wie die Welt in mir begann, sich wieder zu ordnen. "Du hast Recht, ich benehme mich wie ein Kleinkind", sagte ich, streichelte seine Wange und küsste ihn. Dann verkroch ich mich in seinen Armen.
Wenn schon nicht selbst brüten, dann wenigstens brüten lassen. Ungefähr so hat es damals in mir ausgesehen, und auch das machte Mylopas Reiz für mich aus. Ich wollte unbedingt mehr Tiere. Schafe und Ziegen vielleicht. Aber ganz sicher Hühner, damit ich mir morgens die frischen Eier aus den Nestern holen konnte, so wie das für Robert und Sonja jetzt schon möglich war. Aber die hatten immer gerade genug für den Eigenbedarf und konnten uns nicht noch mit versorgen.
Am Nachmittag hatten wir mit unserem Bauern und seiner Frau bei einem Notar den verabredeten Termin, und ich war den ganzen Morgen über nervös und relativ ziellos durchs Haus gelaufen. Hatte oben im Flur, wo mein kleines Büro eingerichtet war, in einer Art Übersprungshandlung einige meiner Sachen für die Schule geordnet. Das musste schon seit langem passieren, und die Beschäftigung damit verkürzte die Wartezeit einigermaßen sinnvoll. Heute, an diesem Tag Ende April, war es endlich so weit.
Die ganze Prozedur verlief zwar bürokratisch sachlich, aber in mir war sehr viel Feierlichkeit. Robin erging es ähnlich. Auch er verfolgte innerlich angespannt, was dabei geregelt und entschieden wurde - mit dieser Steilfalte über der Nasenwurzel, die dafür das entlarvendste Indiz war. Unser erster Kaufvertrag. Für das erste eigene Haus. Zum Abschluss setzte er - genauso wie ich - ein wenig zittrig seine Unterschrift unter das Dokument. Wir hatten zwar schon vieles gemeinsam gemacht, auch mit einigem Risiko Behaftetes in Angriff genommen und verwirklicht, zuletzt die Renovierung unseres Häuschens am Krikedillweg, aber dies war unser erster größerer, gemeinsamer, wirklicher Besitz. Und der war jetzt amtlich.
Händeschütteln, Glückwunsch, Erleichterung auf allen Seiten. Bauer Horst lud uns noch auf einen Sherry zu sich nach Hause ein - "Das muss gefeiert werden." - und wir folgten ihm nach Schale.
So kurz wie möglich hielten wir unseren Besuch, weil es uns mit aller Gewalt hinters Wiechholz zog. Denn nun, mit der Unterschrift unter dem Kaufvertrag, würde der Blick auf unseren Hof eine ganz andere Qualität für uns haben.
Das Herz sackte uns zunächst wieder ein wenig ab, als wir der grauen Scheune entgegenfuhren. Wir parkten meine Ente auf der Betonplatte über der Güllegrube und liefen durch den parkgroßen Vorgarten auf die Haustür zu.
Auerbachs waren zum Glück zu Hause, und so hatten wir Gelegenheit, endlich einmal auch mit ihnen allein zu reden. Wir erzählten ihnen von unserem Vertragsabschluss und besprachen, dass sie auf jeden Fall bis zum Beginn der Sommerferien dort wohnen bleiben könnten.
"Hier haben Sie den Schlüssel für die hintere Eingangstür zum Wirtschaftsraum. Wir räumen die ehemalige Küche, und Sie können sich provisorisch dort und in der Upkammer schon einrichten und das Bad benutzen. Die Tür zur Diele schließen wir ab. Dann bleibt das bis dahin unser Bereich, und wir benutzen Dusche und Toilette im ehemaligen Kuhstall. Aber wir sind raus, so bald es geht, und wir hoffen, dass es gar nicht bis zu den Sommerferien dauern wird. Im Rheinland haben wir schon ein anderes Haus in Aussicht. Wenn das klappt, sind wir hier ganz schnell verschwunden."
Wie beiläufig erzählte Frau Auerbach, dass sie ihre gesamten Ersparnisse in den Ausbau des Kuhstalles gesteckt hätten. "Vierzigtausend Mark!"
Das klang ein bisschen so, als bäte sie uns um einen Ausgleich, aber so Leid sie mir deshalb auch tat, ein bisschen, fand ich, waren sie selbst Schuld an ihrer Misere. Wie konnten sie nur so viel Geld in eine Sache investieren, von der sie nicht einmal wussten, ob sie finanziell abgesichert war? Damit hatten wir im Grunde nichts zu tun. Und wir hatten das Haus nun einmal so gekauft, 'wie es stand und lag'. Genau so lautete die Formulierung im Vertrag.
Robin und ich taten beide so, als hätten wir ihre Anspielung überhört. Aber wir wünschten ihnen wirklich von ganzem Herzen, dass sie ein neues Zuhause finden würden. Vielleicht diesmal unter besseren Vorzeichen. Und wir setzten sie ja nun wirklich nicht von einem Tag auf den anderen auf die Straße.
Frau Auerbach blieb mit den Kindern im Haus, während ihr Mann im grünen Kittel mit uns noch einmal über das Gelände lief. Zum ersten Mal schauten wir uns den Schweinestall etwas intensiver von innen an. Beim ersten Besuch waren wir nur kurz hineingelaufen, hatten einmal rechts und einmal links geschaut und dann unseren Rundgang über das Land fortgesetzt. Jetzt betrachtete ich mir die Futterküche etwas genauer, denn falls Auerbachs doch länger brauchten als beabsichtigt, würden wir diesen spinnverwebten Raum als unsere Übergangsküche einrichten müssen. Diese Futterküche, in der es an der Westwand neben dem Sprossenfenster aus Eisen einen Wasseranschluss ohne Waschbecken gab, lag direkt im Anschluss an den Durchgang zum Haus. Wir würden also auch bei Regenwetter trockenen Fußes zwischen ihr und dem Haus hin- und herlaufen können. Eine alte Holztreppe führte aus ihr nach oben unter das Stalldach, und dort lag noch jede Menge Heu und Stroh. Unter der Treppe führte aus der Futterküche eine grob gezimmerte Tür in einen ersten Stall, in dem es vier gemauerte Schweinekojen gab. Gut für die Lagerung von Brennstoffen. Ging man zwischen ihnen hindurch, konnte man zwischen zwei Türen wählen und kam dann entweder hinter das Stallgebäude und auf das Wiechholz zu, oder man ging geradeaus, und betrat einen zweiten Stall, in dem es noch sechs weitere Kojen gab. Sie wirkten neuer, und hier passten eine Menge Schafe, Hühner und Gänse hinein.
"Wie sieht es denn mit Ratten aus?", fragte Robin, unser eigenes "Kompost-Problem" vor Augen, und Herr Auerbach erzählte davon, dass er im Winter einige von ihnen ganz dreist durch den Garten habe laufen sehen. "Aber dann habe ich sie gut gefüttert", er grinste vielsagend, "und seitdem ist es ruhig. Zumindest äußerlich."
"So ist das nun mal", sagte ich. "Wer weiß, wie viele von diesen Viechern es auch in der Stadt gibt. Wenn dort die Menschen wüssten, was unter ihren Häusern und in der Kanalisation herumkriecht. Aber wo man eine sieht, sagt man, gibt es mindestens fünfzig. Das gehört nun mal zum Leben. Ratten gibt es auch bei uns in Erkenschwick."
"Alles darf man aber auch nicht mehr nehmen", fuhr Herr Auerbach in der Beschreibung seiner 'Rattenfütterung' fort. "Die Biester sind inzwischen ja schon resistent gegen die härtesten Geschosse. Doch hier bei der Genossenschaft gibt es eine ganz gute Mischung. Die wirkt offenbar noch. Racumin blau oder rot. Das rote ist besser, glauben Sie mir."
Wir registrierten diesen Tipp und erzählten ihm von unserer Absicht, den ehemaligen Kuhstall zu einer Mietwohnung umzubauen. "Wir wissen noch nicht, wann wir hierher versetzt werden, und wir hoffen, dass es uns überhaupt gemeinsam gelingt. Es ist ja schon schwer genug, allein einen Versetzungsantrag durchzubekommen. Zu zweit und möglichst nahe beisammen dürfte es noch um einiges schwieriger werden. Und so lange nicht sicher ist, dass wir hier wirklich leben können, muss zumindest ein Teil des Hauses bewohnt sein."
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