Dieses Mal befand er sich in der Realität, sein Traum hatte geendet, er war endgültig erwacht.
Und doch wusste er nicht, ob er sich wünschen sollte, dass es nicht so wäre.
Denn obwohl seine Träume so unendlich schrecklich waren, so gaben sie ihm dennoch die Hoffnung, dass sie nicht real waren.
Doch jetzt, wo er erwacht war, gab es keine Fiktion mehr, sondern nur noch eiskalte, brutale und schonungslose Wahrheiten.
Nichts von dem, was er geträumt hatte, war so geschehen, wie er es dort erlebt hatte und doch änderte es nichts an den Tatsachen, dass Alisha und auch Daria tot waren.
Gestorben als eine der ersten Opfer in einem schrecklichen, wahnsinnigen Krieg, von dem sie nicht einmal wussten, warum er überhaupt angezettelt worden war, in dem sich ihre Gegner jedoch als unglaublich gnadenlos und konsequent herausgestellt hatten.
Innerhalb von nur zwei Tagen war der halbe Planet in Schutt und Asche gelegt und Hunderte Millionen von Menschen in einem allumfassenden Flammenmeer getötet oder durch die bestialischen Bodentruppen dahingeschlachtet worden.
„Oh bitte!“ Joriks Worte waren kaum mehr, als ein schwaches, erschütterndes Flüstern.
Die Bilder in seinen Träumen waren so furchtbar schlimm gewesen, dass er zu zittern begann und doch wusste er, dass sie nichts im Vergleich zu der Realität waren, die sie alle im Moment erlebten.
Während er in seinen Träumen die Bilder einer Kriegshölle gesehen hatte, befand er sich hier und jetzt so schrecklich hilflos mitten in ihr.
Und es war eine unfassbar brutale Hölle, die dabei war, den Planeten Santara , seine geliebte Heimat, zu zerstören und dabei jede Stadt und jedes Lebewesen auf unglaublich grauenhafte Weise unwiederbringlich und endgültig auszulöschen.

Versprengte Herzen
Vilo hatte keine wirkliche Ahnung, wie lange sie schon auf den Beinen waren.
Das letzte Mal, als er einen ungehinderten Blick in den Himmel richten konnte, war, als sie zu einer Mittagspause rasteten, um etwas zu essen und zu trinken und sich ein wenig auszuruhen.
Neben einer kurzen Pause am Vormittag war es ihre einzige Rast am heutigen Tage gewesen.
Der Sonnenstern hatte zu diesem Zeitpunkt seinen Zenit bereits überschritten und Vilo schätzte, dass all das schon einige Stunden her war.
Ihr Weg durch die schier unerschöpflichen Wälder im nördlichen Orotash führte sie beinahe ausschließlich durch Gebiete mit mächtigen Rombaskiefern , deren Kronen derart dicht waren, dass sie nur spärliches Tageslicht hindurch ließen. Die Gruppe um Vilo musste sich daher durchweg mit einem trügerischen Zwielicht zufriedengeben. Dennoch hatte er das unbestimmte Gefühl, dass es merklich dunkler um sie herum wurde und er ging davon aus, dass mittlerweile der Abend nahte.
Durch den dichten Baumwuchs gab es auf dem Erdboden kaum größere Pflanzen zu sehen. Kleine Grasflächen wechselten sich mit Moosen ab. Hier und da gab es Bereiche, in denen Farne und Büsche wuchsen, die dann nicht selten mannshoch waren.
Dennoch stellten sie kaum Hindernisse dar. Die meiste Zeit über schritt die Gruppe über mehr oder weniger ausgetretene Trampelpfade auf erdigem Waldboden. Außerdem hatte es längere Zeit nicht geregnet, sodass er sehr trocken und somit gut begehbar war.
Vilo hatte stets das Gefühl, dass sie gut und zügig vorankamen, wenn er dies anhand der für ihn doch oft genug gleichförmigen Landschaft jedoch nicht festmachen konnte.
Während all der Stunden ihres langen Weges hatten die drei Männer kaum ein Wort miteinander gewechselt. Damos, der Alte aus dem Dorf, vor dem sie notgelandet und von dem aus sie mit dem ersten Licht des Tages gestartet waren, bildete die Vorhut, Captain Cosco die Nachhut ihrer kleinen Gruppe, in der offensichtlich jeder lieber für sich allein war, anstatt mit den anderen zu reden.
Vilo war das auch ganz recht so. Äußerlich wirkte er zwar eher ernst und ruhig, innerlich aber war er ziemlich nervös und angespannt. Zu Beginn ihres Marsches sogar noch viel mehr und er hatte Damos ein ums andere Mal genervt, ob sie nicht schneller marschierten konnten und ob der Alte sich seines Weges wirklich sicher war.
Irgendwann dann aber begriff er, dass Damos sehr wohl wusste, was er tat und das ihr Marschtempo genau richtig war, um nicht schon nach zwei Stunden hechelnd zusammenzubrechen oder durch falsche Schritte Verletzungen zu riskieren.
Entsprechend hielt Vilo seine Klappe und hing seinen Gedanken nach, die seine innere Nervosität, obwohl absolut verständlich, natürlich nicht zu lindern vermochten.
Immerhin waren sie hier am südlichen Ende dieses scheinbar niemals enden wollenden Waldgebietes notgelandet, nachdem sie aus Adi Banthu flüchten mussten, als diese Insel von den Außerirdischen angegriffen und wie alles andere vorher auch systematisch und mit einer beinahe schon widerlichen Präzision in Schutt und Asche gelegt wurde.
Zusammen mit Captain Cosco und Damos hatte er sich deshalb auf den beschwerlichen Weg nach Norden gemacht, wo sich ein weiteres Dorf befinden und in dem es Treibstoff für ihren Bomber geben sollte, sodass sie letztlich wieder von hier verschwinden konnten.
Vilo war zwar kein Nuri mehr, aber dennoch konnte und wollte er sich seiner militärischen Verantwortung für die Menschen in seinem Land und letztlich auch auf dem ganzen Planeten nicht verschließen. Deshalb war es notwendig, dass sie Treibstoff besorgten, damit sie so schnell als möglich nach Süden fliegen konnten, um von dort aus Kontakt zu ihren Streitkräften, was immer davon auch noch übriggeblieben sein mochte, aufzunehmen.
Ihr Feind, der ohne jede Vorwarnung, dafür aber umso wuchtiger, konsequenter und gnadenloser über sie gekommen war, war dabei, diesen sinnlosen Krieg sowas von glasklar zu gewinnen, dass Vilo in Anbetracht ihrer eigenen Hilflosigkeit dagegen fast schon übel werden konnte.
Doch sie durften nicht aufgeben, sich nicht geschlagen geben, denn der Verlierer in diesem Krieg würde entweder schonungslos versklavt oder vollständig ausgerottet werden und alles auf Santara , das je von Menschenhand geschaffen worden war, bis ans Ende aller Tage derart vollständig zerstört werden, dass nichts mehr an die Rasse der Menschen zurückerinnern würde.
Und genau das durfte nicht geschehen – zumindest nicht kampflos. Deshalb musste Vilo nach Süden, Kontakt zu seinen Leuten aufnehmen oder, egal, zu irgendeinem militärischen Etwas, das noch überlebt hatte, um einen Plan zu entwickeln, mit dem man dem schier übermächtigen Feind Paroli bieten und die beinahe schon sichere Ausrottung einer ganzen Rasse doch noch verhindern konnte.
Natürlich aber war Vilo auch nervös wegen Kaleena, seiner wunderbaren und wundervollen Frau, die er in dem Dorf am heutigen Morgen hatte zurücklassen müssen.
Der Zufall, das Schicksal, egal, wie auch immer man es nennen wollte, hatte dafür gesorgt, dass sie in diesen furchtbaren Stunden bei ihm war. Vilo war für diesen Umstand unendlich dankbar, hatte er so doch zumindest die Chance, sie zu beschützen und musste sich nicht auch noch mit einer quälenden Ungewissheit über ihr Wohlergehen beschäftigen.
Auch deshalb war er zu Beginn ihres Marsches sehr nervös gewesen, denn er wollte so schnell als möglich zurück zu seiner Frau, um die er sich seit einiger Zeit echte Sorgen machte.
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